Rainer Winkler beginnt im Jahr 2013 unter dem Namen Drachenlord auf Youtube Videos zu posten. In diesen gibt Winkler unter anderem Einblicke in seinen Alltag oder spricht über seine Interessen für Heavy Metal und Computerspiele. Er wirkt dabei so ungefiltert, amateurhaft und über weite Strecken ungewollt komisch, dass binnen weniger Jahre eine Bewegung aus sogenannten „Anti-Fans” oder „Hatern“ entsteht, die ihn systematisch belästigen und anfeinden.
Der Journalist Khesrau Behroz zeichnet über fünf Podcast-Folgen den Verlauf dieser Eskalation nach, die zunächst mit eher harmlosem Fremdschämen und kollektiver Belustigung beginnt und 2022 mit der Verurteilung Winklers zu einer Bewährungsstrafe wegen Körperverletzung und Schließung seines Youtube Kanals einen vorläufigen Höhepunkt erreicht: „Dieser Fall lässt unsere Gesellschaft an ihre Grenzen stoßen, er fordert Justiz, Polizei, Medien und unser Mitgefühl heraus. Und er hat mehr mit jedem von uns zu tun, als wir glauben“, beschreibt Behroz die Tragweite der Entwicklung. Der Podcast stellt Winkler vornehmlich als Opfer einer über das Internet organisierten Hasskampagne dar. Dabei werden dessen Handlungen und Ansichten aber weder idealisiert, noch wird er als frei von Schuld dargestellt.
Behroz inszeniert Winklers Konflikt mit seinen Hatern im Kontext einer sich verändernden Medienlandschaft, in der die Extreme und Abgründe sozialen Handelns zunehmend verstärkt werden. Das wird vor allem in der dritten Episode deutlich, die sich mit den Anfängen des Reality-TV beschäftigt. Am Beispiel von Shows wie MTVs „The Real World“ und „Big Brother“ wird gezeigt, wie zum ersten Mal „normale“ Menschen von einem breiten Publikum, wie „echte“ Stars sowohl überhöht und verehrt als auch verachtet und beschimpft werden. Befinden sich diese Medienlaien noch in der Schutzzone einer professionellen Medienindustrie, die sie beraten und unterstützen kann, sind Youtuber wie Winkler den Zurückweisungen und Anmaßungen ihrer „Anti-Fans” völlig schutzlos ausgeliefert: „Über 40 Jahre nach seiner ersten Inkarnation löst Reality TV sein wichtigstes Versprechen ein: Es wird echt“, beschreibt Behroz die Entwicklung und meint damit das Wegfallen der Grenzen zwischen der als „Spiel“ akzeptierten Inszenierung, die nur innerhalb eines Mediums Konsequenzen hat und der Realität, in der die Handlungen einer Person immer unmittelbar mit dem Weltbild dieses Menschen gleichgesetzt werden.
In der vierten Episode wird diese neue Dynamik, die laut Behroz erst durch die vernetzte Kommunikation über Social Media Plattformen möglich wird, am Beispiel der Internet-Fan-Kultur vertieft. Während es vorher ein Machtgefälle zwischen Stars und ihren Fans gab, macht es das Internet nun möglich, dass sich diese Fangruppen zu großen Bewegungen vernetzen und in der Lage sind, ihre eigenen Interessen durchzusetzen. Als Beispiel dienen hier unter anderem die Fans von Britney Spears, die durch die koordinierte Kampagne #FreeBritney Spears Betreuungssituation unter ihrem Vater nachhaltig beeinflussten.
„Cui Bono – Wer hat Angst vor dem Drachenlord“ zeigt, wie dieser Machtausgleich zwischen einem Star und seinen „Fans“ im schlimmsten Fall in einer Hass- und Gewaltspirale endet, die sowohl die Grenzen unseres sozialen Miteinanders als auch die unseres Justizsystems auf unangenehme Weise aufzeigt. Der Journalist Khesrau Behroz schildert zwar hier einen in seiner Extremität beispiellosen Fall. Das große Verdienst der Serie ist es jedoch, wie mittels Interviews und Darstellungen herausgearbeitet wird, welche sozialen und medialen Phänomene der Eskalation zugrunde liegen. Mithilfe des Podcasts lässt sich anschaulich vermitteln, wie Digitalität die Machtstrukturen innerhalb der gesellschaftlichen Kommunikation nachhaltig verändert.