Sprache als Identitätsmarker: Was Worte über uns verraten

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Britta Schneider, May Rostom2023
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Sprache als Identitätsmarker: Was Worte über uns verraten

»Wie Sprache Barrieren schafft – und aufbrechen kann«

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Geschrieben von Deborah Arbes

Bei te.ma veröffentlicht 20.07.2023

Geschrieben von Deborah Arbes
Bei te.ma veröffentlicht 20.07.2023

Sprache ist mehr als nur ein Kommunikationswerkzeug. Wir nutzen sie, um Identität, Gemeinschaft und Zugehörigkeit zu schaffen, und schließen damit Menschen sowohl ein als auch aus. Anlässlich der Veranstaltung „Der utopische Raum – Sprache kosmopolitisch denken“ von medico international, dem Institut für Sozialforschung und der Frankfurter Rundschau diskutieren Britta Schneider und May Rostom, welche Ideologien über Sprache vorherrschend sind, warum wir in verschiedenen Situationen unterschiedlich sprechen und was eigentlich einen Dialekt von einer Sprache unterscheidet.

„In Deutschland spricht man Hochdeutsch, die richtigen Wörter stehen im Duden, und wer in Deutschland leben will, muss Deutsch können“: So oder so ähnlich klingen jene grundsätzlichen Aussagen, die Linguist*innen als Sprachideologien bezeichnen. Es sind Positionen und Argumente, die unsere Vorstellungen von Sprache und dem Zusammenleben in diesem Land prägen. Um einen Blick über den ideologischen Tellerrand zu werfen, lohnt es sich, diese Ideologien aufzubrechen und zu hinterfragen. Einen Beitrag dazu liefern Britta Schneider und May Rostom. Im Interview mit der Frankfurter Rundschau umreißen die beiden Kulturlinguistinnen die große Vielfalt nationaler Sprachpraktiken sowie deren Potenzial, Identitäten zu prägen.

Dabei fordern Schneider und Rostom besonders die Idee eines sprachlichen Purismus heraus. Denn unsere gemeinsame Sprache, die wir zusammenfassend „Deutsch“ nennen und die manche gerne eingrenzen möchten, ist facettenreicher als oft angenommen: Wir sprechen nicht immer alle gleich; die deutsche Sprachlandschaft ist geprägt von regionalen und soziokulturellen Unterschieden. Menschen passen ihre Sprachpraxis je nach Situation und Gesprächspartner*in intuitiv an – auch, um damit etwas über sich selbst auszudrücken. „Es ist unvermeidlich, dass wir durch unsere Sprache markieren, wer wir sein wollen und mit wem wir zusammen sein wollen. Wir haben keine andere Wahl“, sagt Britta Schneider. Diese Art von „Mehrsprachigkeit“ erfülle mehrere Zwecke: Freund*innen gegenüber zeigen wir durch ähnlichen Sprachgebrauch Nähe und Intimität, während z.B. das Sprechen von Dialekt Zugehörigkeit zu einer regionalen Gruppe markiert. 

Eine Frage, die sich in diesem Zusammenhang aufdrängt: Was unterscheidet eigentlich einen Dialekt von einer Sprache? Aus linguistischer Sicht sei die Standardsprache nur einer von vielen Dialekten und nicht per se besser oder schlechter, erklärt Schneider. Hochdeutsch, so wie es in der Schule gelehrt wird, sei „historisch gesehen die Sprache der nationalen Elite“ – die Entscheidung, ob etwas „Sprache“ oder „Dialekt“ genannt wird, somit eine rein politische. Problematisch sei es daher, wenn eine sprachpuristische Ideologie dazu führt, dass jede Abweichung von der Hochsprache als falsch angesehen wird. Wie schon der Sprachwissenschaftler Max Weinreich auf den Punkt brachte: „Eine Sprache ist ein Dialekt mit einer Armee und einer Marine“. Deshalb nutzen Schneider und Rostom den Begriff „Repertoire“ für jegliche Arten von Sprachen und Dialekten. 

Sprachprestige spielt nicht nur bei Dialekten eine Rolle. Wer Deutsch mit Akzent spricht, läuft schnell Gefahr, als „nicht wirklich deutsch“ zu gelten. Wenn Menschen mehrsprachig sind und Französisch oder Englisch sprechen, werde das oft als Bereicherung verstanden. Arabisch oder Türkisch als zusätzliche Sprache würden jedoch weniger geschätzt. Dies zeige laut Schneider, wie Sprachprestige und Rassismus miteinander verwoben sind.

Bräuchte die Welt eine gemeinsame, globale Sprache, um diese Ausgrenzungen zu bewältigen? Dies würde nicht die Lösung sein, erklärt May Rostom und appelliert stattdessen dafür, Diversität zu akzeptieren und weniger Angst zu haben, Sprachen „falsch“ zu benutzen. Die Linguistin betrachtet Sprachen in diesem Sinne „als eine gemeinsame Sache, als ein Sprachenlernen“. Denn, so lautet ihre utopische Vision, „wenn wir das als Gemeinsamkeit haben, können wir die Unterschiede und Vermischungen leichter akzeptieren“.

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Sprachideologien sind sozial geformte und mächtige Vorstellungen zu und über Sprachen, Sprachgebrauch und Sprecher*innen.

Sprachprestige ist die (kollektive) Anerkennung oder Wertschätzung einer Sprache oder sprachlichen Varietät.

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