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Politik im Anthropozän

Re-Paper
Thomas Sterner, Edward B. Barbier2019
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Politik im Anthropozän

»Policy design for the Anthropocene«

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Intro

Geschrieben von Stefan Ewert

Bei te.ma veröffentlicht 25.07.2024

te.ma DOI https://doi.org/10.57964/0msp-bk97

Geschrieben von Stefan Ewert
Bei te.ma veröffentlicht 25.07.2024
te.ma DOI https://doi.org/10.57964/0msp-bk97

Wie können wir als Menschheit die Einhaltung der planetaren Belastungsgrenzen erreichen? Ein Autorenteam um den schwedischen Umweltökonomen Thomas Sterner macht Vorschläge, mit welcher Art von politischen Maßnahmen gegen die Übernutzung der natürlichen Ressourcen unserer Erde und die Zerstörung unserer Umwelt gehandelt werden kann.

Mit dem Konzept der planetaren Belastungsgrenzen gelang es dem Team des Stockholm Resilience Center um Johan Rockström und Will Steffen, die Begrenztheit der natürlichen Ressourcen auf der Erde und die Verbundenheit der verschiedenen erdsystemischen Prozesse wirksam darzustellen. Ihr Ziel, einen sicheren Handlungs- beziehungsweise Lebensraum für die Menschheit zu definieren, verbanden sie mit dem Anspruch, Leitlinien für die menschliche Entwicklung auf einem sich verändernden Planeten zu entwickeln.1 Wie genau eine solche Entwicklung der menschlichen Gesellschaften auszusehen hat, ist hingegen Gegenstand politischer Entscheidungen und war somit außerhalb des Betrachtungsrahmens der entsprechenden naturwissenschaftlichen Publikationen.2

Es entspricht dem interdisziplinären Denkansatz des Stockholm Resilience Center, bei der Erarbeitung von Empfehlungen für solcherlei politische Entscheidungen die Sozialwissenschaft mit ins Boot zu holen. Ein Beispiel hierfür ist die Beteiligung von Rockström und Steffen an einem Paper, das 2019 unter Leitung des schwedischen Umweltökonomen Thomas Sterner publiziert wurde. Der hohe Anspruch an die Reichweite wird bereits im Titel des Aufsatzes deutlich: Policy design for the Anthropocene!

Der Artikel startet mit der berühmten Metapher des „Raumschiffs Erde“, die symbolisiert, dass die planetaren Ressourcen begrenzt sind und es der Menschheit gleichzeitig unmöglich ist, den Planeten zu verlassen. Das Autorenteam arbeitet sieben Prinzipien heraus, die wir als Menschheit brauchen, um innerhalb der planetaren Belastungsgrenzen zu manövrieren. Diese Prinzipien sind unter anderem die Interdisziplinarität bei der Lösungssuche, aber auch die fundierte Diagnose, dass es für nicht-nachhaltige Praktiken, wie etwa zu hohe Ressourcenverbräuche, sozioökonomische Gründe gibt. Die Grundannahmen bei der Erarbeitung von Lösungsvorschlägen sind (1) die Ansicht, dass technische Lösungen zum Beispiel für die nicht-fossile Energieerzeugung bestehen und (2) ein Versagen von Märkten durch politische Rahmensetzungen innerhalb unseres Wirtschaftssystems behoben werden kann.

Mit diesen Grundannahmen befindet sich das Autorenteam in der Gruppe der Forschenden, die ein nachhaltiges bzw. grünes Wachstum für möglich halten. Zwei andere, prinzipiell möglich erscheinende Ansätze, die das Überschreiten der planetaren Belastungsgrenzen verhindern könnten, werden daher nicht weiter verfolgt: Weder diskutiert das Autorenteam die Idee einer suffizienten „Post-Wachstumsökonomie“, die insbesondere auf Verzicht setzt, noch kommen im Artikel die Ideen einer Gemeinwohlökonomie zum Tragen.3 Ziel dieser Ideen ist es insbesondere, wirtschaftlichen Erfolg an Faktoren wie „Lebensqualität“ und nicht dem Gewinn zu messen.

