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Noch nicht reif für die multipolare Welt?

Re-Web
Demas Nauvarian2022
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Noch nicht reif für die multipolare Welt?

»Fixing Foreign Policy Problems. Indonesia’s Multilateral Ambition«

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Geschrieben von Alexandra Sitenko

Bei te.ma veröffentlicht 18.07.2023

Geschrieben von Alexandra Sitenko
Bei te.ma veröffentlicht 18.07.2023

Indonesiens Präsident Joko Widodo war der erste asiatische Staatschef, der sich 2022 im Rahmen einer Vermittlungsinitiative sowohl mit Putin als auch mit Selenskyj traf. Gefruchtet hat das jedoch nicht. Der Politikwissenschaftler Demas Nauvarian erläutert in seinem Artikel, weshalb Indonesiens außenpolitische Kapazitäten für eine Rolle als globaler Friedensstifter noch nicht ausreichen. Zunächst müsse das Land eine klare Strategie formulieren und seinen Platz in der Welt definieren.

Mehrere Staaten aus dem Globalen Süden haben sich seit Februar 2022 bei der Suche nach einem Ausweg aus dem Ukraine-Krieg hervorgetan, darunter Brasilien1 und zuletzt Südafrika2 in einer Allianz mit fünf weiteren afrikanischen Staaten. Ende Juni 2022 war der indonesische Präsident Joko Widodo (auch bekannt als Jokowi) das erste asiatische Staatsoberhaupt, das die Ukraine und Russland nach Kriegsausbruch besuchte. Weltweit und in seinem Land sorgte er damit für Aufsehen. Einige indonesische Politiker und Personen des öffentlichen Lebens schlugen sogar vor, Jokowi für seine Friedensbemühungen mit einem Nobelpreis auszuzeichnen.3 Skeptische Stimmen schätzen jedoch die Chancen auf ein Friedensabkommen in Anbetracht der Komplexität des Konflikts trotz Widodos Initiative als gering ein.

Am 3. Juni 2023 schlug der indonesische Verteidigungsminister Prabowo Subianto auf dem asiatischen Verteidigungsgipfel Shangri-La-Dialog in Singapur einen Plan zur Beendigung des Krieges in der Ukraine vor. Dieser sah einen Waffenstillstand auf den gegenwärtigen Positionen und entmilitarisierte Zonen vor, die von Beobachtern und den Friedenstruppen der Vereinten Nationen kontrolliert werden würden. Für die umstrittenen und von Russland besetzten Gebiete schlug Sabianto von der UNO organisierte Referenden vor. Von der EU wurde der Vorschlag kritisiert und vom ukrainischen Verteidigungsminister Reznikow als ein „russischer Plan“ bezeichnet. Das ukrainische Außenministerium wies den Plan zurück und bekräftigte den Standpunkt Kyjiws, dass Russland zuerst seine Truppen aus der Ukraine abziehen solle.

Der Politikwissenschaftler Demas Nauvarian erläutert in seinem Artikel, warum trotz der Vermittlungsinitiative im Juni 2022 und der Friedensinitiative 2023 der indonesischen Regierung die tatsächlichen Kapazitäten des südostasiatischen Landes als globaler Friedensstifter aus seiner Sicht noch nicht ausreichen. Zwar strebe das Land danach, sich an multilateralen Foren stärker zu beteiligen und als Brückenbauer zu positionieren. Doch aktuell baue es Brücken, ohne zu überbrücken. Jakarta könne zwar multilaterale Treffen und eine Gesprächsagenda vorbereiten, ein konkreter Durchbruch im Sinne einer Lösung werde dabei jedoch nicht erzielt. 

Zum einen liege dies daran, dass Indonesiens internationale Bemühungen von nationalen Überlegungen geleitet würden: Gewährleistung der Nahrungsmittel- und Energiesicherheit sowie „nationales Branding“4 durch internationale Aufmerksamkeit. Die Ernährungssicherheit stand in der Tat im Mittelpunkt von Jokowis Gespräch mit Wladimir Putin am 30. Juni 2022. Berichten zufolge hat Putin Sicherheitsgarantien für Lebensmittel- und Düngemittellieferungen sowohl aus der Ukraine als auch aus Russland gegeben. Damit stellt der Autor die Behauptung auf, dass für Indonesien die innenpolitische Ebene mehr Gewicht als die außenpolitische habe.5 Nauvarian kritisiert, dass Indonesien zu sehr innenpolitisch denke und die internationale Analyse vernachlässige, in diesem Fall der Konfliktsituation zwischen Russland und der Ukraine, was einen konstruktiven Lösungsbeitrag erschwere. Der Autor suggeriert, dass die von Indonesien angestrebte prominentere multilaterale Rolle lediglich als Instrument für die eigene wirtschaftliche Entwicklung gesehen wird und weniger darauf ausgerichtet ist, Lösungen für globale Probleme zu suchen. 

