te.ma ist seit dem 01. August 2024 bis auf Weiteres inaktiv und befindet sich im Archiv-Modus. Alle Publikationen sind weiter zugänglich. Der Kommentarbereich ist jedoch abgeschaltet. Bestehende Nutzerkonten bleiben bis 31. Juli 2025 weiter zugänglich, neue Nutzerkonten können nicht mehr angelegt werden. Unser Newsletter wird nicht mehr weiter bespielt.

Durch Beteiligung und Diskurs die Umwelt schützen

Re-Paper
John Dryzek2014
Re-Paper

Durch Beteiligung und Diskurs die Umwelt schützen

»Institutions for the Anthropocene: Governance in a Changing Earth System«

Inhalte

Intro

Geschrieben von Stefan Ewert

Bei te.ma veröffentlicht 29.07.2024

te.ma DOI https://doi.org/10.57964/tahj-tq70

Geschrieben von Stefan Ewert
Bei te.ma veröffentlicht 29.07.2024
te.ma DOI https://doi.org/10.57964/tahj-tq70

John Dryzek hat sich in vielen Publikationen für deliberative Verfahren, das heißt für eine umfassende Beteiligung der Öffentlichkeit, zum besseren Schutz der Umwelt ausgesprochen. In diesem Aufsatz entwickelt er die These, dass Staaten nicht anpassungsfähig genug für die Herausforderungen des Anthropozäns sind. Experimentelle Formen der Deliberation können hingegen helfen, die Menschheit im sicheren Handlungsraum der planetaren Belastungsgrenzen zu halten.

Aus politik- und sozialwissenschaftlicher Sicht stellt sich ein ganzes Bündel an Fragen zum gesellschaftlichen Leben im Anthropozän und der Politik im Rahmen der Beschreibung planetarer Grenzen. Diagnostisch geht es darum herauszufinden, warum die Menschheit trotz der erdrückenden naturwissenschaftlichen Beweislast und dem Wissen um Auswege bislang daran scheitert, im sicheren Handlungsraum der planetaren Grenzen zu manövrieren. Zudem ist zu fragen, warum Erfolge bei der Einhaltung einiger planetarer Grenzen zu erkennen sind, während in anderen Handlungsfeldern kaum Fortschritte gemacht werden. Schließlich ist die Politikwissenschaft auch als Ratgeberin gefragt, welche politischen Institutionen und Maßnahmen gegen die Überschreitung der Grenzen helfen können.

John Dryzek ist Professor am Institut für Governance und Politikfeldanalysen der Universität von Canberra in Australien und gilt als einer der Hauptvertreter der deliberativen Demokratietheorien, die wiederum die politische Theorie der vergangenen Jahrzehnte stark geprägt haben.1 In zahlreichen Veröffentlichungen zur Umweltpolitik geht er den eingangs genannten Fragen nach. Ausgesprochen häufig zitiert und auch von den Autor*innen des Konzeptes der planetaren Belastungsgrenzen aufgenommen2 ist seine Problemdiagnose, die er in dem hier vorliegenden Aufsatz ausbuchstabiert: Viele Institutionen wie der moderne liberale Staat, kapitalistische Märkte, aber auch einzelne Gesetzeswerke (wie z.B. zum Naturschutz)3 sind von der Menschheit im Zeitalter des Holozäns entwickelt worden. In stabilen Umweltverhältnissen bewährten sich diese Institutionen als Rahmen des menschlichen Zusammenlebens, sind aber für die Lösung der Umweltprobleme im Anthropozän nicht geeignet.

