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Artensterben und Zoonosen – doppelte Bedrohung durch den Klimawandel

Re-Paper

Artensterben und Zoonosen – doppelte Bedrohung durch den Klimawandel

»Impacts of biodiversity and biodiversity loss on zoonotic diseases«

Inhalte

Intro

Geschrieben von Sven Cleeves

Bei te.ma veröffentlicht 12.07.2024

te.ma DOI https://doi.org/10.57964/84wt-9b66

Geschrieben von Sven Cleeves
Bei te.ma veröffentlicht 12.07.2024
te.ma DOI https://doi.org/10.57964/84wt-9b66

Zoonosen sind Infektionskrankheiten, die natürlicherweise zwischen Menschen und anderen Wirbeltieren übertragen werden. Durch den Klimawandel und menschliche Eingriffe in Ökosysteme vergrößern sich die Kontaktflächen zwischen Mensch und Tier, was die Entstehung neuer Zoonosen begünstigt. In ihrem Review-Artikel geben Felicia Keesing und Richard Ostfeld Einblick in die kausalen Zusammenhänge zwischen Klimawandel, Artensterben und dem Auftreten von Zoonosen. 

Es begann in einem hohlen Baum

2014 brach in Westafrika eine Ebola-Epidemie aus, der über 11.000 Menschen zum Opfer fielen. Eine Rekonstruktion der Infektionskette ergab, dass der erste Patient ein zweijähriges Kind gewesen war, das sich höchstwahrscheinlich beim Spielen in einem hohlen Baum mit dem Ebola-Virus angesteckt hatte. In dem Baum lebte eine Fledermausart, die im Rahmen der Untersuchungen erstmals als natürliche Träger der tödlichen Viren identifiziert werden konnte. Die Verbreitung von Ebola in West- und Zentralafrika wird durch die fortlaufende Zerstörung der Natur beschleunigt. So konnte eine Studie aus dem Jahr 2017 zeigen, dass Ebola-Ausbrüche gehäuft dort auftreten, wo zuvor großflächige Waldrodungen stattfanden. Denn durch die Zerstörung ihres natürlichen Lebensraums rücken Tiere immer näher an menschliche Siedlungen heran.

Ob Ebola, Malaria, HIV/AIDS, Covid-19 oder Affenpocken: Alle diese Krankheiten sind Beispiele für Zoonosen, also Infektionskrankheiten, die von Tieren auf Menschen überspringen können oder umgekehrt. Tatsächlich haben 60 Prozent der bekannten menschlichen Infektionskrankheiten einen tierischen Ursprung und 75 Prozent der neu auftretenden Infektionskrankheiten des Menschen sind Zoonosen, Tendenz steigend.1 Die Covid-19-Pandemie hat gezeigt: Zoonosen bergen das Potential für globale Pandemien.

Wie entstehen Zoonosen?

Nicht nur Wildtiere, sondern auch domestizierte Tiere wie insbesondere Nutztiere waren an aktuellen oder vergangenen Fällen von zoonotischen Krankheitsausbrüchen wie der Schweinegrippe beteiligt, da hier ein besonders intensiver Kontakt zwischen Mensch und Tier besteht. Das Grundprinzip (siehe Abb. 1) ist dabei immer das gleiche: Krankheitserreger wie Viren oder Parasiten zirkulieren zunächst innerhalb einer oder mehrerer Tierarten (wild oder domestiziert). Man sagt, dass die Erreger in diesen Wirten ihr „natürliches Reservoir“ haben. Durch den Kontakt zum Menschen kann es zu sogenannten „spillover events“ kommen. Hierbei springt der Erreger direkt oder über einen Zwischenwirt auf den Mensch über. Im Folgenden passt sich der Erreger an den menschlichen Organismus an (Adaptierung) und erschließt ihn als neuen Wirt. Nun kann eine Übertragung von Mensch zu Mensch stattfinden und es kommt zu einer massenhaften Verbreitung. Unter Umständen kann der Erreger dann auch zurück auf Tiere springen („spillback event“), auch auf solche Arten, die zuvor nicht zum natürlichen Reservoir des Erregers gehörten. So kam es beispielsweise während der Covid-19-Pandemie in dänischen Pelzfarmen zu einer Übertragung von SARS-CoV-2 von Menschen auf Nerze, welche wiederum andere Menschen mit dem Virus infizierten. Die Konsequenz war eine Massentötung der Tiere

Abb. 1: Spillover und Ausbreitung von Zoonosen. (Quelle: T.C. Mettenleiter: Tierseuchen und One Health. In: A.W. Lohse: Infektionen und Gesellschaft: COVID-19, frühere und zukünftige Herausforderungen durch Pandemien. Springer, Berlin, Heidelberg 2021, S. 76.)

