Wie vermittelt man den Holodomor?

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Daria Mattingly2020

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Geschrieben von Hera Shokohi

Bei te.ma veröffentlicht 30.03.2023

te.ma DOI https://doi.org/10.57964/p7n3-h090

Geschrieben von Hera Shokohi
Bei te.ma veröffentlicht 30.03.2023
te.ma DOI https://doi.org/10.57964/p7n3-h090

In ihrem Aufsatz für den Sammelband Museums of Communism führt Daria Mattingly die Leser durch das Holodomor-Gedenkmuseum in der ukrainischen Hauptstadt Kyjiw. Bei der Beschreibung der Gedenkstätte analysiert sie die Symbolik und die Narrative, die von dem Gedenkmuseum dargestellt und reproduziert werden.

Das Kyjiwer Holodomor-Gedenkmuseum sei von Anfang an darauf ausgelegt, dass die Besucher den Holodomor als Genozid anerkennen, so Daria Mattingly. Da das Museum direkt dem ukrainischen Kulturministerium untergeordnet ist, sei es ein Ort, an dem Akteure der Geschichtspolitik ihre präferierten Narrative stärken würden.

Die zentrale Thematik des Gedenkmuseums sei, dass der Holodomor ein Genozid an der ukrainischen Bevölkerung sei, der von der Sowjetunion durchgeführt wurde. Da Russland der Rechtsnachfolger der Sowjetunion ist, betrachte man Russland als Unterdrücker, der der Ukraine Leid angetan hat. 

Aus diesem Grund finden sich im Gedenkmuseum immer wieder Elemente ukrainischer Kultur: Im Ausstellungssaal sind Replikate historischer Werkzeuge der vorsowjetischen ukrainischen Bauernschaft ausgestellt, die das ursprüngliche, indigene Leben vor der sowjetischen Gewalt darstellen sollen. An vielen anderen Stellen wird auch mit ästhetischen Symbolen des ukrainischen Bauerntums gespielt: Der Weg in das Gedenkmuseum ist mit schwarzen Pflastersteinen gestaltet, die die fruchtbare schwarze Erde der Ukraine symbolisieren sollen. Zudem finden sich oft Muster ukrainischer Stickerei in der Ausgestaltung des Gedenkmuseums, sowohl am großen kerzenförmigen Turm, der den Eingang zum unterirdischen Ausstellungssaal markiert, als auch an den Säulen, die sich im Saal befinden.

Neben Bezügen zur ukrainischen Landwirtschaft und zu kulturellen Praktiken nimmt auch der christliche Glaube einen zentralen Raum ein. Der kerzenförmige Turm ist mit mehreren Kreuzen in verschiedenen Größen verziert – die großen stehen für die erwachsenen Opfer, die kleinen für die jugendlichen und minderjährigen Opfer der Hungersnot. Der Eingang zum Gelände des Gedenkmuseums wird durch zwei Engelsskulpturen markiert, die als Wächter der Seelen der Opfer dienen sollen. 

Mattingly merkt an, dass es schwierig sei, emotionalisierende Geschehnisse wie den Holodomor in Museen darzustellen. Die größte Herausforderung dabei liege vor allem in den Grenzen der Identifikationsmöglichkeit: Die Mehrheit der Ukrainer könnte sich nicht mit dem Leben der Opfer identifizieren, da dieser ländliche Lebensstil der Bauernschaft größtenteils verdrängt wurde und zwei Drittel der Bevölkerung im urbanen Raum leben. Diese Kluft könnte eine Herausforderung für die Bildung des nationalen Bewusstseins sein. Das Gedenkmuseum sei zudem, so Mattingly, nicht nur ein Ort, der den Opfern der Hungersnot gewidmet ist, sondern auch ein Schauplatz für die Ukraine als Nation, die immer unterdrückt wurde und um Unabhängigkeit gekämpft hat. 

Im Krieg Russlands gegen die Ukraine nimmt die Erinnerung an die ukrainische Leidensgeschichte eine zentrale Position ein: Der russische Angriffskrieg wird als ein Ereignis in einer langen historischen Kette der russischen Gewalt gegenüber Russland eingeordnet und das Holodomor-Gedenkmuseum dokumentiert ebendiese Gewalttaten. Scrollt man durch den Newsfeed auf der Museumswebsite sieht man, dass sich die Mehrheit der Artikel mit den Themen Genozidanerkennung und Dokumentation von Kriegsverbrechen beschäftigt. Im Juni 2022 konzipierte das Museum eine Ausstellung mit dem Titel The Not Condemned Genocide of Ukrainians Repeats, die sich mit der Vergangenheit und Gegenwart russischer Gewalt gegenüber der Ukraine beschäftigt. Das Museum ist somit im Krieg auch zu einem politischen Akteur geworden, der sich für eine Anerkennung der Gewalterfahrung einsetzt.

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