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Die KI-Forschung wurde schon einmal überschätzt

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Larry Hardesty2014
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Die KI-Forschung wurde schon einmal überschätzt

»Mens et Apparata«

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Geschrieben von Matthias Karlbauer

Bei te.ma veröffentlicht 12.04.2023

Geschrieben von Matthias Karlbauer
Bei te.ma veröffentlicht 12.04.2023

Schon 1965 prophezeite der berühmte Politikwissenschaftler und Organisationsforscher Herbert A. Simon: „Maschinen werden in zwanzig Jahren in der Lage sein, jede Arbeit zu erledigen, die ein Mensch verrichten kann.“ Er unterschätzte ganz offensichtlich die Komplexität der Aufgabe. Larry Hardesty beschreibt in einem ausführlichen Blogpost, wie das Massachusetts Institute of Technology (MIT) 50 Jahre später einen neuen Anlauf nahm: dieses Mal mit vereinten Kräften aus Informatik, Biologie und Psychologie.

Der rapide Fortschritt in den Computerwissenschaften der 1960er Jahre veranlasste neben Herbert A. Simon auch Marvin Minsky – den herausragenden amerikanischen Kognitionswissenschaftler, Informatiker und Mitbegründer des Begriffs der künstlichen Intelligenz – zu einer unhaltbaren Aussage. So mutmaßte er in seinem 1967 erschienenen Buch Computation: Finite and Infinite Machines: „Ich bin überzeugt, dass innerhalb einer Generation nur noch wenige Bereiche des Intellekts außerhalb des Bereichs der Maschine liegen werden – die Probleme bei der Schaffung ‚künstlicher Intelligenz‘ werden im Wesentlichen gelöst sein.“1

Jahrzehnte nach diesen übermäßig optimistischen Prognosen stellte sich heraus: Dem Computer fällt es wesentlich leichter, ein Schachspiel zu gewinnen, als Gesichter zu erkennen, erklärt Hardesty. Das war der Grund für die Fehlprognosen von Minsky und Simon. Sie unterschätzten die Vielschichtigkeit der unscheinbaren Alltagsaufgaben. So identifizieren wir Menschen mühelos einzelne Wörter aus gesprochener Sprache, trinken Wein aus fragilen Gläsern und erkennen Gesichter auf überladenen Bildern. Die enorme Komplexität dieser Prozesse wurde erst deutlich, als Maschinen kläglich daran scheiterten.

Um diese Herausforderungen dennoch zu bewältigen, finanzierte das MIT im Jahr 2014 mehrere millionenschwere Forschungsprojekte zur künstlichen Intelligenz. Als richtungsweisend stellt Hardesty dabei den neuen Ansatz des MIT-Spitzenforschers Tomaso Poggio2 dar: „Anstatt uns nur auf die Informatik zu verlassen, wie man es vor 50 Jahren tat, … müssen wir mehr über das Gehirn und die Kognition wissen.“3 Poggio zielte damit auf die Einbeziehung von Disziplinen wie Neurobiologie und Psychologie ab. Ein interdisziplinärer Ansatz sollte es nun also richten.

Damit Computer sehen lernen und Gesichter auf Bildern so mühelos erkennen können wie Menschen, definierte Poggio fünf Meilensteine. Diese formulierte er in fünf Fragen mit ansteigendem Schwierigkeitsgrad:

Was zeigt das Bild? 
Wen zeigt das Bild? 
Was tun die Menschen in dem Bild? 
Wer interagiert wie mit wem? 
Und was passiert als nächstes?

Die ersten zwei Fragen sind nach heutigem Forschungsstand gelöst. Die dritte ist derzeit im Begriff gelöst zu werden. Die letzten beiden erfordern ein Verständnis von menschlichen Intentionen und sind Gegenstand aktueller und zukünftiger Forschung. Doch werden wir einem Algorithmus tatsächlich Intelligenz zusprechen, wenn er alle fünf Fragen beantworten kann?

Ob der neue interdisziplinäre Ansatz Früchte tragen wird und ob seine Entwickler dieses Mal an alle Zutaten gedacht haben, um eine künstliche Intelligenz zu programmieren, bleibt abzuwarten. An den Fehleinschätzungen renommierter Persönlichkeiten wird jedenfalls deutlich, wie schwierig präzise Prognosen sind. Das gilt auch für aktuelle Ankündigungen wie selbstfahrende Autos und dem Menschen ebenbürtige Androide. Sinnvoll sind derartige Visionen dennoch: als Treibstoff für technologischen Fortschritt.

