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Digitale Revolution und Bildung: Für eine zukunftsfähige Medienkompetenz

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Digitale Revolution und Bildung: Für eine zukunftsfähige Medienkompetenz

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Geschrieben von Ulrike Schulz

Bei te.ma veröffentlicht 12.12.2022

te.ma DOI 10.57964/yt0s-v928

Geschrieben von Ulrike Schulz
Bei te.ma veröffentlicht 12.12.2022
te.ma DOI 10.57964/yt0s-v928

Roberto Simanowski begleitet die Diskussion über die digitale Transformation in der Bildung schon seit langem mit seinen tiefgründigen und kritischen Wortmeldungen. In der 2021 erschienenen Essaysammlung zur Digitalen Revolution und Bildung finden sich seine Befunde gebündelt und um die Frage aktualisiert, ob die Corona-Pandemie grundsätzlich neue Bedingungen zur Bewertung der Lage geschaffen hat. Im Ergebnis bleibt es bei seinem vehementen Plädoyer, die sogenannte „Medienbildung“ in der Schule nicht auf „verkehrspolizeiliche und arbeitsmarktrelevante Aspekte“ zu verengen.

Roberto Simanowski hat stets darauf hingewiesen, wie bedeutsam die Unterscheidung ist, ob unter „Medienbildung“ eine Mediennutzungskompetenz, also das Lernen mit „neuen Medien“, oder eine Medienreflexionskompetenz, also das Lernen über die „neuen Medien“ verstanden wird.1 Mittlerweile hat sich diese Unterscheidung bei den verantwortlichen Akteuren des Bildungswesens und in den Kultusministerien vollkommen durchgesetzt. Kein Strategiepapier oder Begleittext zur Lehrplanung für die „Bildung in der digitalen Welt“ würde sich dem Anspruch entgegenstellen, dass bei der „Medienbildung“ immer beides gemeint sein und praktiziert werden muss.

Die Realität, so zeigt Simanowski in jedem der insgesamt sieben Essays, sieht jedoch anders aus. Entgegen aller sicherlich ernst gemeinten Verlautbarungen hat sich an der konzeptionellen Steuerung und konkreten Impulsen für die Unterrichtsgestaltung kaum etwas verändert. Sie sei zu stark auf den Arbeitsmarkt ausgerichtet und würde in einem „verkehrspolizeilichen Geist“ operieren. Simanowski meint hiermit eine Medienbildung, die sich um die „Vermittlung von Umgangsregeln“ kümmert, „um Unfälle im Digitalen zu vermeiden“. Dazu passen semantisch ihre Zertifikate, etwa für die Lehrkräfte, die von Bundesland zu Bundesland nur geringfügig wechselnd als „Surfschein” oder „Medienführerschein'' bezeichnet werden. Nach Simanowski ist das keine Medienbildung, sondern eine Medienkunde (Verkehrskunde) im Sinne eines „handlungsorientierten und zweckrationalen Verfügungswissens“. Dieses Verfügungswissen ist ganz klar auf den Arbeitsmarkt ausgerichtet, wo sich der Nutzen dieser so verstandenen Medienkompetenz er- und beweisen müsse.

