Wie ein Computermodell die Grenzen des Wachstums fand

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Wie ein Computermodell die Grenzen des Wachstums fand

»Die Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit«

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Geschrieben von Matthias Karlbauer

Bei te.ma veröffentlicht 27.05.2023

te.ma DOI https://doi.org/10.57964/a021-n125

Geschrieben von Matthias Karlbauer
Bei te.ma veröffentlicht 27.05.2023
te.ma DOI https://doi.org/10.57964/a021-n125

Die Ausbeutung planetarer Ressourcen wird 2030 zum Systemkollaps führen und globale Hungersnöte auslösen. Das sagten die Forschenden des Club of Rome in ihrem 1972 erschienenen Buch vorher und brachten die Debatte um die begrenzten Ressourcen unseres Planeten damit erstmals auf die großen Bühnen von Politik und Gesellschaft. Gestützt waren die Prognosen auf eine im Rückblick verblüffend präzise Computersimulation. 

17 WissenschaftlerInnen aus der ganzen Welt hatten 1972 das Modell World3 entwickelt, das den menschlichen Effekt auf die Umwelt untersucht. Wie jedes Modell war auch dieses nicht perfekt, sondern übervereinfacht und unvollständig. Die Modellvorhersagen unter der Annahme des „business as usual“ waren jedoch alarmierend: Um das Jahr 2025 herum werde die globale Wirtschaftsleistung ihren Höhepunkt erreicht haben und anschließend rapide abfallen. In der Folge werden Nahrungsmittel und Dienstleistungen knapper und die Weltbevölkerung werde 2030 beginnen zu schrumpfen.

Tatsächlich deckt sich die Prognose einer saturierten Wirtschaft mit den Aussagen von Adam Smith und John Stuart Mill, den Pionieren unserer modernen Wirtschaft. So würde Wachstum enden, wenn alle so viel hätten, wie sie kaufen könnten, und sogar schrumpfen, sobald Ressourcen erschöpft seien. Auf den Bericht des Club of Rome folgten orkanartiger Gegenwind und diffamierende Anschuldigungen aus der Wirtschaft. Immerhin rüttelten die Forderungen der AutorInnengruppe an den Grundfesten des Wohlstands durch Wachstum, indem sie auf ein zentrales Problem hinwiesen: Die planetaren Ressourcen sind endlich und die Grenzen des Wachstums bald erreicht.

40 Jahre nach der Veröffentlichung des Berichts bestätigte der Journalist Mark Strauss die damaligen Vorhersagen als beachtlich akkurat (Abbildung). Auch jüngere Studien unterstreichen die Vorhersagegenauigkeit der mittlerweile 50 Jahre zurückliegenden Projektion in unsere Gegenwart.1 Darin wird der Systemkollaps teilweise zwar um 20 Jahre nach hinten verschoben und somit für 2052 prognostiziert2; allerdings mit größeren Auswirkungen.3 Unabhängig davon mahnen VertreterInnen aus Wissenschaft4 und Gesellschaft5 gerade heute vor einem viel zu geringen Engagement und Tempo, um die Biodiversitätsverluste, Verschmutzungskrise und Klimakatastrophe noch einzudämmen. Ihr Argument: Die düsteren Vorhersagen des Club of Rome basieren auf der Annahme des „business as usual“ von 1972; wir sind dieser Zukunft also nicht ohnmächtig ausgesetzt. Unter der Annahme eines nachhaltigen Wirtschaftens – ohne Umweltverschmutzung, ohne Zerstörung von Ökosystemen und ohne die Ausbeutung der Erdressourcen – prognostizierte dasselbe Modell nämlich auch keinen Systemkollaps.

Die originalen Modellvorhersagen aus dem Jahr 1972 für unterschiedliche Bereiche sind gepunktet abgebildet. Eine Analyse aus dem Jahr 2012 zeigt die Genauigkeit der Vorhersagen bis ins Jahr 2000 anhand von Beobachtungsdaten (fette Linien). Anhand der Daten aus Gaya Herringtons Studie haben wir die fetten Linien von 2000 bis 2020 ergänzt. Die Beobachtungen von heute bestätigen die damals vorhergesagten Trends teilweise akkurat. Besonders der Rückgang der nicht-erneuerbaren Ressourcen ist jedoch wesentlich geringer als ursprünglich vorhergesagt. Das spricht für eine zeitliche Hinauszögerung der Kipppunkte. (Bildquelle: https://www.smithsonianmag.com/science-nature/looking-back-on-the-limits-of-growth-125269840/)