Wie verschärft der Klimawandel das Problem?

Zoonosen gab es wahrscheinlich schon immer. Neu ist das gehäufte Auftreten und dass Krankheitserreger sowie deren tierische Überträger (Vektoren) in Regionen vorkommen, in denen es sie früher nicht gab. Dies wird unter anderem durch globale Transportwege, Reisen und das Eindringen des Menschen in den tierischen Lebensraum (und umgekehrt) begünstigt. Der weltweit festzustellende Verlust der Artenvielfalt wird vor allem durch die globale Erwärmung und Landnutzungsänderungen in Folge unseres hohen Ressourcenverbrauchs verursacht. Die Lebensräume von Tieren und Pflanzen werden dadurch immer kleiner und fragmentierter, sodass mittlerweile schätzungsweise eine Million Arten vom Aussterben bedroht sind. Gleichzeitig kommt es immer häufiger und schneller zum Ausbruch und der Verbreitung von (neuen) Infektionskrankheiten unter Menschen und Tieren. Keesing und Ostfeld gehen von einer direkten Kausalität zwischen Verschiebungen in der Zusammensetzung von Tierpopulationen und der stärkeren Verbreitung von Infektionen aus: Durch den Klimawandel und andere menschliche Eingriffe in die Natur, wie Abholzung, Städtebau oder der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, ändert sich die Zusammensetzung von Arten in einem bestimmten Lebensraum. Weniger widerstandsfähige Arten werden verdrängt, während sich solche mit höherer Resilienz gegenüber diesen menschlichen Einflüssen ausbreiten können. Laut Keesing und Ostfeld zeigen Forschungsergebnisse der letzten zwanzig Jahre, dass es ironischerweise genau diese weniger anspruchsvollen Arten sind, die natürlicherweise zoonotische Erreger in sich tragen.

Viele Zoonosen werden von Stechmücken als Vektoren übertragen. Auch deren globale und lokale Verbreitung wird sowohl durch den Klimawandel als auch durch vom Menschen verursachte Störungen des ökologischen Gleichgewichts beeinflusst, wie die folgenden Beispiele zeigen. 

In Floridas Feuchtgebieten können außergewöhnliche Dürre und Trockenheit zu einem massenhaften Auftreten von Stechmücken führen, da sich durch die reduzierte Wassertiefe Fische als natürliche Fressfeinde der Mückenlarven nicht mehr vermehren können.2 Gleichzeitig erhöht dies die Wahrscheinlichkeit, dass sich Vögel in der Nähe der verbleibenden Wasserstellen über die Mücken mit dem West-Nil-Virus infizieren.3 Eine Infektion mit diesen Viren löst in etwa 20 Prozent der Fälle auch beim Menschen das sogenannte West-Nil-Fieber aus. Es verläuft zwar meist mit milden, eventuell grippeähnlichen Symptomen, kann aber auch eine lebensgefährliche Hirnhautentzündung hervorrufen. In den USA kommt es seit 1999 regelmäßig zu lokalen Epidemien, auch mit Todesopfern. In Deutschland wurden zum ersten Mal im Jahr 2018 Fälle von infizierten Tieren und Menschen bekannt. Wie der Name vermuten lässt, stammt das West-Nil-Virus ursprünglich aus Afrika. Durch die globale Erwärmung konnte es sich unter anderem über Stechmückenarten, die bisher nur in tropischen Regionen heimisch waren, wie der Asiatischen Tigermücke (Aedes albopictus) auch in Europa ausbreiten. Der Fall des West-Nil-Virus, aber auch des Zika- oder des Dengue-Virus, verdeutlicht, wie zoonotische Krankheitserreger sich in neuen Weltregionen etablieren können. 