Fußnoten
3

Marvin Minsky: Computation: Finite and Infinite Machines. New Jersey 1967, S. 2. „Within a generation, I am convinced, few compartments of intellect will remain outside the machine’s realm – the problems of creating ‚artificial intelligence‘ will be substantially solved.“

Professor am Department of Brain and Cognitive Sciences am MIT mit Schwerpunkt auf visuelle Informationsverarbeitung und die Umsetzung menschlichen Lernens in Computern.

„Instead of relying only on computer science, as they did 50 years ago, … you need to understand more about the brain and about cognition.“

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Offener Zugang
Offener Zugang bedeutet, dass das Material öffentlich zugänglich ist.
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Das Massachusetts Institute of Technology (MIT) ist eine private Technische Hochschule in Cambridge im US-Bundesstaat Massachusetts. Sie wurde 1861 gegründet und gilt als eine der besten Hochschulen der Vereinigen Staaten.

Dem menschlichen Erscheinungsbild nachempfundener oder menschlich aussehender Roboter.

Diskussionen
7 Kommentare
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Mai 15, 2023 12:41
Total 3

Ich frage mich, ob man Herbert A. Simons Aussage von 1965 heute mit einer besseren Aussicht auf Erfolg so treffen könnte; oder ob wir auch im Jahr 2043 noch nicht so weit sind, dass Maschinen jede Arbeit erledigen können, die ein Mensch verrichten kann..? Ich bin gespannt zu sehen, wie der neue Ansatz, weitere Disziplinen wie Neurobiologie und Psychologie einzubeziehen, die Forschung hier weiterbringt.

Dennoch stelle ich eine sehr gewagte These auf und behaupte: Wir werden Maschinen niemals eine menschliche Intelligenz zusprechen können. Menschliche Intelligenz beinhaltet viele Bereiche, die für uns selbst schwer zu greifen sind, beispielsweise Empathie, Emotionalität, Kreativität, moralisches Bewusstsein, … Algorithmen können solche Fähigkeiten und Eigenschaften unseres menschlichen Beschaffenseins nicht simulieren.

Total 1

In Bezug auf deine These möchte ich hinzufügen, dass es eine Frage der Perspektive ist, was man mit KI letzten Endes erreichen will: Möchte man eine KI entwickeln, die der des Menschen ähnelt, oder möchte man eine KI entwickeln, die bestimmte/viele Aufgaben sehr gut lösen kann? Momentan wird in beide Richtungen geforscht würde ich sagen, aber ich behaupte, dass, wie wir an heutigen Produkten bereits sehen, eine künstliche Intelligent nicht unbedingt der menschlichen ähneln muss um unseren Alltag zu erleichtern.

Als Gegenargument zu deiner These kann man argumentieren, dass das menschliche Denken das Ergebnis von elektro-chemischen Prozessen im Gehirn ist. Obwohl wir diese Prozesse noch nicht gut verstehen, kann ich mir vorstellen, dass es irgendwann möglich sein wird diese zu simulieren.

Total 2

Der Text weist ja schon sehr präzise darauf hin, dass jedwede bemerkenswerte Prognose eine sehr hohe Chance hat, bemerkenswert falsch zu liegen. Wir sollten uns deswegen wohl immer mit beiden Möglichkeiten auseinandersetzen, um nicht überrascht zu werden. Deswegen bin ich insb. mit Thesen, in denen ein “nie” steckt, lieber sehr vorsichtig.

Ungeachtet dessen glaube ich, die Haltbarkeit deiner These hängt stark von dem Intelligenzbegriff ab, den wir benutzen. Auch Begriffe wie Kreativität und moralisches Bewusstsein sind alles andere als einfach definitorisch zu greifen und deswegen auch schwierig zu verifizieren/falsifizieren. Das klingt auch stark in anderen Kommentaren an. Die Frage ist, glaube ich, auch noch weitreichender als “bloß”, ob wir es je können, sondern, ob wir es wollen und was das bedeuten würde.

Total 1

Ich würde gerne zu Kommentar noch ergänzen, dass ich trotzdem in den eventuell unrealistischen Prognosen auch eine Chance sehe.