Das gegenwärtig zunehmende Bewusstsein für nachhaltige Entwicklung lässt sich auf eine Kernaussage des Club of Rome stützen: Das Wachstum, auf dem unsere Wirtschaft basiert, ist exponentiell. Das heißt, wenn die Wirtschaft auf der Ausbeutung planetarer Ressourcen beruht, wird die Erde früher oder später erschöpft sein. Sobald dieser Kipppunkt erreicht ist, wird nicht nur die Grundlage der Wirtschaft aufgebraucht, sondern als Konsequenz auch die Ernährungssicherheit der Bevölkerung massiv gefährdet sein. Außerdem äußern sich fatale Effekte der Umweltverschmutzung erst nach einer enormen Verzögerung. So verhält es sich etwa mit dem globalen Temperaturanstieg und der Intensivierung von Wetterextremen.

Doch was lernen wir aus der aufsehenerregenden Veröffentlichung? In Essenz erlaubt der Bericht zwei fundamentale Schlussfolgerungen:

  1. Die Menschheit ist in der Lage, das äußerst komplexe Ökosystem zu erfassen und vorherzusagen. Bereits vor 50 Jahren gelang dies mit ansehnlicher Genauigkeit. Darüber hinaus können wir unter Inbezugnahme moderner Algorithmen des maschinellen Lernens eines erwarten: Die Vorhersagen von Computersimulationen werden weiter verbessert, um immer genauere Projektionen in die Zukunft zu erlauben.

  2. Die Reaktion der Gesellschaft auf den Bericht zeigt, wie träge und widerwillig wir auf schlechte Nachrichten reagieren, wenn sie auf Vorhersagen beruhen. Das kann sowohl psychologisch im irrationalen Festhalten am Status Quo6 begründet sein, als auch systemisch durch etablierte und gewinnbringende Strukturen in der Wirtschaft und deren Lobbys erklärt werden.


Ganz ohne Auswirkungen blieb der Bericht zur Lage der Menschheit jedoch nicht. Bereits 1972 wurde das UN-Umweltprogramm (United Nations Environment Programme, UNEP)  ins Leben gerufen, um nachhaltige Umweltstrategien zu etablieren. Außerdem stimulierte die Studie die Gründung neuer Forschungszweige über Green- und Post-Growth7. Diese befassen sich mit der Entwicklung von ganzheitlich nachhaltigen Wirtschafts- und Gesellschaftsstrukturen unter Berücksichtigung sozialer, ökonomischer und ökologischer Aspekte. Die Kritik an Meadows und ihren Co-Autoren reißt indes bis heute nicht ab. So verweist der deutsche Journalist Bastian Brinkmann8 die Studie zurück ins Bücherregal: Das Potenzial grüner Energie durch technologischen Fortschritt sei nicht ausreichend berücksichtigt worden. Die damaligen Prognosen seien also überholt und verzerren die Debatte um notwendige Maßnahmen im Licht heutiger Errungenschaften und Möglichkeiten.

Wie auch immer man auf das Buch zurückblicken mag, bleibt eines festzuhalten: Auch wenn unsere Modellprognosen – mitunter dank moderner Technologien aus dem Bereich der künstlichen Intelligenz – immer genauer werden, müssen wir lernen, diese nicht nur korrekt zu interpretieren, sondern sie auch ernst zu nehmen. Und zwar auch dann, wenn das Veränderung bedeutet und wir unsere bequemen Gewohnheiten überwinden müssen. 

Fußnoten
8

Graham M. Turner: A comparison of The Limits to Growth with 30 years of reality. In: Global Environmental Change. Nr. 18, 2008, S. 379-411; Gaya Herrington: Update to limits to growth: Comparing the World3 model with empirical data. In: Journal of Industrial Ecology. Nr. 25, 2021, S. 614-626.

J. Randers: 2052: A global forecast for the next forty years. Chelsea Green Publishing, 2012, ISBN 978-1-60358-467-8.

G. Turner: Is Global Collapse Imminent? An Updated Comparison of the Limits to Growth with Historical Data. In: MSSI Research Paper. Nr. 4, 2014.

Club of Rome fordert Reform der Weltklimakonferenzen. science.ORF.at, 28. Februar 2023, abgerufen am 26. Mai 2023. 

Wenn wir beispielsweise dem emotionalen Prinzip folgen, „es wird uns schon nicht so schlimm erwischen“, ohne dafür Belege zu haben.

Bastian Brinkmann: „Grenzen des Wachstums“ gehört zurück ins Bücherregal. In:  Süddeutsche Zeitung. 14. März 2022, abgerufen am 26. Mai 2023. 

