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Indigene Rechte der Natur im Spannungsverhältnis

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Geschrieben von Alex Putzer

Bei te.ma veröffentlicht 24.06.2024

te.ma DOI https://doi.org/10.57964/qk52-zg17

Geschrieben von Alex Putzer
Bei te.ma veröffentlicht 24.06.2024
te.ma DOI https://doi.org/10.57964/qk52-zg17

Das Gesetz zur Rechtspersönlichkeit des Whanganui, dem drittlängsten Fluss Aotearoa Neuseelands, gilt als Paradebeispiel für die Rechte der Natur. Zahlreiche Studien befassen sich mit dieser rechtlichen Innovation. Miriama Cribb, Elizabeth Macpherson und Axel Borchgrevink behaupten, dass ein anderer, bislang unterschätzter Aspekt noch wichtiger sei: Sie haben die praktische Anwendung des Gesetzes tiefgehend analysiert und kommen zu dem Schluss, dass indigene Emanzipation und Mitbestimmung eine viel größere Rolle spielen sollten als bisher.

Die Geschichte der Rechtspersönlichkeit des Whanganui nahm ihren Anfang im Jahr 1840. Damals unterschrieben Vertreter*innen der Māori – der indigenen Bevölkerung Aotearoa Neuseelands – ein Abkommen mit europäischen Siedlern.1 Der nach dem Unterzeichnungsort benannte Vertrag von Waitangi gilt heute als Gründungsdokument des modernen, souveränen Staates. Dieser Vertrag hatte jedoch zahlreiche Geburtsfehler. Teils bewusst irreführende Übersetzungen sowie einseitige Interpretationen zwischen der englischen und indigenen Version bevorzugten die Kolonialisten und führten zu Enteignungen und historischen Ungerechtigkeiten auf Seiten der Māori.2

Kritik am Vertrag gab es von Beginn an. Es benötigte jedoch 135 Jahre, bis sich eine systematische Aufarbeitung institutionalisierte. 1975 gründete der Staat eine dafür zuständige Untersuchungskommission: das Waitangi-Tribunal. Dieses leitete und überwachte verschiedene Formen der Wiedergutmachung. Beispielsweise wurde 1987 te reo Māori offizielle Amtssprache des Landes. Viele Orts- und Behördennamen, aber auch Gesetzestexte, sind neben Englisch auch auf te reo Māori verfasst – mit einer Bevorzugung der indigenen Bezeichnung. Infolge des Tribunals entstanden auch Gesetze und weitere rechtliche Dokumente, die eine Beilegung der historischen Streitigkeiten begleiteten. Manche von ihnen erkennen die indigene Tradition an, Flüsse und Berge als lebendige Vorfahren der jetzigen Generationen anzusehen. Im Rahmen dieser Anerkennung wurden einige von ihnen eine Rechtspersönlichkeit. Viele Expert*innen zählen diese Fälle zu den Rechten der Natur.

Das bekannteste Beispiel dieser Dokumente ist der sogenannte Te Awa Tupua (Whanganui River Claims Settlement) Act 2017. „Te Awa Tupua“ bedeutet das „unteilbare und lebendige Ganze“ des Flusses. Der englische Untertitel „Beilegung von Ansprüchen am Whanganui Fluss“ steht dabei – sich bewusst unterordnend – in Klammern.3 Cribbs, Macpherson und Borchgrevink heißen diese Machtverschiebung hin zu größerer indigener Emanzipation zwar willkommen, kritisieren jedoch den übermäßigen Fokus auf die Rechte der Natur. Sie sehen darin einen unterschätzten Aspekt des Gesetzes und plädieren für seine Rekontextualisierunginnerhalb einer lokalen indigenen Lebensrealität. Dabei sprechen sie von einem „Paradigmenwechsel hin zu einer relationalen und reziproken Form der Governance“.

Die Kawa als neue Gesetzeslogik

Anstelle der Rechte der Natur stellen die Autor*innen andere Aspekte in den Vordergrund:  Das erste Beispiel bezieht sich auf einen relationalen legalen Pluralismus, also eine Gleichzeitigkeit verschiedener Gesetzeslogiken. Für die vom Gesetz betroffenen Gebiete orientiert sich dieser Pluralismus nicht wie bisher ausschließlich an westlichen Prinzipien. Das neue Paradigma orientiert sich an der Kawa, der Gesetzeslogik der Māori. Deren Etablierung sehen die Autor*innen als „einen Akt des Widerstands und der Behauptung der [indigenen] Autorität“. Die Kawa kontrastiert mit dem Konzept von „Nachhaltigkeit“, welches als übermäßig westlich angesehen wird, und bevorzugt einen Fokus auf „Beziehungen“ und die indigene Logik des „natürlichen Überflusses“. Diese sieht Menschen als Teil der Natur an und erlaubt explizit die angemessene Nutzung von Rohstoffen.4 Als Beispiel für eine kawa-inspirierte Beziehung zur Natur nennen sie das vom Gesetz angestoßene Projekt zur Revitalisierung des Hafens von Whanganui.

