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Die planetaren Belastungsgrenzen: Neun Leitplanken für eine sichere und gesunde Zukunft

Re-Paper

Die planetaren Belastungsgrenzen: Neun Leitplanken für eine sichere und gesunde Zukunft

»Earth beyond six of nine planetary boundaries«

Inhalte

Intro

Geschrieben von Sabine Baunach

Bei te.ma veröffentlicht 02.05.2024

te.ma DOI https://doi.org/10.57964/ahqm-rc73

Geschrieben von Sabine Baunach
Bei te.ma veröffentlicht 02.05.2024
te.ma DOI https://doi.org/10.57964/ahqm-rc73

Unser Planet hat Grenzen der Belastbarkeit. Grenzen, die eingehalten werden müssen, um die menschlichen Lebensgrundlagen zu bewahren. Das Konzept der planetaren Belastungsgrenzen beschreibt neun Dimensionen, die für die Gesundheit und Überlebensfähigkeit der menschlichen Zivilisation auf der Erde entscheidend sind. Richardson et al. belegen in ihrem Paper, dass sechs dieser neun Belastungsgrenzen bereits überschritten sind; Tendenz steigend. Die Auswirkungen sind bereits heute global spürbar.

Betrachtet man, wie wir Menschen mit der Natur in den verschiedenen Regionen der Welt umgehen, könnte man denken, dass die Ressourcen unseres Planeten im Überfluss und grenzenlos zur Verfügung stehen. Tatsächlich konnten seit den 1950er Jahren durch technische Fortschritte sozioökonomische Zugewinne beispielsweise in Bezug auf Bevölkerungswachstum, Urbanisierung, Transport oder Telekommunikation erzielt werden. Auch demographische Indikatoren wie beispielsweise die durchschnittliche Lebenserwartung oder weltweite Kindersterblichkeit verbesserten sich in diesem Zeitraum auf beeindruckende Weise.1  

Schaut man sich heute allerdings die internationalen Schlagzeilen, aktuellen geopolitischen Entwicklungen, globalen Krisen und Nöte an, scheint sich ein Umkehrtrend abzuzeichnen. Die sozioökonomischen Entwicklungen im Verlauf des letzten Jahrhunderts wurden begleitet von sich ebenso rasant verschlechternden Trends des Erdsystems wie beispielsweise die Anreicherung von atmosphärischen Treibhausgasen, steigender Erderwärmung, Entwaldung, Landnutzung und dem Verlust der Artenvielfalt.  

Wie sich zeigt, stehen natürliche Ressourcen nicht endlos zur Verfügung. Das planetare Ökosystem weist tatsächlich Grenzen der Belastbarkeit auf. 

Mit diesen planetaren Belastungsgrenzen beschäftigt sich seit einigen Jahren ein internationales Forscherteam am Stockholm Resilience Center um den Resilienzforscher Johan Rockström. Erstmals im Jahr 2009 beschrieb das Forscherteam das Konzept der planetaren Belastungsgrenzen (Planetary Boundaries) in dem Fachartikel A safe operating space for humanity. Die Forscherinnen und Forscher definieren darin neun biophysikalische Systeme und Prozesse der Erde, die gemeinsam einen sicheren Handlungs- beziehungsweise Lebensraum für menschliches Wohlbefinden und Entwicklung ermöglichen – also Grenzen, die eingehalten werden müssen, damit die Lebensgrundlagen für den Menschen gewahrt bleiben. Dazu zählen neben dem Klimawandel die Überladung mit neuartigen Substanzen, der Abbau der Ozonschicht in der Stratosphäre, die Aerosolbelastung der Atmosphäre, die Versauerung der Ozeane, die Störung der biogeochemischen Kreisläufe, die Veränderung von Süßwasser-Systemen, der Landnutzung sowie der Zustand der Biosphäre

Der Taumel vom Holozän ins Anthropozän

Seit der letzten Eiszeit vor etwa 11.000 Jahren bescherte die relativ stabile erdgeschichtliche Epoche des Holozäns dem Menschen einen sicheren Handlungsraum. Er war mit seiner intakten Natur ein ziemlich idealer Lebensraum für die gesamte menschliche Zivilisationsgeschichte und eine recht gemütliche Wiege der Menschheit. Allerdings führt das Anthropozän, die gegenwärtige geologische Epoche, in der der Mensch zu einem der wichtigsten Einflussfaktoren auf die biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse auf der Erde geworden ist, nun zu dramatischen Veränderungen mit verheerender Zerstörung und Ausbeutung der Natur. Die Menschheitswiege kommt zunehmend ins Wanken.

