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Die Rechte der spanischen Lagune Mar Menor

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Geschrieben von Alex Putzer

Bei te.ma veröffentlicht 26.06.2024

te.ma DOI 10.57964/2rqc-zk17

Geschrieben von Alex Putzer
Bei te.ma veröffentlicht 26.06.2024
te.ma DOI 10.57964/2rqc-zk17

Die Rechte der Natur anerkennen? Diese vielversprechende Idee gibt es bereits in Ländern mit indigenen Bevölkerungen wie Ecuador oder Aotearoa Neuseeland. Teresa Vicente Giménez und ihr Kollege Eduardo Salazar Ortuño zeigen anhand der spanischen Lagune Mar Menor, wie sich die Rechte der Natur auch in einem europäischen Kontext etablieren können.

Im Sommer 2021 kam es zu einem Massensterben des Fischbestandes in der spanischen Lagune Mar Menor. Dem zweiten innerhalb von zwei Jahren. Um gegen die verheerende Lage zu protestieren, versammelten sich kurz darauf 70.000 Menschen und bildeten eine Kette um das Mar Menor – sie „umarmten“ das lädierte Ökosystem symbolisch. Die Aktion wurde zu einem bewegenden Bild, welches die europäische Bewegung der Rechte der Natur weltweit sichtbar machte.

Die bekanntesten Beispiele der Rechte der Natur stehen im Zusammenhang mit indigenen Philosophien. In Europa – dem Geburtsort des Cartesianismus – wird die Idee oft belächelt.  Mit der Anerkennung der Rechte des Mar Menor durch das spanische Parlament im Jahr 2022 änderte sich dies. Das Gesetz ist das Resultat von mehr als drei Jahrzehnten an Forschung und Arbeit von Teresa Vicente Giménez, Professorin für Rechtsphilosophie an der Universität Murcia, einer Stadt mit knapp 450.000 Einwohner*innen im Südosten Spaniens. In der Region aufgewachsen, erlebte sie mit, wie sich aus dem Urlaubsparadies Mar Menor zusehends ein ökologischer und sozialer Albtraum entwickelte.

Aus Sorge um diese Veränderungen entschied sich Vicente Giménez Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre dazu, ihre Doktorarbeit zum Thema Gerechtigkeit und Umweltrecht zu schreiben. In dieser plädierte sie für neue Beziehungen mit der Natur. Eine „ökologische Ethik“ solle ein „ökologisches Bewusstsein” inspirieren. Zu der Zeit war die kontinuierlich schlimmer werdende Lage des Mar Menor bereits weitreichend bekannt. Umweltschutzorganisationen und Wissenschaftler*innen forderten seit Jahren eine Verbesserung der prekären Situation. Der existierende Schutz war unzureichend. Bereits vor den Rechten der Natur war die Lagune geschützt durch die Ramsar-Konvention (seit 1973), dem Übereinkommen zum Schutz des Mittelmeers vor Verschmutzung (seit 1995) sowie dem Natura 2000-Netzwerk (seit 2019). Damit genießt das Mar Menor bereits den höchsten internationalen Biodiversitätsschutz. Auch innerhalb Spaniens ist die Lagune auf allen staatlichen Ebenen ein Naturschutzgebiet. Diese Schutzmechanismen reichten aber nicht aus.

640.000 Menschen fordern Rechte für das Mar Menor

Bergbau, Urbanisierung, Tourismus, aber auch eine sich intensivierende Land- und Viehwirtschaft führten zu einer steten Verschlechterung der Lage. Insbesondere der von den umliegenden Feldern ausgehende Düngemittelabfluss brachte ein kontinuierliches Übermaß an Nährstoffen in das seichte Wasser. Dieses fördert rapides Algenwachstum und dadurch akute Sauerstoffarmut. Das als Eutrophierung bekannte Phänomen führte zunächst dazu, dass sich das Mar Menor 2016 in eine unansehnliche „Grüne Suppe“ verwandelte. 2019 verschlimmerte sich der Effekt noch mehr, sodass es zu einem Massensterben der Flora und Fauna und dadurch zu einem Kollaps des Ökosystems kam. Diese Entwicklung hatte nicht nur für das Ökosystem verheerende Folgen. 40 Prozent der lokalen Tourismusbetriebe mussten bisher aufgrund der anhaltenden Verschmutzung der Lagune schließen – mit tiefgreifenden Auswirkungen auf die lokale Wirtschaft.