Als zweites Beispiel beschreiben die Autor*innen die Etablierung eines neuen Gremiums namens Te Kōpuka nā Te Awa Tupua. Dieses befasst sich mit der Strategieentwicklung für die gegenwärtige und zukünftige Nutzung des Whanganui. Das Gremium setzt sich aus 17 Stakeholdern zusammen, die verschiedene Interessengruppen vertreten. Die Māori stellen dabei bis zu fünf Vertreter*innen sowie den Vorsitz und dessen Stellvertreter*in. Zwar wurden die Interessen der Māori auch vorher mit einbezogen, laut mehrheitlicher Meinung jedoch unzureichend.

Die Autor*innen werten diese verschiedenen Entwicklungen als „eine ‚Machtverschiebung‘ hin zu einem von der Kawa betriebenen Entscheidungsmodell“. Das Gesetz sei bedeutend für die stückweise Anerkennung indigener Standards. Es bleibt jedoch abzuwarten, wohin die nächsten Schritte gehen, denn bereits jetzt ist abzusehen, wie zeitaufwendig sie sind. Das Gesetz für den Whanganui trat im März 2017 in Kraft. Den ersten Entwurf zur Strategie gab es erst knapp sechseinhalb Jahre später, im September 2023. Eine weitere offene Frage ist die recht kritische Einstellung der Autor*innen zu den Rechten der Natur. Im Text verallgemeinern Cribb, Macpherson und Borchgrevink diese als ein ausschließlich den Kultur-Natur-Dualismus vorantreibendes westliches Konstrukt. Dabei gehen – wie bei einer Vernachlässigung indigener Rechte – wichtige Nuancen verloren. Im Geiste der Gleichzeitigkeit verschiedener Gesetzeslogiken, die der Artikel vorantreibt, stellt sich die Frage, warum das Gesetz des Whanganui nicht sowohl für indigenes Recht als auch als Modell für die Rechte der Natur dienen kann.

Fußnoten
4

Vonseiten der Europäer haben nur Männer den Vertrag unterschrieben. Bei den Māori wurden bislang 13 Frauen identifiziert. (https://waitangitribunal.govt.nz/publications-and-resources/school-resources/treaty-past-and-present/section-3/)

 Janine Hayward, Nicola R. Wheen (Hrsg.): The Waitangi Tribunal: Te Roopu Whakamana i te Tiriti o Waitangi. 2004.

Dies ist nicht immer der Fall, wie das Beispiel des benachbarten Australiens zeigt, welches die indigene Übersetzung in Klammern setzt.

Die angemesse Nutzung leitet sich von der Kawa ab. Siehe: https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=2677396

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Verwandte Artikel

Aotearoa ist der Name Neuseelands in der Sprache Māori. Die bilinguale Bezeichnung setzt sich seit einigen Jahren immer mehr durch.

wechselseitig

Die Revitalisierung des Hafens von Whanganui beeinhaltet „Ausbaggerungen zur Wiederherstellung der Schiffstiefe und die Renovierung der Docks, die Verlagerung und Erweiterung der Kapazitäten des Bootsbauunternehmens sowie die Stabilisierung der Flussufer an der Mündung durch den Ausbau der alten und maroden Molen, die die bestehende Flussrinne aufrechterhalten“. Die Autor*nnen stehen dem nicht entgegen, fordern aber eine „umfassende und sinnvolle Auseinandersetzung“ mit den Prinzipien der Kawa.

Der Cartesianismus befasst sich mit der Lehre des französischen Philosophen und Naturwissenschaftlers René Descartes (1596- 1650). Dieser plädierte unter anderem für eine strikte Zweiteilung zwischen dem Mensch und anderen Tieren, da erstere seiner Meinung nach als einzige eine Seele besäßen und letztere nur Maschinen mit Reflexen wären. Die Rechte der Natur stellt sich bewusst gegen diese (auch von den Naturwissenschaften) überholte Theorie.

Rahmen von Prinzipien, Regeln und Gesetzen inklusive nationaler Institutionen, um diese Prinzipien aufrechtzuerhalten und Probleme zu bewältigen.

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