In „einfachen Fällen“ wie der Bekämpfung des Ozonlochs gelang es den Institutionen, sich an die neuen Bedrohungslagen anzupassen. Staaten schlossen sich 1987 im Montreal-Protokoll zur Bekämpfung des Ozonlochs zusammen, die Märkte entwickelten FCKW-freie Alternativen. Im Bereich anderer planetarer Belastungsgrenzen ist die Anpassung bestehender Strukturen jedoch nicht ausreichend – ihre „Pfadabhängigkeit“ verhindert effektive Lösungen. Ein Beispiel hierfür ist für Dryzek das 1992 verabschiedete Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen („United Nations Framework Convention on Climate Change“ UNFCCC), dem es nicht gelingt, den globalen Ausstoß von Treibhausgasen zu reduzieren. Für Dryzek fehlt es dem UNFCCC an „Reflexivität“, also der Fähigkeit, sich als Institution neu zu erfinden, aus Fehlern zu lernen und mit neuen Formen der Zusammenarbeit zu experimentieren.4 Sehr abstrakt formuliert Dryzek die „ökosystemische Reflexivität“ hier als Bedingung für die Lösung der Umweltprobleme: Die Fähigkeit menschlicher Institutionen, auf die nichtmenschliche Umwelt zu hören und eigene Werte daran anzupassen.

Wie ist eine solche Reflexivität zu erreichen und welche Vorschläge zur Lösung der Umweltprobleme macht Dryzek? Er setzt wie viele ökologisch denkende Demokratietheoretiker vor allem auf Deliberation.5 Dabei bleibt er insgesamt abstrakter als etwa Sterner und Kolleg*innen; anders als sie macht er nur wenige konkrete institutionelle Vorschläge. Dryzek argumentiert vor allem mit den guten Erfahrungen, die in experimentellen Gremien gemacht wurden, die Bürger*innen in den Dialog und die Entscheidungsfindung einbeziehen. Neue soziale Bewegungen und Städtenetzwerke geben ihm die Hoffnung einer starken Öffentlichkeit, die über Bürgerbeteiligungs- und Mediationsverfahren in umweltpolitische Entscheidungen einbezogen werden und diese Entscheidungen zielführender machen. Wie in Dryzeks gesamten Werk ist auch hier ein großer Optimismus zu erkennen, dass Beteiligung und herrschaftsfreier Diskurs zu besseren Politikergebnissen führen. Die Hoffnung, dass dieser Optimismus ansteckt und zu guten Resultaten führt, treibt bereits viele lokale Projekte zum Klima- und Artenschutz an.6 Bislang dienen diese Projekte aber nur vereinzelt als Muster für Maßnahmen des Umweltschutzes auf internationaler Ebene.

Fußnoten
6

C. Landwehr: Demokratische Legitimation durch rationale Kommunikation. Theorien deliberativer Demokratie. In: O. Lembcke, C. Ritzi, G. Schaal (Hrsg.): Zeitgenössische Demokratietheorie. Band 1: Normative Demokratietheorien. Wiesbaden 2012, S. 355-385.

Siehe zum Beispiel aktuell J. Rockström, L. Kotzé, S. Milutinović, F. Biermann, V. Brovkin, J. Donges et al.: The planetary commons: A new paradigm for safeguarding Earth-regulating systems in the Anthropocene. In: Proceedings of the National Academy of Sciences. Band 121, Nr. 5, 2024, e2301531121.

So legen beispielsweise Bestimmungen zu gesetzlich geschützten Biotopen wie Schilfrohrbeständen fest, dass diese nicht genutzt werden können, auch wenn die regionale Nutzung des Schilfs für die Dachdeckung eine ausgesprochen klimafreundliche Nutzung ist.

Vgl. J. Kuyper, H. Schroeder, B.O. Linnér: The Evolution of the UNFCCC. In: Annual Review of Environment and Resources. Band 43, Nr. 1, 2018, S. 343-368.

R. Eckersley: Ecological democracy and the rise and decline of liberal democracy: looking back, looking forward. In: Environmental Politics. Band 29, Nr. 2, 2019, S. 214–234.

Ein Beispiel hierfür aus dem Bereich des Schutzes der Biodiversität ist die Arbeit französischer Naturschutzbiolog*innen, die in dem Umgang mit invasiven Arten in Großstädten auf Deliberation und den „zwanglosen Zwang des besseren Argumentes“ setzen und so Schildkrötenpopulationen managen. Vgl. Y. Meinard, M. Dereniowska, S. Glatron, V. Maris, V. Philippot, J.Y. Georges: A heuristic for innovative invasive species management actions and strategies. In: Ecology and Society. Band 27, Nr. 4, 2022, art24.

