Fürs Gemeinwohl oder für die Wirtschaft? Wie die deutsche Politik KI einsetzen will

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Geschrieben von Jan Lause

Bei te.ma veröffentlicht 06.04.2023

Geschrieben von Jan Lause
Bei te.ma veröffentlicht 06.04.2023

„Wenn Sie mir noch drei Minuten Gemeinwohl gestatten? Sonst lasse ich es weg, weil ich es nämlich für nicht ganz so relevant halte.“ Solche Zitate aus dem Wortprotokoll der KI-Enquete-Kommission zeigen: Wenn Expert*innen im Auftrag des Bundestages über die ganz großen Fragen rund um künstliche Intelligenz diskutieren, ist der Zeitplan strikt und jedes noch so wichtige Thema muss um seinen Platz auf der Tagesordnung kämpfen – und das, obwohl hier zwischen den Zeilen die Interessenkonflikte einer zukünftigen KI-Gesellschaft verhandelt werden.

Wenn der deutsche Bundestag sich mit komplexen Zukunftstechnologien auseinandersetzen will, kann er eine Enquete-Kommission (EK) einsetzen. In der EK können Abgeordnete das Thema dann abseits der Tagespolitik gemeinsam mit Expert*innen aufarbeiten, gesellschaftliche und ethische Fragen abwägen und schließlich Empfehlungen aussprechen, welche neuen Gesetze und Regeln es braucht. So gab es beispielsweise schon EKs zu Atomkraft, Gentechnik und erneuerbaren Energien – und von 2018 bis 2020 eben auch zu den gesellschaftlichen Veränderungen durch künstliche Intelligenz.

Allerdings war auch diese KI-Enquete-Kommission kein politisch neutraler Expertenrat: Sie setzte sich aus je 18 Abgeordneten und Sachverständigen zusammen – also Wissenschaftler*innen aus den Bereichen KI und Ethik, aber auch Vertreter*innen aus Wirtschaft und Lobbyverbänden. Ausgewählt wurden sie von den Parteien des Bundestags, nach den dortigen Mehrheitsverhältnissen. Daher prägen Positionen der damals CDU-geführten großen Koalition den Abschlussbericht und seine Ausrichtung an vielen Stellen.

Eingangs zeigt der Bericht den politischen Handlungsbedarf auf: KI-Anwendungen seien von privaten Smartphones, Social Media aber auch aus Unternehmen nicht mehr wegzudenken und transformierten bereits jetzt unsere Gesellschaft. Deutschland und die EU müsse diesen Wandel jetzt aktiv gestalten, damit KI den Bürger*innen dient und der Mensch mit seinen Rechten im Mittelpunkt steht – und nicht die Überwachungsinteressen des Staates oder die Wirtschaftsinteressen großer Digitalunternehmen, wie es jeweils KI-Technologien aus China oder den USA nachgesagt wird. Damit sich eine „KI made in DE/EU“ auf dem freien Markt gegen die Konkurrenz aus China und den USA durchsetzen kann, soll in der Bevölkerung Aufklärung über KI für mehr Akzeptanz sorgen. Außerdem sollen KI-Innovationen nicht durch zu starke Regulierungen ausgebremst werden.

KI soll damit auch dem Wirtschaftsstandort Deutschland „mit neuen Produkten und Geschäftsmodellen“ dienen. Die Sprache des Berichts passt zu dieser ökonomischen Perspektive: An einigen Stellen ist statt von Chancen und Risiken von Chancen und „Auswirkungen“ oder „Herausforderungen“ die Rede. Auch der Bundesverband Digitale Wirtschaft lobt in einer separaten Stellungnahme, dass im Abschlussbericht „vor allem über die Chancen“ von KI gesprochen würde. Zudem fällt auf: Im 40-seitigen Kurzbericht kommt das Kapitel „Wirtschaft“ auf gute zweieinhalb Seiten, „Regulierung“ und „Nachhaltigkeit“ hingegen jeweils nur auf eine knappe Seite. Auch wenn Risiken und Probleme im Gesamtbericht durchaus breit referiert werden, zeigen sich Kontroversen rund um die Handlungsempfehlungen. Zu den Risiken heißt es dort, KI solle nicht unter „Pauschalverdacht“ gestellt werden und staatliche Regulierung auf „Hochrisikoanwendungen“ beschränkt sein.

Diese Sicht war allerdings kein einstimmiger Konsens in der Enquete-Kommission – das zeigen die zahlreichen sogenannten Sondervoten1, in denen Gruppen von Sachverständigen und Abgeordneten dem Abschlussbericht in einzelnen Aspekten widersprechen können. So benennt der Soziologe und Forschungsgruppenleiter Florian Butollo in einem Sondervotum Risikoszenarien, die aus seiner Sicht im EK-Bericht fehlen: Beispielsweise könne eine KI bei der Vergabe von Krediten oder Jobs bestimmte Gruppen diskriminieren. Außerdem beklagt Butollo, dass der Bericht die Auswirkungen von KI auf die wachsende ökonomische Ungleichheit in Deutschland zu wenig diskutiere.2

