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SPECIAL INPUT: Stefan Ewert

Im sicheren Handlungsraum der planetaren Belastungsgrenzen manövrieren – welche Art von Politik kann das?

Unser Planet weist ökologische Grenzen auf, deren Überschreitung die Lebensgrundlagen der Menschen gefährdet. Doch wessen Aufgabe ist es, sicherzustellen, dass wir innerhalb dieser Grenzen manövrieren? Stefan Ewert zufolge ist dies Aufgabe der Politik. Doch welche Art von Politik kann dies leisten? Ist die Demokratie dafür die richtige Staatsform und wenn ja, in welche Richtung kann sie gestärkt werden? Im Special Input geht der Politikwissenschaftler auf einige der vielversprechendsten Ideen und Vorschläge ein. 

Planetare Gesundheit

Eine Politik zum Schutz der Umwelt institutionalisierte sich in den meisten Demokratien spätestens in den 1980er Jahren: Neu geschaffene Umweltministerien waren die politische Antwort auf ganz unterschiedliche ökologische Probleme wie das Waldsterben oder die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl. In Deutschland prägte der CDU-Umweltminister Klaus Töpfer kurz nach der Schaffung des Bundesumweltministeriums von 1987 bis 1994 das Amt, sorgte für die Verabschiedung ganz verschiedener Umweltgesetze und gab Umweltschutzthemen eine Stimme. In den Parlamenten sorgte insbesondere die Etablierung grüner Parteien für die Thematisierung ökologischer Fragen. Die öffentliche Verwaltung reagierte auf die erkannten Probleme mit dem Aufbau von Umweltbehörden auf Kreis-, Länder- und nationaler Ebene.

Sehr früh war auch das politische Bewusstsein für die Tatsache erkennbar, dass die meisten Umweltprobleme nicht an nationalen Grenzen stoppen. Ein regionales Beispiel dafür ist die Verabschiedung der „Helsinki Convention“ zum Schutz der Ostsee 1974 und die Schaffung der HELCOM („Helsinki Commission“). Die Erkenntnis, dass sich das vulnerable Ökosystem Ostsee nur schützen lässt, indem alle Anrainerstaaten kooperieren, sorgte somit für die erste institutionalisierte regionalisierte Zusammenarbeit zwischen den Staaten der NATO und des Warschauer Pakts überhaupt.1 Bereits zwei Jahre zuvor fanden sich in Stockholm Regierungsvertreter von 113 Mitgliedsstaaten zur Konferenz der Vereinten Nationen über die Umwelt des Menschen ein. Die Konferenz gilt gemeinhin als Geburtsstunde einer globalen Umweltpolitik. Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen gründete sich, viele Abkommen wurden in der Folge verabschiedet und legten Ziele und Maßnahmen, etwa mit Blick auf den Schutz der Ozonschicht, der biologischen Vielfalt oder des Klimas, fest.

Allen etablierten Institutionen und globalen Abkommen zum Schutz der Umwelt zum Trotz – wir sind in das Zeitalter des Anthropozäns gerutscht. Die naturwissenschaftlichen Befunde sind eindeutig und mit dem Konzept der planetaren Belastungsgrenzen kraftvoll kommuniziert: Es muss politisch mehr getan werden, um einen sicheren Handlungs- und Lebensraum für die Menschheit zu gewährleisten. Doch welche Politik kann helfen, global, auf nationaler Ebene oder in der Kommune? Das Konzept der planetaren Grenzen bleibt hier bewusst offen – es ist Aufgabe der Politik, festzulegen, wie wir als Menschheit im sicheren Handlungsspielraum manövrieren, und diesen nachhaltig zu sichern.2 Ideen und Vorschläge dazu finden sich vielfach in der Politikwissenschaft. Sie helfen, die notwendige politische Debatte zu strukturieren und zu füttern.

Ist Demokratie die richtige Staatsform?

