Zu Beginn des Positionspapiers „Lehren und Lernen in der digitalen Welt“
Besonders wichtig sind auch die in dem Papier formulierten Ansätze, die Ausprägungen der Digitalisierung aktiv mitzugestalten und in einen gesellschaftlichen Kontext über die Schule hinaus zu stellen: Digitale Unterrichtsmethoden sollen etwa Chancengleichheit fördern und der Heterogenität der Schülerinteressen oder Leistungsstände gerecht werden. Aus diesem Grund komme der „Barrierefreiheit“ und „Nutzungsfreundlichkeit“ sowie „den assistiven und adaptiven Funktionen der digitalen Medien und Werkzeuge eine besondere Rolle“ zu.
Dennoch greifen diese proaktiven Forderungen der KMK insgesamt zu kurz. Die KMK-Strategie versucht nicht, den Einfluss der Digitalisierung auf das Lernen, Lehren und die Lebenswelt im Allgemeinen aktiv zu steuern, sondern reagiert vielmehr auf ihre Dynamik. Beispielsweise werden zentrale Fragen zur digitalen Bildung, etwa, was und wen sie zu welchem Ziel fördern solle, nicht diskutiert, sondern durch die vermeintlich eindeutigen Anforderungen der digitalisierten Lebenswelt und des Arbeitsmarktes begründet.
So zeigt sich in dem Papier die klare Haltung, dass der Unterricht solche „Bildungsprozesse“ fördern solle, die sich durch das Leben in der digitalen Gesellschaft und durch die konkrete Lebensrealität der Schüler ergeben würden. Es werden aber vor allem die Adaptionen in der zukünftigen Arbeitswelt gemeint, und damit vor allem der Ausbildungsbezug. Im Bereich der konkreten Kompetenzförderung heißt es dazu: „Dem Aufbau fachspezifischer digitaler Kompetenzen, die in den Fachdisziplinen zunehmend im Entstehen und in der beruflichen Bildung immanent mit den Arbeits- und Geschäftsprozessen verbunden sind, kommt dabei eine wichtige Rolle zu“.
Eine profunde Auseinandersetzung, was Lehren und Lernen in der digitalen Welt daneben noch bedeutet und welche gesellschaftspolitischen Ziele angestrebt werden, wird nicht ausgeführt. Wie man den besonderen Risiken für Kinder und Jugendliche in der Digitalisierung Datenschutz, Jugendschutz etc.) gerecht werden will, wird nicht intensiv diskutiert, obwohl der Schutzraum “Schule” gerade an dieser Stelle besondere Aufmerksamkeit erwarten konnte. Beide Aspekte spielen sechs Jahre nach dem 2016er Papier eine heute sehr viel bedeutendere Rolle. Hier ordnen sich auch die teils deutliche Kritik und die Forderungen der Netzwerkinitiative UNBLACK THE BOX
Strategiepapiere wie jenes der KMK haben vielleicht nicht den Anspruch, moralische und appellative Funktionen zu übernehmen. Sie wollen Rahmenbedingungen und Zielvereinbarungen vorgeben. Wenn diese jedoch nicht in einen gesellschaftspolitischen Kontext gestellt werden, wenn sie selbst keine Debatte über kritische Fragen einfordern, drohen sie womöglich an der gesellschaftlichen Realität vorbei zu zielen.
Wenn der Bildungsbegriff etwa nicht zur Debatte steht, ihm keine ethische und normative appellative Funktion zugewiesen wird, droht seine inhaltliche und konzeptuelle Entleerung, wie Niklas Luhmann und Karl Eberhard Schorr schon in den 1980er Jahren formuliert haben. Der Bildungsbegriff springe immer dann ein, „wenn es gilt, Orientierungslosigkeit durch Berufung auf Werthaftes zu überspielen. Wortwucherungen wie Bildungsforschung, Bildungsplanung, Bildungsdefizit, Bildungsrat, Bildungskommission, Bildungseinrichtungen, Bildungswert, Bildungssystem konvergieren in einer Semantik der Ratlosigkeit.“
Dass wir eine kritische Auseinandersetzung mit dem Einsatz der Digitalisierung im Schulwesenbrauchen, darauf deuten vor allem die jüngsten Erfahrungen in der Covid-Pandemie hin: Nach einer längeren Phase des digitalen Distanz-Lernens aufgrund von Schulschließungen zeigt sich nun deutschlandweit ein deutlicher Kompetenzverlust der 4.-Klässler im Bereich Deutsch und Mathematik.
Das KMK-Papier ist hier noch nicht ausreichend, wie die vorherrschende Kritik daran zeigt, doch einige wichtige Handlungsaufforderungen finden sich darin: Man setzt etwa auf ein stärkeres Monitoring der digitalen Kompetenzen von Schülern, um verbindliche Kompetenzstände zu erreichen. Für Lehrer und Mitarbeiter der Schulorganisation werden obligatorische Aus- und Weiterbildungen postuliert. Den Bundesländern wird auferlegt, die informatische Grundbildung verbindlich in den Unterricht aufzunehmen. Zudem wird grundsätzlich anerkannt, dass sich Kompetenzen sowie Lerninhalte und -methoden zukünftig angesichts der sich rasant verändernden digitalen Welt stärker überprüft, hinterfragt und angepasst werden müssen. Hierzu hätte man sich allerdings auch verbindliche und konkrete Zielsetzungen für die steuernde Schulverwaltung gewünscht, um den Veränderungsprozess im gesamten System zu befeuern.