Macht Mensch - das Konzept planetarischer Leitplanken (Quelle: WBGUchannel).

Bereits die 2009 erschienene Studie von Rockström et al. zeigte, dass drei der damals quantifizierbaren Belastungsgrenzen, nämlich der Klimawandel, die biogeochemischen Kreisläufe und der Zustand der Biosphäre, überschritten waren.

In der hier besprochenen Studie aus dem Jahr 2023 konnten erstmals alle neun Belastungsgrenzen quantifiziert und somit Aufschluss über deren eigentlichen Zustand gegeben werden. Waren es in der Studie von 2009 noch drei Belastungsgrenzen, befanden sich in einer Studie von 2015 bereits vier in einem alarmierenden Zustand. Die aktuelle Studie von 2023 zeigt, dass von allen neun quantifizierten Belastungsgrenzen sechs bereits überschritten sind: Dies betrifft den Klimawandel, die Überladung mit neuartigen Stoffen, die Veränderung der biogeochemischen Kreisläufe (Stickstoff- und Phosphor-Kreisläufe), die Veränderung von Süßwasser-Systemen, die Veränderung der Landnutzung und den Zustand der Biosphäre.  

Die neun planetaren Grenzen (Quelle: BMUV Planetare Belastbarkeitsgrenzen).

Doch damit nicht genug: Werden diese Belastungsgrenzen überschritten, erhöht sich außerdem das Risiko großräumiger, abrupter und irreversibler Umweltveränderungen. In den Geowissenschaften spricht man in diesem Zusammenhang von sogenannten Schwellenwerten beziehungsweise Kipppunkten des Erdklimasystems. Werden diese überschritten, gehen sie in wesentlich andere langfristige Zustände über, die in menschlichen Zeiträumen häufig unumkehrbar sind.2 Beispiele sind das Absterben des Amazonas-Regenwaldes, das Absterben von Korallenriffen, der Verlust des westantarktischen Eisschildes und weitere.

Durch das zunehmende Überschreiten der planetaren Belastungsgrenzen und von Kipppunkten im Erdsystem wird die Widerstandsfähigkeit unseres Planeten, seine Resilienz, gefährdet.

Die Menschheit auf der hausgemachten Kippe 

Glaubt man der Studie, bedeutet dies, dass der Mensch sich zunehmend außerhalb dieser sicheren Grenzen befindet. Vor möglichen Folgen hatten die Forscherinnen und Forscher bereits 2009 gewarnt. Ein Verlassen dieses stabilen Zustandes werde eine nachhaltige Entwicklung der Menschheit nicht nur gefährden, sondern auch dazu führen, dass sich Armut verschärft, gesunde Lebensbedingungen schwinden, gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung und Stabilität sowie Gerechtigkeit und Frieden in Gefahr geraten – eine Entwicklung, die sich global, aber auch in Europa zunehmend abzeichnet.

Die direkten und indirekten Auswirkungen eines sich verändernden Klimas spüren wir in Deutschland in nahezu allen Bereichen gesellschaftlichen Lebens. Unterschiedliche Sektoren sind regional unterschiedlich betroffen. Eine sektorspezifische Übersicht gibt das Umweltbundesamt. Nehmen wir beispielsweise den Gesundheitssektor: Die gesundheitlichen Folgen eines sich verändernden Klimas sind für jede einzelne Person am eigenen Leib zu spüren. Direkte und indirekte gesundheitliche Auswirkungen durch Hitzewellen, Dürren, Waldbrände, Überschwemmungen, Luftverschmutzung, zunehmende Krankheitserreger, aber auch die Auswirkungen auf unsere psychische Gesundheit sind einige Beispiele. Im Lancet Countdown: Tracking Progress on Climate Change and Health-Bericht wird regelmäßig über diese Zusammenhänge – auch für Deutschland – informiert.

Die Forscherinnen und Forscher betonen daher, dass es essentiell wichtig sei, das Klima und die verschiedenen Ökosysteme der Erde als ein planetares System und die enge und komplexe Verbundenheit von Mensch und Erde zu verstehen. 