Als Reaktion auf das Massensterben protestierten in der angrenzenden Stadt Cartagena mehr als 55.000 Menschen für die Rettung der Lagune. Zusammen mit Studierenden der Universität von Murcia leitete Vicente Giménez daraufhin eine Untersuchung an, um mögliche Rechtsprechungen auszuloten. Ein nationales Volksbegehren bot sich am vielversprechendsten an. Trotz der Covid-Pandemie organisierte und nahm Vicente Giménez an zahlreichen Demonstrationen und Versammlungen teil. Sie gab Interviews und betrieb Lobbyarbeit bei Regierungsvertreter*innen auf allen Ebenen. Durch ein zweites Massensterben weiter vorangetrieben sammelte das Volksbegehren innerhalb von wenigen Monaten knapp 640.000 Unterschriften. Laut Gesetz musste das Begehren daraufhin vom nationalen Parlament berücksichtigt werden. Mit Ausnahme der rechtspopulistischen Partei Vox stimmten alle Parlamentarier*innen für die Initiative. Die Rechte des Mar Menor waren am 30. September 2022 amtlich. In den Worten von Vicente Giménez und Salazar Ortuño wurde die Lagune „von einem bloßen Objekt des Schutzes, der Erholung und der Entwicklung zu einem untrennbaren biologischen, ökologischen, kulturellen und spirituellen Subjekt“.

Erste Anzeichen eines breiteren ökologischen Bewusstseins

Das Mar Menor ist das erste Ökosystem in Europa mit gesetzlich verbindlichen Rechten. Im Detail wurden sowohl der Lagune als auch ihrem Einzugsgebiet das Recht auf Existenz, natürliche Entwicklung, Schutz, Erhaltung und Wiederherstellung gegeben (Artikel 2.2). Damit nutzt das Gesetz dieselbe Sprache anderer Initiativen, wie beispielsweise jener Ecuadors. Jegliche Verletzung dieser Rechte „führen zu straf-, zivil-, umwelt- und verwaltungsrechtlicher Haftung“ (Artikel 4). Drei Gremien entscheiden über die korrekte Einhaltung dieser Rechte: der Repräsentant*innenausschuss, die Überwachungskommission sowie der wissenschaftliche Ausschuss (Artikel 3). Deren genaue Funktionen werden derzeit noch ausgearbeitet. Zusätzlich zu den Gremien können alle natürlichen und juristischen Personen – das heißt alle Menschen und Unternehmen unabhängig von ihrer Nationalität – im Namen des Mar Menor dessen Rechte einklagen (Artikel 6).

Die Rechtsprechung zeigt bereits erste kleine Erfolge. So bietet die Universität Murcia regelmäßig Seminare zu den Rechten der Natur an. Die Bäuer*innen rund um das Mar Menor legen vermehrt Wert auf wasserschonende und biologische Landwirtschaft. Für ihre Mühen wurde Vicente Giménez vor wenigen Wochen mit dem  2024er Goldman Environmental Prize – eine Anerkennung für Umweltaktivist*innen, die als „Grüner Nobelpreis“ gilt – ausgezeichnet.

So wie auch im Rest der Welt stehen die Rechte der Natur in Europa noch am Anfang. Sie sind das Produkt der Motivation einzelner Aktivist*innen. Die ersten europäischen Entwicklungen scheinen jedoch sehr vielversprechend zu sein. Es sieht so aus, als ob der neuartigen ökologischen Ethik ein breites ökologisches Bewusstsein folgt – so wie Vicente  Giménez es dreißig Jahre zuvor beschrieb.

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Der Cartesianismus befasst sich mit der Lehre des französischen Philosophen und Naturwissenschaftlers René Descartes (1596- 1650). Dieser plädierte unter anderem für eine strikte Zweiteilung zwischen dem Mensch und anderen Tieren, da erstere seiner Meinung nach als einzige eine Seele besäßen und letztere nur Maschinen mit Reflexen wären. Die Rechte der Natur stellt sich bewusst gegen diese (auch von den Naturwissenschaften) überholte Theorie.

In Demokratien schlagen meist Parlamentarier*innen Gesetze vor. Ein Volksbegehren ist ein Element der direkten Demokratie, bei der Gesetzesvorschläge von den Bürger*innen selbst kommen. Die parlamentarische Berücksichtigung ist dabei an eine Mindestanzahl an Unterschriften geknüpft.

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