Wenn der deutsche Bundestag sich mit komplexen Zukunftstechnologien auseinandersetzen will, kann er eine Enquete-Kommission (EK) einsetzen. In der EK können Abgeordnete das Thema dann abseits der Tagespolitik gemeinsam mit Expert*innen aufarbeiten, gesellschaftliche und ethische Fragen abwägen und schließlich Empfehlungen aussprechen, welche neuen Gesetze und Regeln es braucht. So gab es beispielsweise schon EKs zu Atomkraft, Gentechnik und erneuerbaren Energien – und von 2018 bis 2020 eben auch zu den gesellschaftlichen Veränderungen durch künstliche Intelligenz.
Allerdings war auch diese KI-Enquete-Kommission kein politisch neutraler Expertenrat: Sie setzte sich aus je 18 Abgeordneten und Sachverständigen zusammen – also Wissenschaftler*innen aus den Bereichen KI und Ethik, aber auch Vertreter*innen aus Wirtschaft und Lobbyverbänden. Ausgewählt wurden sie von den Parteien des Bundestags, nach den dortigen Mehrheitsverhältnissen. Daher prägen Positionen der damals CDU-geführten großen Koalition den Abschlussbericht und seine Ausrichtung an vielen Stellen.
Eingangs zeigt der Bericht den politischen Handlungsbedarf auf: KI-Anwendungen seien von privaten Smartphones, Social Media aber auch aus Unternehmen nicht mehr wegzudenken und transformierten bereits jetzt unsere Gesellschaft. Deutschland und die EU müsse diesen Wandel jetzt aktiv gestalten, damit KI den Bürger*innen dient und der Mensch mit seinen Rechten im Mittelpunkt steht – und nicht die Überwachungsinteressen des Staates oder die Wirtschaftsinteressen großer Digitalunternehmen, wie es jeweils KI-Technologien aus China oder den USA nachgesagt wird. Damit sich eine „KI made in DE/EU“ auf dem freien Markt gegen die Konkurrenz aus China und den USA durchsetzen kann, soll in der Bevölkerung Aufklärung über KI für mehr Akzeptanz sorgen. Außerdem sollen KI-Innovationen nicht durch zu starke Regulierungen ausgebremst werden.
KI soll damit auch dem Wirtschaftsstandort Deutschland „mit neuen Produkten und Geschäftsmodellen“ dienen. Die Sprache des Berichts passt zu dieser ökonomischen Perspektive: An einigen Stellen ist statt von Chancen und Risiken von Chancen und „Auswirkungen“ oder „Herausforderungen“ die Rede. Auch der Bundesverband Digitale Wirtschaft lobt in einer separaten Stellungnahme, dass im Abschlussbericht „vor allem über die Chancen“ von KI gesprochen würde. Zudem fällt auf: Im 40-seitigen Kurzbericht kommt das Kapitel „Wirtschaft“ auf gute zweieinhalb Seiten, „Regulierung“ und „Nachhaltigkeit“ hingegen jeweils nur auf eine knappe Seite. Auch wenn Risiken und Probleme im Gesamtbericht durchaus breit referiert werden, zeigen sich Kontroversen rund um die Handlungsempfehlungen. Zu den Risiken heißt es dort, KI solle nicht unter „Pauschalverdacht“ gestellt werden und staatliche Regulierung auf „Hochrisikoanwendungen“ beschränkt sein.
Diese Sicht war allerdings kein einstimmiger Konsens in der Enquete-Kommission – das zeigen die zahlreichen sogenannten Sondervoten
Auch an anderen Punkten zeigen die Sondervoten auf, wo die Debatte hinter den Kulissen kontroverser war, als der EK-Bericht vermuten lässt: Die FDP beispielsweise wendet sich grundsätzlich gegen eine KI-spezifische Regulierung
Wer trägt die Verantwortung, wenn KI einen Fehler macht? Wer profitiert in unserer Gesellschaft davon, wenn beispielsweise Entscheidungen über Kreditwürdigkeit automatisiert werden? Welche Potentiale von KI wollen wir nutzen, und welche Risiken sind uns zu groß? Auch wenn der EK-Bericht mit seinen knapp 800 Seiten zunächst wie ein scheinbar neutrales Expert*innenpapier daherkommt – er wirft all diese Fragen auf, schafft eine Grundlage für diese wichtigen Debatten und bildet gleichzeitig ab, wie sich die politischen Parteien und Interessengruppen dazu positionieren.
Obwohl es viele gesamtgesellschaftliche Belange anspricht, zeigt dieses Papier auch: Politiker*innen – besonders die der CDU und FDP – sehen KI vorwiegend als Schlüsseltechnologie für die deutsche Wirtschaft, der der Zugang zu Daten und der Freiraum für zukünftige Innovationen keinesfalls verbaut werden dürfe. Umso wichtiger ist es, dass in dieser Debatte auch kritische Stimmen Gehör finden, die zu Recht und mit wissenschaftlicher Rückendeckung die bekannten Grenzen und Risiken von KI aufzeigen: verstärkte Diskriminierung, unklare Verlässlichkeit der KI-Systeme, möglicherweise ein durch Automatisierung völlig veränderter Arbeitsmarkt. Diese Punkte sollten nicht mit Verweis auf Wirtschaftsinteressen abgetan werden, sondern Teil einer größeren Debatte sein: Wie und wofür wollen wir als Gesellschaft KI nutzen – und wofür gerade nicht?