Dass ein Umlenken zum Schutz der planetaren Belastungsgrenzen möglich ist, verdeutlicht das Beispiel der Ozonschicht. In der Vergangenheit war der Abbau der stratosphärischen Ozonschicht bereits regional überschritten. Durch gemeinsame Anstrengungen von Wissenschaft, Politik und Industrie, verankert im Montrealer Protokoll zum Schutz der Ozonschicht von 1987, konnte jedoch eine Trendumkehr erreicht werden. Seitdem baut sich die Ozonschicht langsam wieder auf. 

Die Schlussfolgerung ist daher alternativlos, wenn wir uns selbst nicht weiterhin gefährden wollen: Zusätzlichen Druck auf das System Erde gilt es zu vermeiden. Die planetaren Grenzen müssen durch aktiven und konsequenten Klima- und Umweltschutz bewahrt werden. Davon ist abhängig, wie unser Leben auf der Erde in Zukunft aussehen und wieviel Wohlbefinden möglich sein wird.

Fußnoten
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Offener Zugang
Offener Zugang bedeutet, dass das Material öffentlich zugänglich ist.
Verwandte Artikel

Ein Kipppunkt ist im Erd- und Klimasystem ein kritischer Grenzwert, an dem eine kleine zusätzliche Störung zu einer qualitativen Veränderung im System führen kann. Sie ist oft abrupt und unumkehrbar.

Das Holozän ist der gegenwärtige Zeitabschnitt der Erdgeschichte. In der Chronostratigraphie und der Geochronologie ist das Holozän eine Epoche und begann laut Beschluss der International Commission on Stratigraphy vor etwa 11.700 Jahren mit der Erwärmung der Erde am Ende des Pleistozäns.

Die Erdatmosphäre legt sich wie eine Hülle um unseren Planeten und reicht von der Erdoberfläche bis in eine Höhe von 10.000 Kilometern. Dabei gibt es je nach Höhe große Unterschiede beim Druck, bei der Temperatur und beim Gasgehalt.
Troposphäre (0 bis 15 Kilometer Höhe)
Stratosphäre (15 bis 50 Kilometer Höhe)
Mesosphäre (50 bis 85 Kilometer Höhe)
Thermosphäre (85 bis 500 Kilometer Höhe)
Exosphäre (500 bis 10.000 Kilometer Höhe)

Ein Aerosol ist eine Mischung aus einem Gas und einer fein verteilten Flüssigkeit oder einem fein verteilten Feststoff (Staub). Beispiele für Aerosole sind Dampf, Rauch und Nebel.

Die Biosphäre ist die Gesamtheit der von Lebewesen besiedelten Teile der Erde. Die Biosphäre reicht vom Boden des Festlandes über den Bereich der Gewässer bis hinein in die unteren Luftschichten der Atmosphäre. Sie wird unterteilt in einzelne Ökosysteme, z.B. Wälder, Wüsten, Meeresküsten. Entscheidend für den Zustand der Biosphäre ist die genetische Vielfalt und die Funktionen der Ökosysteme.

Anthropozän bedeutet „das Zeitalter des Menschen“ und lehnt sich namentlich an geologische Zeitalter (etwa das Paläozän oder das Holozän) an. Der Begriff wurde von Nobelpreisträger Paul Crutzen gemeinsam mit Eugene Stoermer im Jahr 2000 geprägt und beschreibt das jetzige Erdzeitalter, in dem die Einwirkungen menschlicher Aktivitäten auf die Umwelt eine globale Dimension erreicht haben. Diese führen zu teilweise erheblichen Veränderungen der Ökosysteme bis hin zu deren Zerstörung. Dennoch wurde der Begriff als offizielle Bezeichnung der aktuellen Epoche im März 2024 von der International Commission on Stratigraphy abgelehnt. Begründet wurde dies mit dem eingereichten Startpunkt des Anthropozäns, der als ungeeignet bewertet wurde, um den gesamten menschlichen Einfluss auf die Erde zu fassen.

Resilienz wird in verschiedenen Disziplinen unterschiedlich definiert und beschreibt eine Eigenschaft biologischer, ökologischer, sozialer oder technischer Systeme (inklusive individueller Organismen, Gruppen von Organismen sowie Organisationen). In der Regel wird Resilienz als ein Maß für die Widerstandsfähigkeit des Systems gegenüber äußeren Einwirkungen verstanden, d.h. als die Fähigkeit, nach Störungen wieder in den Ausgangszustand zurückzukehren (oder zumindest in dessen Nähe, ohne dauerhafte qualitative Veränderungen des Systems bzw. seines Zustands oder seiner Funktionen).

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