Laut Sterner und Kolleg*innen sind es wirtschaftliche Antriebe und Marktversagen, die uns an die Belastungsgrenzen des Planeten führen. Es braucht entsprechend eine politische Rahmensetzung auf den verschiedenen Ebenen, von lokal bis global. Als ökonomische und rechtliche Instrumente bieten sich dabei Maßnahmen aus ganz verschiedenen Denkschulen an, die in der Wissenschaft häufig gegeneinander in Stellung gebracht, hier jedoch integriert betrachtet werden. So erwägt das Autorenteam sowohl, Steuern auf umweltschädliche Aktivitäten zu erheben, als auch, Eigentumsrechte an Ressourcennutzungen staatlich zu verteilen, die dann auf einem Markt gehandelt werden können. Erstere werden in der Literatur auch unter dem Namen Pigou-Steuern diskutiert und finden zum Beispiel in der CO2-Besteuerung Anwendung; letztere entsprechen dem sogenannten Coase-Theorem und sind zum Beispiel Grundgedanke des europäischen Emissionshandels.4 Aber auch regulatorische Instrumente (wie z.B. Verbote des Einsatzes bestimmter Stoffe) und freiwillige Vereinbarungen sollen zum Einsatz kommen. Bei der Dringlichkeit akuter Gefahren raten die Autore*innen zu mehr Verboten und weniger ökonomischen Instrumenten, um möglichst schnell Erfolge erzielen zu können. Gleichzeitig sind sie, wie bereits aufgezeigt, davon überzeugt, dass eine Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch möglich ist. Daher sollten Forschung und Entwicklung in diese Richtung gefördert und entsprechende Technologien subventioniert werden. So ist der Erfolg der Menschheit, den Problemdruck im Bereich des stratosphärischen Ozonlochs verringert zu haben, vor allem auf die Entwicklung alternativer, FCKW-freier Technologien zurückzuführen.5

Einige planetare Belastungsgrenzen wie der Klimawandel oder die Ozeanversauerung benötigen dem Autorenteam zufolge mehr internationales Handeln als andere Grenzen wie zum Beispiel der Verlust der Artenvielfalt. Für die Förderung der Biodiversität sei vielfach nationales Handeln zielführend, etwa bei der Einrichtung von Schutzgebieten. Das Problem bestehe insbesondere beim Klimawandel darin, dass auf internationaler Ebene kaum durchsetzungsfähige Institutionen bestehen. Hier brauche es „Verhandlung und Koordination“. Es bedürfe internationaler Verträge wie das Pariser Abkommen, die auf lokaler Ebene umgesetzt werden. Doch von lokal bis global sind starke Lobbyorganisationen am Wirken, die Maßnahmen torpedieren, weshalb klare Transparenzregeln und kraftvolles politisches Handeln erforderlich seien. Ohne dass der deutsche Soziologe Max Weber zitiert wird, wird dessen berühmte Beschreibung des politischen Prozesses deutlich: „Die Politik bedeutet ein starkes, langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich. Es ist ja durchaus richtig, und alle geschichtliche Erfahrung bestätigt es, dass man das Mögliche nicht erreichte, wenn nicht immer wieder in der Welt nach dem Unmöglichen gegriffen worden wäre.“6 Das gilt insbesondere auch für die Politik zur Einhaltung unserer planetaren Belastungsgrenzen.

Fußnoten
6

W. Steffen, K. Richardson, J. Rockström, S. E. Cornell, I. Fetzer, E. M. Bennett et al.: Planetary boundaries: Guiding human development on a changing planet. In: science. Band 347, Nr. 6223, 2015, 1259855.

Ebd., S. 736.

Als Übersicht für die drei grundsätzlich möglichen Ansätze zur Verhinderung eines umweltschädlichen Wirtschaftswachstums vgl. z.B. T. Döring: Alternativen zum umweltschädlichen Wachstum. In: Wirtschaftsdienst. Band 99, Nr. 7, 2019, S. 497-504. 

Für einen Überblick zu den verschiedenen Instrumenten vgl. z.B. T. Sterner, J. Coria: Policy Instruments for Environmental and Natural Resource Management. RFF Press, New York, London 2012.

T. Sterner, E. B. Barbier, I. Bateman et al.: Policy design for the Anthropocene. In: Nat Sustain. Band  2, 2019, S. 14–21.

M. Weber: Politik als Beruf. In: ders.: Politik und Gesellschaft. Frankfurt/Main 2006, S. 610. 

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(Quelle: T. Döring: Alternativen zum umweltschädlichen Wachstum. In: Wirtschaftsdienst. Band 99, Nr. 7, 2019, S. 497-504.)

Ronald Coase stellte das Theorem auf, dass durch eine Verhandlung zwischen den beteiligten Wirtschaftssubjekten eine effiziente Ressourcenverteilung erreicht werden kann, die auch die externen Effekte berücksichtigt. Voraussetzung sind dafür unter anderem klar definierte Eigentumsrechte, vollständige Informationen und eine möglichst geringe Anzahl an Beteiligten. Es findet vor allem in der Umwelt- und Ressourcenökonomik Anwendung. 

(Quelle: Gabler Wirtschaftslexikon, https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/coase-theorem-28396.)

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