Europa rüstet auf

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Geschrieben von Lucas Hellemeier

Bei te.ma veröffentlicht 27.08.2023

te.ma DOI 10.57964/zk9t-1k40

Geschrieben von Lucas Hellemeier
Bei te.ma veröffentlicht 27.08.2023
te.ma DOI 10.57964/zk9t-1k40

Wieso gestaltet sich die Versorgung der Ukraine mit europäischen Rüstungsgütern so schwierig und langwierig, auch wenn der politische Wille dafür gegeben ist? Hannah Aries, Bastian Giegerich und Tim Lawrenson geben einen Einblick in die strukturellen Herausforderungen der Rüstungsindustrie in Europa, wo nach drei Jahrzehnten des Abbaus der schwierige Prozess der Aufstockung von Produktionskapazitäten begonnen hat.

Der Krieg zwischen Russland und der Ukraine hat erhebliche Mängel in der Verteidigungsbereitschaft der europäischen Nato-Staaten offenbart. Die europäischen Streitkräfte sind unter anderem mit erschöpften Munitionsbeständen, unbrauchbarer Ausrüstung und ausgehöhlten militärischen Fähigkeiten konfrontiert. Als Reaktion darauf, um die Mängel zu beheben und die Modernisierung und das Wachstum ihrer Streitkräfte zu unterstützen, haben viele Staaten eine Erhöhung ihrer Verteidigungsausgaben angekündigt.

Die europäische Verteidigungsindustrie, so die Diagnose von Aries, Giegerich und Lawrenson, habe jedoch Schwierigkeiten, die gestiegene Nachfrage kurzfristig zu decken. Zu den Kapazitäten des Sektors gehörten nicht nur Fabriken und Werften, sondern auch ein komplexes Netz von Einrichtungen, spezialisierten Fähigkeiten und der Zugang zu Materialien und Komponenten. Die Wiederaufnahme der Produktion oder die rasche Steigerung des Ausstoßes erweise sich aufgrund von Problemen in den Lieferketten, Engpässen bei Vorprodukten und einer begrenzten Zahl spezialisierter Zulieferer in Europa als schwierig.

Selbst die Produktion relativ einfacher Systeme wie Artilleriegeschosse stoße aufgrund der Knappheiten bei Chemikalien, Metallen und Kunststoffen auf Schwierigkeiten. Die begrenzten Produktionskapazitäten seien nicht in der Lage, mit der enormen Nachfrage nach Munition und Raketen in einem Konflikt mit hoher Intensität Schritt zu halten. Der Krieg in der Ukraine habe insbesondere die Unzulänglichkeit der Kapazitäten der europäischen Verteidigungsindustrie offenbart. Diese sei im Laufe der Jahre aufgrund einer sinkenden Binnennachfrage und der Verlagerung des Schwerpunkts von Einsatzbereitschaft auf Effizienz verkleinert worden.

Aries, Giegerich und Lawrenson identifizieren eine entscheidende Schwachstelle vor dem Kontext des Krieges: In der Vergangenheit hätten die europäischen Rüstungshersteller gezögert, ohne feste Verträge oder langfristige Verpflichtungen seitens der Kunden in Produktionsanlagen zu investieren, da die Verteidigungsministerien häufig Kürzungen aufgrund veränderter Umstände vorgenommen hätten. Die Industrie habe daher immer wieder Rahmenverträge über längere Zeiträume gefordert, um die Risiken zu verringern. Die Ungewissheit im Zusammenhang mit1 dem Krieg in der Ukraine (Wie lange dauert er? Wie intensiv wird er geführt?) und die Zweifel an der nachhaltigen Erhöhung der Verteidigungsausgaben würden es den Unternehmen nach wie vor erschweren, ihre Produktion auszuweiten. Diese Situation vergrößert den strukturellen Nachteil der EU gegenüber der US-amerikanischen Konkurrenz, die aufgrund des nahezu stetig wachsenden Verteidigungshaushalts von kontinuierlichen Entwicklungs- und Produktionsaufträgen profitieren konnte.

Trotz dieser Herausforderungen zeigen sich einige Rüstungsunternehmen optimistisch und investieren in neue Produktionskapazitäten. Rheinmetall beispielsweise hat seine Produktionsanlagen erweitert, zusätzliches Personal eingestellt und Pläne für neue Fabriken und Übernahmen angekündigt, um die Kapazität zu erhöhen. BAE Systems, ein weiteres großes europäisches Rüstungsunternehmen, hat neue Aufträge in Rekordhöhe erhalten und die Zahl der Schichten in seinen Munitionswerken erhöht.

Doch nicht alle Probleme der Verteidigungsindustrie seien struktureller Natur, so die Autoren. Einige Unternehmen sähen sich mit Hindernissen auf Unternehmensebene konfrontiert, wo allgemeine Geschäftsprioritäten flexible Anpassungen in der Verteidigungsabteilung behindern könnten. Denn in Unternehmen, in denen die Verteidigungssparte nur einen geringen Teil des Gesamtumsatzes ausmacht, können die Prioritäten auf Investitionen in anderen Bereichen liegen. Kurzfristiges Denken bei der Beschaffung von Rüstungsgütern und bürokratische Verfahren stellten die Branche ebenfalls vor Herausforderungen. Insbesondere die EU und somit auch der europäische Teil der Nato ständen vor der Herausforderung, die materielle Basis ihrer Verteidigungsfähigkeit auf langfristig nachhaltigere Fundamente zu stellen. Nachhaltig bedeutet in diesem Kontext eine solide langfristige Finanzierung sowie die kontinuierliche Produktion von Rüstungsgütern.

Vor diesem Hintergrund weisen die Autoren auf das Momentum für eine verstärkte und effektivere europäische Rüstungskooperation hin. So sollte die Nato Zielsetzungen bezüglich Bevorratung von Kriegsmaterial sowie für rüstungsindustrielle Kapazitäten in ihren Planungsprozess aufnehmen. Allerdings seien die bisherigen EU-Maßnahmen unzureichend, um eine Konsolidierung der europäischen Rüstungsindustrie voranzubringen. Des Weiteren zeigten einige der seit Februar 2022 getroffenen Entscheidungen, dass die EU-Mitgliedsstaaten die Beschaffung nicht-europäischen Materials gegenüber der oftmals langwierigen und komplizierten europäischen Kooperation bevorzugten. Die Bundesrepublik hat sich nicht nur für die Beschaffung der US-amerikanischen F-35-Kampfjets entschieden, sondern auch für einen schweren Transporthubschrauber aus US-Produktion sowie für das Seefernaufklärungs- und U-Boot-Jagdflugzeug P-8 Poseidon von Boeing – anstelle einer deutsch-französischen Entwicklungskooperation. Beim Kampfhubschrauber Tiger scheint sich Berlin gegen eine gemeinsame Weiterentwicklung mit Frankreich und Spanien und langfristig für ein US-amerikanisches Modell zu entscheiden. Europa bleibe allerdings nichts anderes übrig, so die Bilanz von Aries, Giegerich und Lawrenson, als seine konventionellen Abschreckungsfähigkeiten zu stärken, um nicht von den USA abhängig zu bleiben.

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