Re-Paper

Eingeschränkter Zugang
Eingeschränkter Zugang bedeutet, dass das Material nicht ohne weiteres öffentlich zugänglich ist.
Verwandte Artikel

Das Holozän ist der gegenwärtige Zeitabschnitt der Erdgeschichte. In der Chronostratigraphie und der Geochronologie ist das Holozän eine Epoche und begann laut Beschluss der International Commission on Stratigraphy vor etwa 11.700 Jahren mit der Erwärmung der Erde am Ende des Pleistozäns.

Der Ingenieur und Chemiker Thomas Midgley vom Autokonzern General Motors hatte im Jahr 1929 erstmals Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) hergestellt. Sie wurden fortan vor allem als Treibgas in Haarspray und als Kühlgas in Eisschränken und Gefriertruhen eingesetzt. Obwohl es bereits 1974 eine erste Warnung gab, das Sonnenlicht könne aus diesen FCKW „Chlor-Radikale“ abspalten, die Ozon zerstören, reagierte die Weltgemeinschaft erst 1987. Im Jahr 1990 wurde die Herstellung von FCKW offiziell verboten.

Das Konzept der planetaren Belastungsgrenzen definiert neun biophysikalische Systeme und Prozesse der Erde, die gemeinsam einen sicheren Handlungs- bzw. Lebensraum für menschliches Wohlbefinden und Entwicklung ermöglichen – also Grenzen, die eingehalten werden müssen, damit die Lebensgrundlagen für den Menschen gewahrt bleiben. Dazu zählen neben dem Klimawandel die Überladung mit neuartigen Substanzen, der Abbau der Ozonschicht in der Stratosphäre, die Aerosolbelastung der Atmosphäre, die Versauerung der Ozeane, die Störung der biogeochemischen Kreisläufe, die Veränderung von Süßwasser-Systemen, der Landnutzung sowie der Zustand der Biosphäre.

Deliberation kommt von dem lateinischen Begriff deliberatio, was Überlegung, Beratung bedeutet. Sie bezeichnet den gemeinsamen Austausch von Argumenten, Überlegungen, Sichtweisen und Informationen in Bezug auf ein Thema von öffentlichem Interesse. Eine deliberative Demokratie schafft einen Rahmen, im dem ein fairer und transparenter Austausch möglich ist. Dabei können sich die Einzelnen ein eigenes Urteil unter Einbezug verschiedener Sichtweisen bilden und gemeinsam Lösungen erarbeiten. Deliberative Prozesse sind gesprächszentriert und können in unterschiedlichen Phasen der demokratischen Entscheidungsfindung eingesetzt werden.

Das Montreal-Protokoll wurde 1987 als völkerrechtlich verbindliches Übereinkommen zum Schutz der Ozonschicht vereinbart und von allen Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen unterzeichnet.

Das Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen wurde als internationales Umweltabkommen zur Eindämmung der globalen Erwärmung 1992 verabschiedet. Auf den jährlichen Konferenzen der Vertragspartner (COP) werden Zielvorgaben und Maßnahmen zum Klimaschutz debattiert und beschlossen.

Mediationsverfahren suchen nach freiwilligen Lösungen im Umweltschutz, z.B. bei Nutzungskonflikten zwischen wirtschaftlichen Interessen und Artenschutzbemühungen.

Diskussionen
0 Kommentare
Es gibt neue Kommentare!
Te.ma befindet sich im Archiv-Modus und daher ist die Kommentarfunktion deaktiviert.

Noch keine Kommentare

te.ma sammelt keine Cookies. Um mit der Allgemeinen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) übereinzustimmen, müssen wir dich aber informieren, dass von uns eingebundene externe Medien (z.B. von YouTube) möglicherweise Cookies sammeln. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.