An diesen Trends des letzten Jahrzehnts, so Simanowski, hat sich auch während der Corona Pandemie kaum etwas verändert. Im Gegenteil: die zuständigen Ministerien in Bund und Ländern haben unisono signalisiert, den Anforderungen der Digitalisierung jetzt zügig und umstandslos gerecht werden zu wollen, anstatt diese je nach Themenfeld und zugrunde liegenden Prämissen sorgsam zu prüfen. Die Maßnahmen und deren Finanzierung wurden während Corona nochmals deutlich verstärkt - zu Ungunsten der Medienreflexionskompetenz. Es war die Stunde der technikbegeisterten Digitalisierungsoptimisten und sie kreierte insbesondere für Aus- und Weiterbildungsinstitute sowie kommerzielle Softwareanbieter das lang ersehnte - gewinnverheißende - Momentum: ein Szenario wie aus einem längst vergangenen Wahlkampf: „Digitalisierung First, Bedenken Second.“2 Die Zweifler und notorischen Mahner hatten nun endgültig ihr Gewicht in der Debatte verloren. Simanowski geht in seiner Kritik so weit, von einem Versagen der Politik und Bildungspolitik zu sprechen. Er gewinne den Eindruck, dass sich die Politik der Aufgabe nicht gestellt habe, die gesellschaftlichen Veränderungsprozesse der digitalen Revolution konzeptionell mitzugestalten. Stattdessen habe sie sich - wider besseren Wissens und Beratung durch Fachgremien - der Dynamik und Logik von Technik und Wirtschaft übergeben.

Simanowski spricht sich keineswegs dagegen aus, Mediennutzungskompetenz zu erwerben. Sie sollte nur dem Erwerb der Medienreflexionskompetenz nicht entgegenstehen oder gar mit ihr verwechselt werden. Es ist notwendig und auch möglich, beide zu verbinden, aber diese Verknüpfung geschieht nicht von selbst. Es müssten strukturelle und schulorganisatorische Voraussetzungen durch die Schulverwaltungen geschaffen werden sowie auch finanzielle Ressourcen für die Lehrkräfte zur Verfügung stehen, damit diese mit einer guten didaktischen Ausbildung sowie individuellem Geschick beide Dimensionen in Szene setzen können. Die Lehrkräfte sind es, die zwischen den Welten vermitteln und sie sollten unmissverständlich die Risiken der Technik und Digitalisierung thematisieren und gemeinsam mit den Schülern die Worst-Case Szenarien durchspielen - nicht, um Angst und Schrecken zu verbreiten, sondern, weil diese Risiken reell bestehen, seien es ethische Fragen zum autonomen Fahren, seien es die Verwerfungen von Plattformwirtschaft, Datafizierung und Social Media. 

Insofern vertritt Simanowski einen nachhaltigen, nicht-funktionalisierten Bildungsbegriff. Bildung darf für ihn nicht nur auf das individuelle „Werte- und Leistungsportfolio“ eines zukünftigen Arbeitsmarktes abzielen, sondern muss auch auf die Folgen in der Gesellschaft ausgerichtet sein. Darauf müssten konsequenterweise auch die Inhalte angepasst werden, die im Unterricht zu vermitteln seien. Am Beispiel des verpflichtenden Informatikunterrichts, den er grundsätzlich begrüßt, zeigt sich dieses Spannungsverhältnis. Der Informatikunterricht müsse sich neben der Vermittlung informatischen Grundwissens eben auch mit Technikfolgen befassen. Bisher sei diese Ausrichtung aber alles andere als abgesichert und solange „die geisteswissenschaftliche Erweiterung technischer Fächer eine bloße Zukunftsidee bleibt, ist man gut beraten, auf die Kompetenzen der geistes- und gesellschaftswissenschaftlichen Fächer zu setzen. […] Die Aufgabe dieser Fächer liegt in der Vermittlung von Fertigkeiten, die in umfassender und nachhaltiger Weise auf die Herausforderungen der Digitalisierung reagieren: zum einen durch die Diskussion der gesellschaftlichen Konsequenzen der digitalen Medien, zum anderen durch die Sicherung jener alten analogen Kompetenzen, die unter den Kommunikationsbedingungen der digitalen Medien gefährdet sind: vom geduldigen Zuhören über die konzentrierte Lektüre komplexer Texte bis zur ergebnisoffenen, sachlichen, toleranten, selbstkritischen Diskussion.“

Fußnoten
2

Roberto Simanowski, Stumme Medien, Berlin 2018, S. 82-153.

Wahlslogan der FDP im Bundestagswahlkampf im Jahr 2017.

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