Es gibt jedoch Tatsachen, die dieser Sichtweise widersprechen. Beispielsweise hat das Land in seiner Verfassung von 1945 neben der nationalen auch seine internationale Aufgabe definiert, nämlich an der Errichtung einer Weltordnung mitzuwirken, die auf Freiheit, sozialer Gerechtigkeit und ewigem Frieden beruht.6 Entsprechend dieser Leitlinie beteiligt es sich seit 1957 an UN-Friedensmissionen weltweit und gehört derzeit zu den 20 Ländern, die am meisten zur Friedenssicherung beitragen.7 Der US-amerikanische Politologe Cliff Kupchan stellt das Land außerdem in eine Reihe mit Indien, Brasilien, Saudi Arabien, Südafrika und der Türkei als eines der sechs Länder des Globalen Südens mit erheblichem Einfluss auf die Geopolitik und die Entstehung neuer internationaler Machtdynamiken. Unabhängig davon, wie sehr Indonesien seine nationale Agenda priorisiert, wird dem südostasiatischen Staat somit von anderen grundsätzlich die Fähigkeit bescheinigt, auf die internationale Politik Einfluss zu nehmen zu können. 

Nauvarian behauptet allerdings, dass sich die Diskrepanz zwischen Anspruch und tatsächlichem multilateralen Gewicht Indonesiens erst richtig überwinden lasse, wenn das Land sein Verständnis von Multilateralismus aktualisiere. Dieses stamme nämlich noch aus der Zeit des Kalten Krieges sowie Indonesiens Unabhängigkeit (1945) und entspricht dem Autor zufolge nicht mehr den Erfordernissen der Zeit. Zum Kern dieses Selbstverständnisses gehörte die Annahme, dass Indonesiens Überleben am besten gesichert ist, wenn es von den Einflüssen der beiden damaligen Großmächte USA und Sowjetunion unabhängig ist. Dem zugrunde liegt zum einen eine eher reaktive als proaktive Haltung, die zum anderen in einer bipolaren Weltordnung entstanden ist und der heutigen vielschichtigen, multipolaren Welt nicht mehr gerecht wird. Für Indonesien empfiehlt Nauvarian daher: „Um dem multilateralen Geist, den es für sich beansprucht, Genüge zu leisten, muss Indonesien mehr politischen Willen und Kapital aufwenden, um seiner Außenpolitik eine klare Richtung zu geben.“” Es soll also zunächst herausfinden, wer es ist und wie es seinen Platz in der heutigen Welt definiert. 

Mit Indonesien greift Nauvarian einen interessanten Fall heraus: Einerseits hat das Land einen Platz in der globalen Ordnung bereits erobert. Seine in den letzten Jahren gewachsene Rolle als Peacekeeper und die Initiativen als Vermittler im Ukraine-Krieg sind Indizien dafür. Andererseits aber besteht die zukünftige Aufgabe für Indonesien (und möglicherweise auch für andere aufstrebende Mächte in Asien, Afrika und Lateinamerika) darin, die eigene Rolle in einer sich verändernden globalen Geopolitik zu definieren und strategisch auszufüllen.

Fußnoten
7

Lula hat zuerst (wohl ohne Erfolg) versucht, Joe Biden für seine Idee, eine internationale Friedensinitiative zu starten, zu gewinnen und reiste danach nach Peking, um diese mit Xi Jinping zu besprechen. Lulas außenpolitischer Berater Celso Amorim war im April/Mai 2023 zu Gesprächen sowohl in Moskau als auch in Kyjiw. Siehe dazu: https://www.ipg-journal.de/regionen/global/artikel/globale-spaltung-6798/ und https://apnews.com/article/brazil-lula-ukraine-russia-celso-amorim-peace-war-5dd5eb9f0c7bc03e505df9f21741d262 