Ein Beispiel dafür, wie menschliche Eingriffe in sensible Ökosysteme das Infektionsrisiko steigern, zeigt sich im Hochland von Bélize an der Ostküste Mittelamerikas, wo Farmer mineralischen Dünger auf ihren Feldern ausbringen. Die darin enthaltenen Phosphate werden vom Regen ausgeschwemmt und wandern über Flüsse in die tiefer gelegenen Küstenregionen des Landes. Hier verursacht der übermäßige Nährstoffeintrag in den Flussdeltas eine Überwucherung mit Schilfgras, welches als Brutstätte für die Larven einer ganz bestimmten Stechmückenart (Anopheles vestitipennis) dient. Da diese sich bevorzugt in Innenräumen aufhält und eher an Menschen als an Tieren saugt, ist sie jedoch ein effizienterer Malariaüberträger als andere Arten (wie z.B. Anopheles albimanus), mit denen sie normalerweise um Lebensraum konkurriert.4 

Um die komplexen Zusammenhänge hinter der Entstehung von Zoonosen in ihrer Gänze zu verstehen, muss daher die Verteilung der Wirte (Menschen oder Tiere), der Erreger (z.B. Viren), aber auch der Vektoren (z.B. Stechmücken) betrachtet werden.

Wie können wir das Auftreten neuer Zoonosen verhindern?

Zoonotische Krankheiten lassen sich nicht gänzlich verhindern. Solange wir mit und um Tiere herum leben, wird es zu Übertragungen kommen. Doch wir können das Risiko für neue Zoonosen minimieren. Dazu müssen wir die Kontaktflächen zwischen Menschen und Tieren möglichst klein halten, indem wir Wildtieren ihren Lebensraum zurückgeben, uns von der Massentierhaltung abwenden und unseren Konsum von Fleisch und anderen tierischen Produkten reduzieren. Ein wichtiges Instrument in der Erforschung und Bekämpfung von Zoonosen bildet das One-Health-Konzept, ein parallel zur planetaren Gesundheit (planetary health) entstandenes Forschungsfeld, welches eine gemeinsame Betrachtung tierischer und menschlicher Gesundheit beinhaltet. One Health versucht die Epidemiologie einer (zoonotischen) Infektionskrankheit von den ursprünglichen Reservoirs über Zwischenwirte bis hin zum Menschen zu verstehen. Keesing und Ostfeld betonen, dass sich künftige Studien auf die Sammlung und Analyse von Daten über die biologische Vielfalt, die Populationsgrößen und die Übertragungsfähigkeit jener Tierarten konzentrieren sollten, die erwiesenermaßen zoonotische Krankheitserreger in sich tragen. Um künftige Epidemien vorhersagen und verhindern zu können, sollte sich die Forschung auch damit beschäftigen, wie sich diese Messgrößen durch menschliche Eingriffe in die Umwelt verändern und wie wir durch unser Verhalten negative Effekte abschwächen können. Die Wiederherstellung der biologischen Vielfalt in geschädigten Ökosystemen könnte dabei ein wichtiger Ansatzpunkt sein, um das Risiko neuer Zoonosen zu verringern.

Fußnoten
4

K. Jones, N. Patel, M. Levy et al.: Global trends in emerging infectious diseases. In: Nature. Band 451, 2008, S. 990–993.

J.M. Chase, T.M. Knight: Drought-induced mosquito outbreaks in wetlands. In: Ecol Lett. Band 6, Nr. 11, 2003, S. 1017–24.

J. Shaman, J. Day, M. Stieglitz: Drought-induced amplification and epidemic transmission of West Nile Virus in southern Florida. In: J Med Entomol. Band 42, Nr. 2, 2005, S. 134–41. 

J.P. Grieco, S. Johnson, N.L. Achee et al.: Distribution of Anopheles albimanus, Anopheles vestitipennis, and Anopheles crucians Associated with Land Use in Northern Belize. In: J Med Entomol. Band 43, Nr 3, 2006, S. 614–622.

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Wirt bezeichnet in der Biologie einen Organismus, der einen anderen artfremden Organismus (z.B. einen Parasiten) mit Ressourcen (z.B. Nahrung oder der Möglichkeit zur Vermehrung) versorgt.

Im Zusammenhang mit Zoonosen bedeutet der Begriff „natürliches Reservoir“ eine Tierart, die Krankheitserreger über längere Zeit in sich tragen kann, ohne dadurch selbst beeinträchtigt zu werden. Andere Arten können sich jedoch über das Reservoir infizieren und schwer erkranken.

Zwischenwirte sind Organismen, die frühe Entwicklungsstadien eines Krankheitserregers in sich tragen oder dessen Vermehrung ermöglichen, bevor er auf seinen Endwirt übergeht.

Als Vektoren bezeichnet man in der Biologie die Überträger von Krankheitserregern, die Infektionskrankheiten auslösen. Vektoren transportieren die Erreger von einem Wirt zu einem anderen Organismus, ohne dabei selbst zu erkranken.

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