Zunächst ist mit Blick auf die Diskrepanz zwischen den geschaffenen Institutionen und den zu messenden Erfolgen die grundsätzliche Frage offenkundig, inwieweit Demokratien überhaupt in der Lage sind, die Menschheit innerhalb des sicheren Handlungsrahmens zu halten. Stehen regelmäßige Wahlperioden langfristigen und nachhaltigen Lösungen im Wege? Können Demokratien adäquat naturwissenschaftliche Befunde berücksichtigen oder behindern Partikularinteressen und Lobbying den Wissenschaftstransfer in die Politik? Werden in demokratischen Systemen Interessen von Menschen außerhalb des Systems – etwa in anderen Weltregionen oder zukünftigen Generationen – angemessen repräsentiert?

Drei Bündel an Argumenten sprechen für die Demokratie:3 Erstens ist empirisch feststellbar, dass auch Autokratien daran scheitern, ihre Länder innerhalb der Belastungsgrenzen zu halten. Zweitens wird normativ argumentiert, dass wir im Lichte der Schwierigkeiten nicht in Versuchung geraten dürfen, die errungene Demokratie zu opfern. Drittens ist aus einer eher technischen Perspektive zudem fraglich, inwieweit Vorschläge wie der einer „Earth System Governance“4, also der stärkeren direkten Steuerung durch Expertinnen und Experten, überhaupt realisierbar wären.

Demokratie stärken – doch in welche Richtung?

Ein erster „Richtungsstreit“ zeigt sich auf der Ebene grundsätzlicher Überlegungen zum Wesen der Demokratie und zur Struktur des demokratischen Diskurses. Eine Reihe von politikwissenschaftlichen Überlegungen zur Demokratie innerhalb der planetaren Grenzen setzt auf das normative Ideal einer deliberativen Politik, in der nach Habermas berühmter Formulierung der „zwanglose Zwang des besseren Argumentes“ einen Diskurs eröffnet, der schließlich zur konsensorientierten, wissenschaftsgeleiteten Lösung führt. Ein Beispiel für diese Grundidee bieten die Arbeiten John Dryzeks, einem der Hauptvertreter deliberativer Demokratietheorien.5 Institutionalisiert sollten diese Diskurse unter anderem über „deliberative Mini-Publics“ werden,6 bei denen eine zufällig ausgewählte und heterogene Gruppe von Bürgern und Bürgerinnen für einen bestimmten Zeitraum zusammenarbeitet, um Empfehlungen, Ideen oder Lösungen zu einem bestimmten Thema zu entwickeln. Ein aktuelles Beispiel aus Deutschland für eine solche Mini-Öffentlichkeit ist der „Bürgerrat Ernährung“. Demgegenüber steht die Sicht, dass der Kern von Politik und damit auch der Demokratie der Streit ist und dementsprechend auch in der Umweltpolitik der faire Streit und nicht die Suche nach Konsens im Vordergrund stehen sollte.7 Der unterdrückte Streit ist in dieser Sichtweise Grund für Politikverdrossenheit, der ausgetragene Streit endet mit einer Mehrheitsentscheidung im Rahmen der demokratischen politischen Institutionen.

Zweitens wird in der Wissenschaft diskutiert, ob mit Blick auf die konkreten inhaltlichen Maßnahmen vorrangig ökonomische Instrumente wie z.B. die Besteuerung von Ressourcenverbräuchen angewendet werden sollten oder ob die Einhaltung planetarer Grenzen nur mit der Abkehr vom Ziel des Wirtschaftswachstums, damit aber auch mit der Abkehr von Instrumenten aus dem kapitalistischen Wirtschaftssystem funktionieren kann.8 Für die Nutzung politökonomischer Instrumente argumentieren zum Beispiel in direkter Ergänzung zum Konzept der planetaren Belastungsgrenzen Sterner et al.9