Insgesamt sieben Staats- und Regierungschefs aus dem Senegal, Ägypten, Sambia, Uganda, der Republik Kongo, den Komoren und Südafrika haben Mitte Juni 2023 im Rahmen einer Friedensmission Kyjiw und Moskau besucht und sich mit den Präsidenten der Ukraine und Russlands getroffen. Einen Durchbruch in Richtung Verhandlungen konnten sie nicht erreichen: Russland blieb bei seiner Forderung der Anerkennung der 2014 und 2022 annektierten ukrainischen Territorien während für die Ukraine ein Rückzug russischer Truppen von seinem gesamten Territorium nach wie vor die zentrale Bedingung für Verhandlungen ist. Siehe https://www.zdf.de/nachrichten/politik/afrikanische-vermittlungsmission-ukraine-krieg-russland-100.html

Mit seiner Friedensinitiative verfolgte Widodo aber vordergründig das Ziel, durch Einwirken auf ein Ende des Krieges weitere negative Auswirkungen für Indonesien abzuwenden und den Druck auf seine Wirtschaft zu minimieren. Der Hintergrund war u.a., dass der Russland-Ukraine-Konflikt die Preise für Speiseöl weltweit in die Höhe schnellen ließ, weswegen sich die Käufer Palmöl zuwandten, um die Lieferausfälle bei Sonnenblumenöl zu kompensieren. In der Folge musste Indonesien als weltweit größter Produzent von rohem Palmöl Ende April 2022 ein Ausfuhrverbot verhängen. Das Verbot kam zu einem Zeitpunkt, als das Land selbst mit einer Verknappung des heimischen Speiseöls kämpfte und die hohen Preise eindämmen wollte, die Proteste im Land ausgelöst hatten: https://www.aseanbriefing.com/news/indonesia-bans-the-export-of-palm-oil-impacting-global-food-prices/.

Allgemein bezieht sich der Begriff „nationales Branding“ auf die Strategie eines Landes, ein bestimmtes Bild von sich nach außen hin zu projizieren, um bestimmte Ziele zu erreichen (z.B. mehr internationale Aufmerksamkeit, Investitionen etc). Siehe dazu: https://www.wipo.int/wipo_magazine/en/2022/03/article_0008.html

Bereits 2019 wurde der indonesische Präsident während seiner ersten Amtszeit (2014-2019) wegen seiner mangelnden Aufmerksamkeit für auswärtige Angelegenheiten kritisiert. Daraufhin wurden die Aussichten auf ein stärkeres internationales Engagement Indonesiens in seiner zweiten Amtszeit (aktuell) unter Fachexperten und Kommentatoren diskutiert. Widodo selbst soll jedoch angedeutet haben, dass seine Außenpolitik stark auf die inneren Bedürfnisse ausgerichtet bleiben werde: https://www.eastasiaforum.org/2019/09/04/jokowis-second-term-needs-innovative-foreign-policy/.

Siehe Präambel der Verfassung der Republik Indonesien von 1945: https://jdih.bapeten.go.id/unggah/dokumen/peraturan/116-full.pdf.

Derzeit hat Indonesien rund 1.700 Friedenssoldaten in Ländern auf der ganzen Welt im Einsatz, darunter im Libanon, der Demokratischen Republik Kongo und in Haiti. 200 Friedenssoldaten der indonesischen MINUSCA-Ingenieurkompanie wurden am 17. August 2021 für ihren Beitrag zu Frieden und Stabilität in der Zentralafrikanischen Republik (ZAR) mit Medaillen der Vereinten Nationen ausgezeichnet: https://peacekeeping.un.org/en/indonesias-impactful-contribution-to-peacekeeping-central-african-republic-recognized

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Der jährlich in Singapur stattfindende Shangri-La-Dialog ist die wichtigste Sicherheitskonferenz in der asiatisch-pazifischen Region und wird vom International Institute for Strategic Studies (IISS) organisiert. Der Dialog bietet Staats- und Regierungschefs, Ministern und politischen Entscheidungsträgern aus Asien, Nordamerika, Europa und dem Nahen Osten die Möglichkeit, die drängendsten regionalen Sicherheitsprobleme zu erörtern und politische Antworten auszutauschen. Im Rahmen der Konferenz finden auch bilaterale Gespräche zwischen den Delegationen statt, so auch die seltenen direkten Treffen zwischen dem amerikanischen und chinesischen Verteidigungsminister. Der Shangri-La-Dialog ist somit das asiatische Pendant zur Münchner Sicherheitskonferenz.

Als Multilateralismus bezeichnet man allgemein die Koordination nationaler Politik zwischen drei oder mehr Staaten. Diese steht damit im Gegensatz zur unkoordinierten Politik eines einzelnen Staates (Unilateralismus) und zur Koordination zwischen lediglich zwei Staaten (Bilateralismus). Ein klassisches Beispiel für Multilateralismus ist das System kollektiver Sicherheit.

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