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Ein Kipppunkt ist im Erd- und Klimasystem ein kritischer Grenzwert, an dem eine kleine zusätzliche Störung zu einer qualitativen Veränderung im System führen kann. Sie ist oft abrupt und unumkehrbar.

Das sogenannte World3-Modell ist eine Computersimulation, die verschiedene Variablen in Relation setzt und diese vorhersagt, darunter die menschliche Populationsgröße unter Berücksichtigung von Geburten- und Sterberate, die Höhe des industriellen und landwirtschaftlichen Kapitals, die Fläche des kultivierten Landes und die Menge der erzeugten Nahrungsmittel, den Dienstleistungssektor sowie die Verfügbarkeit von nicht-erneuerbaren Ressourcen und die Umweltverschmutzung.

Als „business as usual“ (Geschäft wie üblich) wird die Fortsetzung der aktuellen globalen Wirtschaft, Politik und Gesellschaft verstanden. Das heißt, die momentan geltenden Maximen und Prinzipien werden auch über die folgenden Jahre unverändert angewandt.

Unter einer saturierten Wirtschaft wird stagnierendes Wachstum verstanden. Das heißt, wenn die Wirtschaft nicht weiter wächst, ist sie saturiert (gesättigt).

Green Growth (auf Deutsch: Grünes Wachstum) bezeichnet die Kombination von Wirtschaftswachstum und Umweltschutz. Umgesetzt werden kann es nur, wenn die Wirtschaftsleistung nicht mit Umweltverschmutzung und -schäden einhergeht. Unter Post-Growth wiederum wird die Auffassung verstanden, nach der es auf einem Planeten mit endlichen materiellen Ressourcen kein unendliches Wirtschaftswachstum geben kann und deswegen nach anderen Techniken gesucht werden muss, um das menschliche Wohlergehen zu steigern.

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Während das Model und seine Genauigkeit beeindruckend sind, zweifle ich die Aussage “wir sind dieser Zukunft also nicht ohnmächtig ausgesetzt” in gewissem Maße an. Natürlich kann und sollte jeder von uns etwas für den Klimaschutz tun, aber die großen politischen Maßnahmen bleiben seit 1972 nun mal aus. Zwar entsteht langsam das Bewusstsein für die Notwendigkeit, in größerem Rahmen zu handeln, aber ich frage mich, ob es dafür jetzt nicht doch schon zu spät ist.

<Deleted>
Jun 15, 2023 22:57
Total 1

Da diese Prognose über unsere Zukunft bereits 1972 aufgestellt wurde und wir jetzt kurz vor Überschreitung von Kipp-Punkten sind (oder vielleicht schon darüber), finde ich es umso erschreckender, dass nach wie vor so wenig gehandelt wird - sowohl politisch, als auch individuell. Mit jedem Tag erkennen wir doch, dass die Prognose wirklich sehr präzise ist - dann sollten wir doch auch schon längst erkannt haben, dass wir wirklich handeln müssen.

Wenn wir aktuell dieser Zukunft noch nicht ganz ohnmächtig ausgeliefert sind, dann sollten wir diesen Zeitpunkt nutzen und einer solch präzisen Prognose mehr Vertrauen schenken - unabhängig davon, ob der Kipp-Punkt 2025, 2026, oder erst 2030 erreicht wird. Sonst sind wir bald einer düsteren Zukunft wirklich ohnmächtig ausgeliefert.

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Sehr beeindruckende Vorhersage aus dem Jahr 1972, die gleichzeitig jedoch sehr erschreckend ist.

Während dem Lesen bin ich nach und nach immer mehr über den Begriff „business as usual“ gestolpert. Dieser impliziert meiner Auffassung nach eine gewisse Statik in Politik, Regierung und Gesellschaft. Da ich 1972 noch nicht gelebt habe, kann ich den Unterschied schwer begreifen, aber dennoch habe ich den Eindruck, dass Bewusstsein für Klimaschutz und die (Nicht-)Nachhaltigkeit unseres Wirtschaftssystems mehr in die Köpfe vieler Menschen vorgedrungen ist. Dieser Eindruck kann aber natürlich auch Teil der Tübinger Bubble sein, ist ja irgendwie immer schwer zu sagen.

Die Reaktion von Bastian Brinkmann teile ich zwar nicht, jedoch sind meiner Meinung nach die Möglichkeiten zu handeln gewachsen und durch neue Technologien können wir Entscheidungen für den Klimaschutz vielleicht sogar schneller und besser umsetzen - wir müssen uns nur dafür entscheiden.

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