Die Gefahr einer „Expertokratie“

Auf eine grundsätzliche Herausforderung sei abschließend noch verwiesen. Unabhängig von der normativen Frage, inwieweit die Demokratie die richtige Staatsform für die Einhaltung der planetaren Belastungsgrenzen ist, stellt sich die Frage, inwieweit die Naturwissenschaft mit dem Konzept der planetaren Grenzen trotz aller politischen Zurückhaltung nicht doch automatisch demokratische Spielräume beschneidet. Ein Beispiel: Der naturwissenschaftliche Nachweis der Überlastung der planetaren Grenze der Stickstoffeinträge engt verschiedene agrarpolitische Optionen zur Aufrechterhaltung der Nahrungsmittelsicherheit ein, wenn diese die diffusen Einträge von Stickstoff in die biochemischen Kreisläufe erhöhen. Gegen den „naturwissenschaftlichen Determinismus“ setzen Jonathan Pickering und Åsa Persson ein „iteratives Modell“ des gleichberechtigten Dialogs von Naturwissenschaft, Sozialwissenschaft und Gesellschaft.10 Ihrer Argumentation folgend sind die Sozialwissenschaften hier der Anker, der die Naturwissenschaften im demokratischen Diskurs hält. Um bei dem genannten Beispiel Stickstoffeinträge zu bleiben: Die Sozialwissenschaft stellt hier neue Erkenntnisse zu angemessenen und zielführenden Diskursformen bereit, die ein Aushandeln von Kompromissen zum Stickstoffeintrag innerhalb der planetaren Belastungsgrenzen ermöglichen – etwa durch den Einsatz von KI in der Landwirtschaft oder durch Regelungen zu Gewässerrandstreifen etc. 

Zusammenfassend zeigt sich, dass die Politikwissenschaft keine einheitlich klare Richtung für notwendige politische Reformen zur Einhaltung der planetaren Belastungsgrenzen vorgeben kann. Sie kann jedoch den politischen Diskurs zu diesen Reformen mitgestalten und bietet zudem eine ganze Reihe an institutionellen Innovationen, wie die deliberativen „Mini-Publics“, die praktisch erprobt und auf viele unterschiedliche Anwendungsfelder ausgeweitet werden können.  

Fußnoten
10

Vgl. S. D. VanDeveer: Networked Baltic environmental cooperation. In: Journal of Baltic Studies. Band 42, Nr. 1, 2011, S. 37-55.

 W. Steffen, K. Richardson, J. Rockström et al.: Planetary boundaries: Guiding human development on a changing planet. In: science. Band 347, Nr. 6223, 2015, S. 1259855.

R. Willis, N. Curato, G. Smith: Deliberative democracy and the climate crisis. In: Wiley Interdisciplinary Reviews: Climate Change. Band 13, Nr. 2, 2022, e759.

F. Biermann, F.: Earth system governance: World politics in the Anthropocene. Massachusetts: MIT Press 2014.

J.S. Dryzek: Institutions for the Anthropocene: Governance in a changing earth system. In: British Journal of Political Science. Band 46, Nr. 4, 2016, S. 937-956.

R. Willis, N. Curato, G. Smith: Deliberative democracy and the climate crisis. In: Wiley Interdisciplinary Reviews: Climate Change. Band 13, Nr. 2, 2022, e759.

T. Krüger: Energiekonflikte und Demokratiekrise. Eine radikaldemokratische Perspektive auf das Ringen um Gemeinwohlziele der Energiewende. In: Zeitschrift für Politikwissenschaft. Band 31, Nr. 4, 2021, S. 539.

J. C. van den Bergh, G. Kallis: Growth, a-growth or degrowth to stay within planetary boundaries? In: Journal of Economic Issues. Band 46, Nr. 4, 2012, S. 909-920.

T. Sterner, E.B. Barbier, I. Bateman et al.: Policy design for the Anthropocene. In: Nature Sustainability. Band 2, Nr. 1, 2019, S. 14-21. 

J. Pickering, A. Persson: Democratising planetary boundaries: experts, social values and deliberative risk evaluation in Earth system governance. In: Journal of Environmental Policy & Planning. Band 22, Nr. 1, 2020, S. 59-71.

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(Quelle: Schubert, Klaus/Martina Klein: Das Politiklexikon. 7., aktual. u. erw. Aufl. Bonn: Dietz 2020. Lizenzausgabe Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung.)

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