Klar, es ist teilweise (sehr ?) wahrscheinlich, dass die Prognosen falsch liegen werden. Aber andererseits können wir solche Zukunftsprognosen auch als Ansporn für Fortschritt und Entwicklung sehen können.

Und solange Vorhersagen noch erreichbar wirken, exisitiert auch ein Ehrgeiz diese eventuell zu erreichen, vorallem auch wenn die Vorhersagen durch wissenschaftliche Daten unterstützt werden.

Total 2

Zukunftsprognosen wie die in diesem Artikel beschriebene klingen oft sehr gut aber sind selten akkurat. Davon abgesehen finde ich neben der Aussage “Maschinen werden in zwanzig Jahren in der Lage sein, jede Arbeit zu erledigen, die ein Mensch verrichten kann” die Frage nach dem, was es heißt eine “Arbeit zu erledigen”, mindestens genauso spannend. Ist ein Lied, welches alleine von einer KI komponiert wurde und Zuhörer*innen (die womöglich nicht wissen, dass diese Musik von einer KI ist) berührt, dasselbe oder überhaupt vergleichbar mit einem Lied, welches von einem Menschen komponiert wurde? Meiner Ansicht nach ist Kunst eine Form der Kommunikation, des emotionalen Ausdrucks, und daher nicht von einer Maschine sinnvoll zu leisten. Wir sollten öfter neben der technische Realisierbarkeit bestimmter Aufgaben auch überlegen, ob diese überhaupt in erster Linie von einer Maschine übernehmen werden sollte, auch wenn das “Ergebnis” genauso “gut” ist.

Total 2

Ich finde die von dir formulierte Frage: “Ist ein Lied, welches alleine von einer KI komponiert wurde und Zuhörer*innen (die womöglich nicht wissen, dass diese Musik von einer KI ist) berührt, dasselbe oder überhaupt vergleichbar mit einem Lied, welches von einem Menschen komponiert wurde?” sehr spannend.
Im Gegensatz zu dir tendiere ich dazu, dass ich diese sehr wohl vergleichbar finde. Die emotionale Wirkung eines Kunstwerks hängt nicht ausschließlich von der Quelle oder Intention ab. Kunst ist subjektiv und die emotionale Resonanz ist entscheidend, unabhängig davon, ob sie von einer Maschine oder einem Menschen geschaffen wurde.
Vielleicht hilft es zudem noch einmal zu betonen, dass ein Kunstwerk (sei es ein Lied, ein Gemälde, ..) bei jedem Individuum verschiedene Emotionen auslösen kann. Diese sind abhängig von persönlichen Erfahrungen und individuellen Assoziationen und entsprechen oft nicht denen der Künstlerin oder des Künstlers.
Letztendlich bleibt es jeder Einzelperson überlassen, wie sie die Bedeutung und den Wert von Kunstwerken wahrnimmt, ob sie von einer Maschine oder einer Person geschaffen wurden.

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Im Originaltext von Larry Hardesty findet sich eine weitere spannende Frage/Ansicht: Die Beantwortung der vierten und fünften Fragen („Wer interagiert wie mit wem?“ und „Und was passiert als nächstes?“) könne man leichter beantworten, wenn man die Fähigkeit, Geschichten zu erzählen und zu verstehen als einen Teil der menschlichen Intelligenz betrachte. Dieser Ansatz wird durch ein image classification Beispiel illustriert: ein Bild von einer Katze, die ihren Kopf gerade nach oben zu einem tropfenden Wasserhahn dreht würde man als „trinken“ auffassen. Dieses „trinken“ kann jedoch unterschiedlichste Formen annehmen, die Situation sieht immer sehr anders aus, die Geschichte jedoch ist die gleiche.

Dieser Ansatz ergibt zwar Sinn für mich, begründet aber gleichzeitig noch stärker die Notwendigkeit, interdisziplinär Probleme zu lösen, auch wenn diese auf den ersten Blick banal scheinen, wie beispielsweise Bilderkennung. Die Fähigkeit von Menschen, diese Probleme ständig ohne große Anstrengung zu lösen ist aus dieser Perspektive betrachtet kaum fassbar und ich bin gespannt auf neue Einblicke in die Funktionsweise und Lösungsansätze, diese Fähigkeit auch Maschinen zu verleihen.

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