In den vergangenen Jahren ist die Situation für Lehrkräfte nicht einfacher geworden. Auf der einen Seite eilen radikale und populistische Kräfte von Erfolg zu Erfolg, was sich auch in einer teilweisen Verrohung der öffentlichen Debatte zeigt. Auf der anderen Seite steht das Postulat der staatlichen Neutralität im Schulkontext. Aus dieser Gemengelage ergeben sich eine Reihe von Fragen: Dürfen Lehrkräfte im Unterricht klar gegen rechtspopulistische Ansichten eintreten? Und wie viel politische Haltung ist im Unterricht erlaubt? Tim Engartner, Professor für Sozialwissenschaften an der Universität zu Köln, entwickelt Antworten auf diese Fragen.
Demokratie kann sich selbst nicht garantieren
Seine Überlegungen setzen bei dem demokratietheoretischen Dilemma schlechthin an: Dem „Böckenförde-Dilemma“. Es besagt, dass die Demokratie überhaupt nicht dazu in der Lage ist, selbst zu garantieren, dass die Gesellschaft demokratisch bleibt. Prominent gemacht wurde dieses Dilemma bereits in den sechziger Jahren durch den Verfassungsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde, der bemerkte, dass„[d]er freiheitliche, säkularisierte Staat [...] von Voraussetzungen [lebt], die er selbst nicht garantieren kann.“
In den Zusammenhang des aktuellen politischen Tagesgeschehens übersetzt hieße das, dass die Demokratie sich selbst möglicherweise nur schwer gegen undemokratische Radikalisierungstendenzen aus dem rechtsextremen Spektrum wehren kann. Beispielhaft wird das an den Debatten über ein Verbot der AfD deutlich.
Ohne Verständigung keine Demokratie
Vor diesem Hintergrund kommt der politischen Bildung in der Schule laut Engartner eine besondere Bedeutung zu. Mit dem Begriff der politischen Bildung bezeichnet er sowohl den Fachunterricht – etwa in den Bereichen Sozialkunde, Politik oder Wirtschaft – als auch die fächerübergreifende Gestaltung von Unterricht an sich und die Verankerung demokratischer Prinzipien in der Schulstruktur.
Laut Engartner steht dem auch das staatliche Neutralitätsgebot, das eine staatlich-institutionelle Beeinflussung von Wählerinnen zugunsten oder zuungunsten einer Partei verbietet, nicht entgegen. Dies ergebe sich insbesondere aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
Dies entspreche auch dem sogenannten
Engartner wird sogar noch deutlicher: Die Rahmenbedingungen des Beutelsbacher Konsenses würden es auch zulassen, antidemokratische Haltungen als solche klar zu benennen und kritisch zu würdigen. Es bestehe keine Verpflichtung zur Toleranz gegenüber demokratiefeindlichen Positionen. Denn solche Positionen könnten sich weder hinter dem Neutralitätsgebot verstecken noch könnten sie selbst eine gleichberechtigte Rolle als kontroverse Meinung im öffentlichen Diskurs beanspruchen, wenn sie die Werte der freiheitlich-demokratischen Grundordnung selbst nicht respektierten. Ein Standpunkt, der beispielsweise abweichende Meinungen ausschließen und damit die öffentliche Debatte zu einem Thema abschaffen will, kann also nicht beanspruchen, selbst gleichberechtigter Teil dieser Debatte zu sein.
Trotzdem ist die Auseinandersetzung mit rechtspopulistischen Ansichten kein Selbstläufer, sondern erfordert eine aktive und gezielte Identifizierung von und sachliche Auseinandersetzung mit rechtspopulistischen Ansichten. Durch die damit eingenommene Haltung können Lehrkräfte mehr und mehr eine demokratische Praxis, ein praktisches Bewusstsein für politische Bildung und ein demokratisches Selbstverständnis im Sinne des Beutelsbacher Konsenses ausbilden.