Auch an anderen Punkten zeigen die Sondervoten auf, wo die Debatte hinter den Kulissen kontroverser war, als der EK-Bericht vermuten lässt: Die FDP beispielsweise wendet sich grundsätzlich gegen eine KI-spezifische Regulierung3. An anderer Stelle4 zweifelt die FDP an, dass KIs überhaupt selbständig Entscheidungen träfen, da dies in der Praxis am Ende immer ein Mensch tue, der dann auch dafür Verantwortung trage5. Die CDU/CSU6 wiederum will statt auf Datenschutz auf die sehr viel weichere „Datensorgfalt“ setzen, damit KI-Unternehmen mehr Material zum Trainieren ihrer KIs erhalten. Und DIE LINKE verweist darauf, dass ein im EK-Bericht beschriebener Konflikt aus Datenschutz und Anwenderfreundlichkeit nicht daher rühre, dass beides nicht zusammengehe, sondern dass die Geschäftsmodelle der großen Digitalkonzerne nunmal auf die Verwertung der Nutzerdaten ausgerichtet seien.7

Wer trägt die Verantwortung, wenn KI einen Fehler macht? Wer profitiert in unserer Gesellschaft davon, wenn beispielsweise Entscheidungen über Kreditwürdigkeit automatisiert werden? Welche Potentiale von KI wollen wir nutzen, und welche Risiken sind uns zu groß? Auch wenn der EK-Bericht mit seinen knapp 800 Seiten zunächst wie ein scheinbar neutrales Expert*innenpapier daherkommt – er wirft all diese Fragen auf, schafft eine Grundlage für diese wichtigen Debatten und bildet gleichzeitig ab, wie sich die politischen Parteien und Interessengruppen dazu positionieren. 

Obwohl es viele gesamtgesellschaftliche Belange anspricht, zeigt dieses Papier auch: Politiker*innen – besonders die der CDU und FDP – sehen KI vorwiegend als Schlüsseltechnologie für die deutsche Wirtschaft, der der Zugang zu Daten und der Freiraum für zukünftige Innovationen keinesfalls verbaut werden dürfe. Umso wichtiger ist es, dass in dieser Debatte auch kritische Stimmen Gehör finden, die zu Recht und mit wissenschaftlicher Rückendeckung die bekannten Grenzen und Risiken von KI aufzeigen: verstärkte Diskriminierung, unklare Verlässlichkeit der KI-Systeme, möglicherweise ein durch Automatisierung völlig veränderter Arbeitsmarkt. Diese Punkte sollten nicht mit Verweis auf Wirtschaftsinteressen abgetan werden, sondern Teil einer größeren Debatte sein: Wie und wofür wollen wir als Gesellschaft KI nutzen – und wofür gerade nicht?

Fußnoten
7

 Im Gesamtbericht Teil D ab S. 483ff.

 Butollo enthielt sich auch insgesamt bei der Abstimmung über den Gesamtbericht. Die Kontroverse um seine Enthaltung ist in folgendem Podcast gut dargestellt (inkl. Transkript, Deutschlandfunk Kultur: Breitband).

 s. Gesamtbericht, S. 523f, Abschnitt 4.1.

s. Gesamtbericht, S. 524, Abschnitt 4.2.

Wenn allerdings beispielsweise die KI eines Online-Bezahldiensts einen Kunden als Käufer ablehnt, weil sie seine Kreditwürdigkeit als niedrig einstuft, kommt diese Sichtweise an ihre Grenzen — denn dann gibt es häufig keinen Menschen, der diese Entscheidung überprüft, bevor sie Konsequenzen hat.

s. Gesamtbericht, S. 483ff.

s. Gesamtbericht, S. 529, Abschnitt 5.11.

Re-Web
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Gute Zusammenfassung im Text oben! Danke!
Die ethische und soziale Seite war in der Kommissions-Arbeit eher unterbewertet und wenig im Blickwinkel. Durch die nun sehr schnell populär werdenden Systeme wie Chat-GPT wird die Diskussion breit über die gesamte Bevölkerung und die sozialen Aspekte werden sichtbarer. Wird also spannend zu beobachten bleiben die nächste Zeit.
Wenn sogar ein Elon Musk den Zeigefinger erhebt…. auch wenn da Kalkül mitschwingt.

<Deleted>
Mai 25, 2023 10:19
Total 1

Ich möchte hier auch auf die spannende Aussprache im Bundestag nach dem Vorlegen des Berichts verweisen, hier online anzusehen.

Trotz vielschichtiger und komplexer Themen, die im Bericht bearbeitet werden, wird aus meiner Sicht überraschend häufig ein Konsens gefunden wird.

Eine zentrale Aussage, die ich aus dem Bericht herauslese, ist das große Veränderungspotenzial für unsere Gesellschaft, welches KI mit sich bringt. Ich finde, aktuell erleben wir die Anfänge dieser Veränderungen. Der Abschlussbericht soll ja Grundlage für zukünftige parlamentarische Diskussionen und Beschlüsse sein, worin die vielen Themenfelder fundiert reflektiert werden und Handlungsempfehlungen aufgezeigt werden.

Daher schaue ich mit einem positiven Gefühl in die Zukunft und sehe die Chancen für unsere Gesellschaft, die KI mit sich bringt!

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