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Rückkehr eines alten Bekannten: Blockfreiheit im Globalen Süden

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Rückkehr eines alten Bekannten: Blockfreiheit im Globalen Süden

»South Africa, Active Non-Alignment and the War in Ukraine«

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Geschrieben von Alexandra Sitenko

Bei te.ma veröffentlicht 10.07.2023

Geschrieben von Alexandra Sitenko
Bei te.ma veröffentlicht 10.07.2023

Die Haltung Südafrikas im Hinblick auf Russlands Krieg gegen die Ukraine war nicht immer eindeutig: Unmittelbar nach der Invasion forderte Pretoria Russland auf, seine Truppen abzuziehen, nahm im weiteren Kriegsverlauf aber eine neutralere Position ein. Die südafrikanischen Analysten Elizabeth Sidiropoulos und Steven Gruzd erklären diese Entwicklung zum einen mit der unabhängigen Außenpolitik des Landes seit 1994 und zum anderen mit der allgemeinen Wiederbelebung des Konzepts der Blockfreiheit.

Südafrika wurde seit dem Kriegsausbruch in der Ukraine im Februar 2022 des Öfteren von der deutschen Politik aufgesucht: Im Mai 2022 reiste der Bundeskanzler nach Pretoria, Anfang Dezember 2022 folgte der Besuch des deutschen Wirtschaftsministers Robert Habeck und am 26. Juni 2023 flog die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock nach Kapstadt und Pretoria. Neben energiepolitischen Fragen ging es dabei auch um das Thema Ukrainekrieg. Die Position Südafrikas in diesem Konflikt hat im Westen zu Irritationen geführt. Ähnlich wie im Falle Brasiliens schien dieser davon auszugehen, dass Südafrika als eine liberale Demokratie, die sich für eine regelbasierte multilaterale Ordnung engagiert, die russische Invasion klar verurteilen würde. Stattdessen war die Haltung des Landes gegenüber Russlands Krieg in der Ukraine von Beginn an inkonsistent. 

Unmittelbar nach der Invasion richtete das südafrikanische Außenministerium zwar deutliche Worte nach Moskau, indem es Russland aufforderte, seine Streitkräfte im Einklang mit der UN-Charta unverzüglich aus der Ukraine abzuziehen und die Notwendigkeit der Achtung der Souveränität und territorialen Integrität der Staaten betonte. Später im März 2022 aber weigerte sich Präsident Cyril Ramaphosa, Russland zu verurteilen, und beschuldigte stattdessen die Nato, den Konflikt durch ihre unaufhaltsame Osterweiterung provoziert zu haben. Auf der Dringlichkeitssitzung der UN-Generalversammlung am 2. März enthielt sich Südafrika bei der Abstimmung über die Resolution zur Verurteilung Russlands. Im Februar 2023 fanden die gemeinsamen Militärübungen mit Russland und China statt, die die ukrainische Botschafterin in Südafrika als „verstörend“ bezeichnete

Elizabeth Sidiropoulos und Steven Gruzd sehen die wesentlichen Gründe dafür in der außenpolitischen Tradition des Landes. Zum einen habe es sich seit der Einführung der Demokratie im Jahr 1994 um eine unabhängige Außenpolitik bemüht, sich für einen reformierten Multilateralismus eingesetzt sowie seine Identität als ein Land des sogenannten Globalen Südens hervorgehoben. Wie beide betonen, gebe es bestimmte Themen, die Südafrika sehr wichtig seien, wie etwa die Westsahara-Frage oder der israelisch-palästinensische Konflikt, zu denen es stets eine eindeutige Position vertreten habe.1 In anderen Angelegenheiten habe Pretoria entweder multilaterale Lösungen angestrebt oder sich gar nicht geäußert.

Zum anderen, und das ist die zentrale These der Analyse, habe die russische Invasion das Konzept der Blockfreiheit wiederbelebt, welches nach dem Ende des Kalten Krieges viel von seinem Schwung und seiner Daseinsberechtigung verloren habe. Die Autoren erinnern daran, dass Südafrika eine lange Tradition der Blockfreiheit habe: 1955 habe es an der Konferenz von Bandung teilgenommen, wo ihm Beobachterstatus gewährt worden sei. Im Mai 1994, wenige Wochen nach den ersten demokratischen Wahlen, sei Südafrika der Bewegung der Blockfreien beigetreten und im September 1998 Gastgeber des Gipfeltreffens der Blockfreien Staaten in Durban2 gewesen.

Diesem Argument widerspricht allerdings der in Johannesburg ansässige Analyst Eusebius McKaiser, indem er kritisiert, dass Südafrika es immer wieder versäumt habe, zu erklären, was seine Doktrin der Blockfreiheit konkret bedeute. Die Unzufriedenheit mit der Hegemonialstellung der USA in der Welt rechtfertige seiner Meinung nach nicht, dass man den illegalen Krieg Russlands auf diese Weise billige.3 Ein wirklich bündnisfreies Land muss ihm zufolge imstande sein, sowohl die Vereinigten Staaten als auch Russland zu kritisieren. Außerdem vergesse die Regierung in Pretoria, dass viele in der Sowjetunion ausgebildete Anführer des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) ihr Training in der Ukraine absolviert hätten. 

