Grundlegend unterscheiden sich die
In den Sozialwissenschaften wird seit den 1940er Jahren diskutiert, inwieweit kognitive (In)flexibilität mit politischen Einstellungen korreliert. Im politischen Exil in den USA wollten emigrierte Psycholog*innen und Soziolog*innen aus Deutschland und Österreich damals verstehen, wie sich Millionen von Menschen an den nationalsozialistischen Verbrechen beteiligen konnten. Wer wird Faschist und warum?
Die Psychologin Else Frenkel-Brunswik, neben
Die hier diskutierte Studie aus dem Jahr 2019 nimmt die ursprüngliche These von Frenkel-Brunswik wieder auf. Im Gegensatz zu vielen zeitgenössischen psychologischen Forschungsarbeiten, die vor allem Emotionen und Motivationen als Ursprünge von extremistischen Einstellungen diskutieren, möchten Zmigrod und ihre Kollegen emotional neutrale kognitive Prozesse in den Blick nehmen. Kurz gesagt interessiert sie: Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Flexibilität im Umgang mit Informationen und der Bereitschaft, anderen aus ideologischen Überzeugungen Gewalt anzutun?
Kognitive Flexibilität testen
Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, haben die Autor*innen zwei Versuche mit insgesamt über 1000 Menschen in Großbritannien und den USA durchgeführt. Dabei erfassten sie zunächst die extremistischen Einstellungen der Teilnehmer*innen mittels verschiedener Fragebögen. Als extremistisch eingestuft wurden dabei Antworten, in denen Gewalt gegenüber anderen als legitimes Mittel zur Verteidigung der eigenen ideologischen Gruppe befürwortet wurde oder Menschen angaben, ihr eigenes Leben für die Gruppe opfern zu wollen.
Die Autor*innen betonen, dass sich derart extremistische Einstellungen in einer Vielzahl ideologischer Varianten finden lassen – Gewalt- und Opferbereitschaft kann es im Namen religiös-fundamentalistischer oder rassistischer Einstellungen ebenso geben wie unter Hooligans im Namen eines Fußballvereins. Die in der Studie verwendeten Fragebögen testeten jedoch konkret auf nationalistischen Extremismus. Gefragt wurde etwa, wie bereit die Menschen waren, jemandem Gewalt anzutun, der ihre Nation beleidigt, oder für ihr Land zu sterben.
In einem zweiten Schritt testen die Wissenschaftler*innen die kognitive Flexibilität der Teilnehmer*innen. Hierzu wurden verschiedene Testverfahren benutzt, die zum Standardinventar der Neuropsychologie gehören. Diese werden auch in klinischen Settings regelmäßig verwendet, beispielsweise um die kognitive Fähigkeit von Menschen nach einem Schlaganfall oder im Rahmen einer Alzheimer-Diagnostik zu ermitteln.
Verwendet wurden der Wisconsin Card Sorting Test (WCST), der Remote Associates Test (RAT) und der Alternative Uses Test (AUT). Im WCST geht es darum, Paare aus verschiedenen Spielkarten zu bilden, während die Regeln der Paarbildung sich immer wieder ändern. Im RAT müssen auf kreative Weise semantische Beziehungen zwischen entfernten Begriffen gebildet werden. Dabei werden zunächst drei Worte gezeigt, beispielsweise „Wurm“, „Regal“, „Seite“. Die Teilnehmer*innen müssen daraufhin einen Begriff finden, der zu allen drei passt, in diesem Fall etwa „Buch“. Beim AUT schließlich werden den Teilnehmer*innen Gegenstände genannt, beispielsweise „Zeitung“ oder „Ziegelstein“, und sie müssen innerhalb kurzer Zeit möglichst viele verschiedene, mitunter ungewöhnliche Verwendungsmöglichkeiten nennen.
Kognition als möglicher Faktor für Extremismus
Die Autor*innen konnten statistisch nachweisen, dass ein Zusammenhang zwischen kognitiver Inflexibilität und extremistischen Einstellungen besteht. Ein schlechtes Abschneiden in den kognitiven Tests ging mit einer höheren Wahrscheinlichkeit einher, eine Bereitschaft zur Gewalt zu zeigen, um die eigene nationale Gruppe gegenüber anderen zu verteidigen. Menschen mit einer höheren Bereitschaft zur Gewalt zeigten ebenfalls eine höhere Bereitschaft, das eigene Leben für die Nation zu opfern.
Die Daten stützen so die Hypothese, dass kognitive Faktoren – und nicht rein emotionale oder motivationale – eine Rolle dabei spielen, ob Menschen zu extremistischen Ansichtsweisen neigen. Doch die Autor*innen gehen nicht so weit, die alleinige Ursache für extremistisches Denken in kognitiven Strukturen zu suchen. Rein statistisch betrachtet, kann der Faktor kognitive Inflexibilität nur 14,5 Prozent der extremistischen Einstellungen der Studienteilnehmer erklären – es müssen also multikausale Erklärungen gesucht werden. Die Perspektive von Zmigrod und ihren Kollegen schließen andere Perspektiven nicht aus, sondern ergänzen sie. In Zukunft, das raten die Autor*innen, sollten kognitive Erklärungsansätze in der Extremismusforschung mit emotionalen und motivationalen Erklärungen verknüpft werden.