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Hm. Ich sage es mal ganz bold: Ich halte diesen ganzen Kampf gegen “fake news” für zwar gut gemeint, aber naiv und wirkungslos. Gegen diejenigen Fakes, die wirklich ein Problem sind, z. B. im Rahmen von Kriegspropaganda oder politischer Propaganda, hilft die Kombination von klassischer Berichterstattung und investigativem Journalismus mehr als alles “Debunking”. Und wer Verschwörungstheorien glauben will, den erreicht Factchecking & Co sowieso nicht – im Gegenteil, die Factchecker werden dann selbst als Teil der “Mainstream-Medien-Blase” wahrgenommen.

Das grösste Problem ist aber m. E., dass die meisten wirklich relevanten Angelegenheiten, in denen man sich Faktenklarheit wünscht, eben diese Klarheit prinzipiell gar nicht hergeben. Der Philosoph Eric Winsberg hat kürzlich das Buch Falsehoods Fly: Why Misinformation Spreads and How to Stop It (Paul Thagard) rezensiert und schreibt:

“Ich glaube, dass viele derjenigen, die sich an dieser Denkweise [des Kampfes gegen fake news] beteiligen, einen grundlegenden Fehler begehen. Der Fehler besteht darin, ganze Gruppen von Behauptungen, deren erkenntnistheoretische Grundlagen sehr unterschiedlich sind, zu einem Alles-oder-Nichts-Paket zusammenzufassen. Außerdem werden dabei oft erkenntnistheoretische und moralische Belange miteinander vermengt.”

Das ist für mich der Hauptpunkt: Fakten sind, sofern es um politisch relevante Angelegenheiten geht, immer etwas Hochkompliziertes, oft durch und durch von Ungewissenheiten durchzogen. Wenn dann ein Debunking daherkommt und sagt, so oder so ist es, und basta, dann demonstriert der Autor damit eigentlich nur, dass er nicht tief genug in die Materie eingestiegen ist.

Hier ist noch ein anderer kritischer Essay zu diesem Thema von Dan Williams: Misinformation poses a smaller threat to democracy than you might think.

Hören wir doch mit dem Versuch auf, als Medienschaffende unsere Leser ständig pädagogisierend an die zu Hand nehmen. Sie brauchen das nicht, und wir machen sie dadurch auch nicht zu besseren demokratischen Bürgern, sondern im Gegenteil, wir sorgen dafür, dass ihre eigene Urteilskraft erschlafft. Wir tun mehr für die Demokratie, wenn wir bei komplexen Sachverhalten Zweifel und Kontroversen mit darstellen und transparent machen, und bei den wenigen plumpen Fakes auf gute Berichterstattung und die Urteilskraft der Lesenden selbst setzen.

Sorry, ich wollte hier eine Frage formulieren und habe jetzt ein Statement draus gemacht.

Diskussionen
3 Kommentare
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Ich stimme dir in vielen Punkten zu, und das ich den Artikel hier vorgestellt habe war auch nicht, weil ich völlig davon überzeugt bin, sondern im Gegenteil, teilweise auch um die oftmalige Hilflosigkeit vieler “evidenzbasierter” Ansätze darzustellen. Allerdings muss ich auch sagen, dass “Debunking” nur einen kleinen Teil der hier vorgestellten Methoden darstellt, und vieles mehr in die Richtung geht, die du dir vorgestellst. Von den Autoren hier beispielsweise “Rebuttal” genannt, wo es eben oft darum gehen kann, den kontroversen Charakter von komplexen Sachverhalten aufzumachen. Ansätze, die auf eine Stärkung der Urteilskraft von Lesern abzielen, werden auch diskutiert.

Letztlich können für mich solche, ich sage mal, “Verkomplizierungsansätze” das Problem aber nicht lösen. Selbst wenn man annimmt, dass weitere Teile der Bevölkerung über die zeitlichen, motivationalen und intellektuellen Ressourcen verfügen in die Feinheiten von Themen wie dem Klimawandel oder der Funktionsweise von MRNA-Impfstoffen einzusteigen - dass jemand als Laie die Notwendigkeit verspürt, weitreichenden wissenschaftlichen Konsensen selbst auf den Grund zu gehen, aufzudröseln was Latour als “Blackbox” bezeichnet, ist für mich mehr Symptom eines eklatanten Vertrauensverlusts in gesellschaftliche Problemlösungskompetenzen als Ansatz zu dessen Bewältigung.

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Mit deinem letzten Satz legst du m. E. genau den Finger in die Wunde. “[D]ass jemand als Laie die Notwendigkeit verspürt, weitreichenden wissenschaftlichen Konsensen selbst auf den Grund zu gehen, […] ist für mich mehr Symptom eines eklatanten Vertrauensverlusts in gesellschaftliche Problemlösungskompetenzen als Ansatz zu dessen Bewältigung.”

Einerseits glaube ich, dass das Konsensuelle in der Wissenschaft gerade im öffentlichen Diskurts in einer Weise überbetont und überstrapaziert wird, die es schon fast zu einer Illusion werden lassen. Es gibt viel mehr Dissens als Konsens in so gut wie allen Disziplinen. Indem man sich politisch auf einen vermeintlichen Konsens beruft, untergräbt man die Erkenntnis-Autorität der Wissenschaft eher, anstatt sie zu stärken.

Aber vor allem: Ja, selbst wenn ein eigenmächtiges, individuelles “Herumbohren” Symptom eines Vertrauensverlusts in die gesellschaftlichen Problemlösungskompetenzen ist – was macht man dann?

Ich denke da immer in Richtung der sozialen Rollen. Die “Arbeitsteilung” in Expertenrolle hier, Laienrolle da scheint offenbar nicht mehr zu funktionieren. Es gibt bereits jetzt etwas wie “citizen experts”, die eben gerade durch dieses Herumdröseln an den black boxes entstehen. Science Youtubers, allerlei Blogger, auch Wissenschaftsjournalisten. Und die sind im mixed-media System, in dem social media immer wichtiger wird, bereits wichtige Meinungsmacher. Gerade für sie scheint mir die “Verkomplizierung” tausendmal wichtiger, und letztlich auch irgendwann wirkungsvoller, als Debunking und das Insistieren auf Eindeutigkeiten. (Was der Artikel ja auch nicht predigt, gut dass du da nochmal drauf hinweist, ich habe das in meiner Reaktion etwas arg reduziert.)

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