Zumindest auf einen Teil von McKaisers Kritik liefert die Analyse von Sidiropoulos und Gruzd eine Antwort. Dabei greifen sie die Statements der südafrikanischen Außenministerin Naledi Pandor vom 8. April 2022 auf, die sagte, dass sich Südafrika und andere Mitglieder des Globalen Südens dagegen wehren würden, in die Politik der Konfrontation und Aggression, die von den mächtigen Ländern geführt werde, verwickelt zu werden. Stattdessen wollen sie „eine friedliche Lösung des Konflikts durch Dialog und Verhandlungen“ fördern. Diese Position stütze sich heutzutage auf die Annahme, dass für Länder wie Südafrika ein gerechteres multilaterales System die besten Rahmenbedingungen bieten könne, um ihre Entwicklungsziele zu erreichen. 

Insgesamt ist die zentrale Erkenntnis der Analyse, dass der Krieg in der Ukraine die Entwicklungsländer vor die Notwendigkeit stellt, darüber nachzudenken, wie sie sich in einer geopolitisch polarisierten Welt positionieren sollen, ohne ihre wirtschaftlichen und entwicklungspolitischen Interessen durch Großmachtrivalitäten negativ beeinflussen zu lassen. Die Wiederherstellung der Blockfreiheit in einer polarisierten Welt auf eine Art und Weise, die die nationalen Interessen des Globalen Südens nicht gefährden, werde eine der wichtigsten Aufgaben und Herausforderungen der nächsten Jahre sein.

Fußnoten
3

Seit dem Ende der Apartheid steht Südafrika konsequent auf der Seite Palästinas und erkennt die seit 1976 selbstproklamierte Demokratische Arabische Republik Sahara (DARS) an: https://lejournaldelafrique.com/de/palästina-westsahara-eindeutig-südafrikanische-diplomatie/

Im September 1998 fand im südafrikanischen Durban das Gipfeltreffen der Blockfreien Staaten statt, bei dem Nelson Mandela im Mittelpunkt stand und Staatsoberhäupter wie Fidel Castro, Jassir Arafat, Robert Mugabe und Muammar Gaddafi anwesend waren.

Sidiropoulos und Gruzd weisen in ihrem Artikel auf eine Spaltung der Medien und der öffentlichen Meinung in Südafrika hin, wobei sie eine gewisse Sympathie und Unterstützung für Russland feststellen. Diese führen sie auf die Solidarität mit der Sowjetunion, die BRICS-Verbindungen, die finanzielle Unterstützung des ANC aus Russland und den Vorwurf der Heuchelei in Bezug auf die westlichen Interventionen in Afghanistan, Irak und Libyen zurück.

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Als Spanien sich 1976 als Kolonialmacht aus der Westsahara zurückzog, übergab es die administrative Kontrolle der nördlichen Hälfte an Marokko und die des Südens an Mauretanien. Die lokale Bevölkerung Sahrawi, vertreten durch die Unabhängigkeitsbewegung Frente Polisario (Frente Popular de Liberación de Saguía el Hamra y Río de Oro), wurde in die Verhandlungen nicht miteinbezogen. Sie riefen 1976 die Demokratische Arabische Republik Sahara (DARS) als unabhängigen Staat aus. Mauretanien zog seine Territorialansprüche schnell zurück. Der Konflikt zwischen Marokko und den Polisario um das Territorium der Westsahara geht seitdem weiter. Marokko beansprucht das Gebiet im Nordwesten Afrikas für sich, während die Polisario die Unabhängigkeit des gesamten Territoriums anstreben.

Die Blockfreiheit war ein Ansatz, den die neuen unabhängigen Entwicklungsländer seit den 1950er Jahren verfolgten, um in den Stellvertreterkriegen des Kalten Krieges ein Gleichgewicht zwischen Ost und West zu finden. Die Bandung-Konferenz von 1955 forderte die Entwicklungsländer auf, auf kollektive Verteidigungsvereinbarungen mit Großmächten zu verzichten, während die inzwischen 120 Mitglieder zählende Bewegung der Blockfreien Staaten ihre Mitglieder aufforderte, Militärbündnisse wie die Nato zu meiden.

Am 18. April 1955 trafen sich die Staats- und Regierungsoberhäupter von 29 asiatischen und afrikanischen Staaten zu einer Konferenz in Bandung (Indonesien). Dort diskutierten sie eine Woche lang den Wandel der internationalen Beziehungen seit dem Zweiten Weltkrieg. Das am Ende der Konferenz veröffentlichte Final Communiqué of the Asian-African Conference zeigt, wie überwiegend postkoloniale Regierungen den Verlauf der Dekolonisierung, den Ost-West-Konflikt oder die Gründung der Vereinten Nationen wahrnahmen.

Der African National Congress (ANC) ist eine 1912 gegründete politische Partei in Südafrika. Von 1960 bis 1990 war sie verboten, hatte sich jedoch aus dem Exil für das Ende des Apartheid-Regimes eingesetzt. Seit 1994 (damals mit Nelson Mandela als Präsident) stellt sie die Regierung. Der amtierende südafrikanische Präsident Cyril Ramaphosa ist seit 2017 Vorsitzender des ANC.

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