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Hallo Alex Putzer, der Event-Begriff ist dazu zwar unbrauchbar (da viel zu unterschiedlich verwendet), aber ja, bereits frühere anthropogene Veränderungen und den immensen Impakt des Menschen seit Mitte des 20. Jahrhunderts zusammendenken, ist natürlich richtig und wichtig. Allerdings wäre der direkte Vergleich des erdsystemaren Fußabdrucks des Menschen im späten Pleistozän und dann im Holozän etwa wie der Vergleich des Effekts einer Gewehrkugel und einer Atombombe. Wir (d.h. die Anthropocene Working Group) haben dazu etliche Papers, auch direkte Antworten auf Gibbard et al. geschrieben und Vorschläge dazu gemacht. Eine (von uns vorgeschlagene) ‘Anthropogenic Modification Episode’ (nicht Event) umfasst alles obige, also das Anthropozän und seine Vorgeschichte. Namen für diese AME können auch sein Anthropolithicum, Technolithicum o.ä. (sie würden das Anthropozän am Top beinhalten), oder auch Pre-Anthropocene oder Proto-Anthroprocene (darauf läge dann das Anthropozän). Zwei unserer Papers (auch als Antwort auf Gibbard et al) dazu: https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0012825222002550 und https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/jqs.3467 bzw. meine letztem Blogposts auf dem Anthropozäniker-Blog, insb. https://scilogs.spektrum.de/der-anthropozaeniker/anatomie-eines-falls/ (v.a. Kap. 3 und Kap. 7.3 (dort v.a. Abb. 6)
Vielen Dank, Herr Prof. Leinfelder, für die Links und die Klarstellung. Sofern ich das beurteilen kann wirkt die AME wirklich wie eine gute Zusammenfassung des bisherigen geologischen Menschseins auf diesem Planeten. Wenn ich mir insbesondere Abb. 6 in Kap 7.3 des Anthropozäniker-Blogs anschaue, dann komme ich nicht umher mir vorzustellen, dass es mit zunehmendem Wissen auch für nicht-menschliche (nicht-tierische!) Akteure eine derartige Episodisierung (Fragmentierung?) geben könnte (sollte?). Andersgesagt, bei Berücksichtigung aller Nuancen kann man schlussendlich nie mehr von kohärenten Epochen sprechen - auch vor dem Menschen nicht - sondern ausschließlich von zahllosen episodischen Gleichzeitigkeiten (was dann zu einer sukzessiven Auflösung der ‘chronostratigraphic boundaries’ führt)? Das spiegelt dann zweifelsfrei eine komplexe geologische Realität besser wider. Eventuell verkompliziert es aber auch eine effiziente Suche nach gemeinsamen Nennern, die unabdinglich für die Findung politischer Lösungen sind.
Der Sprung von Geologie zu Politik ist keinesfalls direkt. Ich will keine Äpfel mit Birnen und schon gar keine Gewehrkugeln mit Atombomben vergleichen. Aber irgendwie bleibt doch ein Beigeschmack des Überfokus auf den Menschen, wenn die AME von allen gleichzeitig passierenden Episoden die wichtigste wird (ist wohl meinem Hintergrund im Gebiet der Rechte der Natur geschuldet).
Vielleicht hilft eine Analogie: Nicht alle Menschen leben im Jahr 2024. Und damit mein ich nicht, dass manche in den 90ern hängengeblieben sind. In Äthiopien schreiben manche das Jahr 2016, die jüdische Zeitrechnung steht bei 5784, die muslimische bei 1445. Um sich aber miteinander verständigen zu können, braucht es unausweichlich eine, wenn auch temporäre, Einigung: Wir treffen uns um X. Wenn man nun das Jahr 2024 nimmt, dann akzeptiert man bewusst oder unterbewusst die Vorherrschaft der christlichen Zeit. Bei anderen wäre es anders. Wenn man das AME als neue geologische Zeiteinheit bestimmt, dann isoliert und hebt man (wieder mal) die Wichtigkeit des menschlichen Einflusses hervor, welche ja, wie Sie schreiben, da ist. Aber es stellt trotzdem andere Einflüsse, die es in ihrer Gesamtheit ja auch noch weiterhin gibt (in Abb. 6 ‘sediments lacking direct anthropogenic modification’), in den Hintergrund. Wird die Geologie mit solch einer Einführung also wohl oder übel, unausweichlich sogar, anthropozentrischer?
Lieber Herr Putzer, danke für Ihre Antwort. Hier der Versuch einer Spätabendantwort: Das Anthropozän wäre m.E. sehr missverstanden, wenn man es als anthropozentrisch bezeichnen würde. Es ist eben gerade weder anthropozentrisch noch biozentrisch, sondern verbindet beides - ich spreche gerne von “anthropozänisch” (weswegen mein Blog bei Scilogs auch “der Anthropozäniker” heißt (erreichbar auch via http://www.anthropocene.de ). Also weg von einer uns distant umgebenden Umwelt (in der wir uns nicht wirklich verortet fühlen), hin zu einer “Unswelt” (im Sinne von: das ist unser aller Welt, also aller Pflanzen, Tier, Menschen, Algen, Bakterien etc.). Und die Anthroposphäre steht in dauernder Interaktion mit allen weiten Sphären des Erdsystems.
Wegen der verschiedenen Kalender: ja, das Problem ist mir bewusst. Wir sprechen in der Geologie bei absoluten Altersdatierungen gerne von “before Present”, das wäre 1950 (nach unserem Kalender, aber das kann man dann eben mit anderen Kalendersystemen korrelieren, ein Alter before Present ergäbe dann immer dasselbe Alter in Jahren.
Und noch kurz zu den Sedimenten. Ja, es gibt natürlich schon noch Sedimente, die überwiegend noch ohne starken anthropogenen Einfluss sind, also keine durchgängige “Technosphäre” bilden. Dennoch findet man anthropozäne “Technofossilien” quasi überall, auch in unberührt erscheinenden Sedimenten - und zwar viel einfacher als etwa “Leitfossilien” zur Jura-Zeit. Ich muss z.B. ganz schön hämmern, um endlich mal einen Ammoniten in Juragesteinen zu finden, aber Mikroplastikpartikel sind heute schon überall in den jungen, anthropozänen Sedimenten - in Tiefseesedimenten genauso wie in Bergseen, in Mooren, Böden, Korallenriffen usw usw (in Flüssen und Seen sowieso). Ja, und wir übernehmen sehr viele geologische Prozesse: wir tragen ganze Berge ab, transportieren viel mehr Sediment, als natürlichen Prozessen entspräche, bestimmen, wo Flüsse fließen sollen, schaffen lauter neue Seen (als Stauseen, in denen auch das Sediment abgefangen wird, also nicht mehr bis in die Deltas gelangt), bestimmen, was wo und wie leben darf, heben auch noch den Meeresspiegel und erwärmen das Klima, Dennoch würde ich nicht davon sprechen, dass die Geologie “anthropozentrischer” wird, sondern wir halt insgesamt in allen Disziplinen (und eben besonders auch in der Geologie) viel systemischer an viele Dinge herangehen müssen. Spezialistentum in den einzelnen Disziplinen, um “wissenschaftliche Tiefgrabungen” zu machen und dazu sehr fokussiert zu arbeiten, braucht es natürlich weiterhin, aber das haben wir ja auch überall. Wir benötigen zusätzlich viel mehr inter- und transdisziplinäres, und echte systemische Ansätze. Das öffnet die Augen, zeigt, wie alles mit allem zusammenhängt und interagiert, und bringt uns damit auch wieder näher an die Natur heran.