SPECIAL INPUT: Claudio Michaelis

Roboter-Revolution in der Landwirtschaft? Ein Gespräch mit Polybot-Entwickler Claudio Michaelis

Unsere Landwirtschaft ernährt die Welt. Gleichzeitig ist sie global für gut 25 Prozent aller CO2-Emissionen verantwortlich, giftige Pestizide und Dünger bedrohen die Umwelt. Wie ein kleiner, vierbeiniger Roboter aus Tübingen all das ändern soll, erklärt sein Chefentwickler Claudio Michaelis im Interview.

KI und Nachhaltigkeit

Die Fragen stellte Jan Lause, Kurator des Kanals „KI und Nachhaltigkeit“.

Jan Lause: Was ist Polybot und wofür kann er verwendet werden? 

Claudio Michaelis: Unsere komplette Landwirtschaft ist automatisiert: Es gibt Mähdrescher, Traktoren und andere große Maschinen. Mit ihnen werden riesige Felder bestellt. Das ermöglicht mit wenig Aufwand hohe Erträge, mit denen wir die gesamte Weltbevölkerung ernähren könnten. Leider ist diese Art der Lebensmittelproduktion alles andere als nachhaltig. Sie führt zu hohen Biodiversitätsverlusten, Überdüngung, Grundwasserverdunstung und Bodenerosion. 

Polybot ist ein Roboter, mit dem wir Automatisierung anders denken wollen. Wir gehen von der Pflanze aus, an die wir die Automatisierung anpassen. Dadurch möchten wir eine diverse Kulturlandschaft ermöglichen, in der nicht riesige Monokulturen bestellt werden, sondern kleinteilige Felder mit vielen verschiedenen Pflanzen. So nutzen wir die Synergien zwischen den Pflanzen und erzielen ähnliche Erträge wie in der konventionellen Landwirtschaft – nur ohne die Nachhaltigkeitsprobleme. 

JL: Das Präfix „Poly“ in Polybot kommt von Polykultur. Was genau ist das?

CM: In der Poly- oder auch Mischkultur werden im Gegensatz zur Monokultur mehrere Nutzpflanzen kombiniert. Das können im einfachsten Fall zwei Pflanzenarten sein, die gemischt auf einem Feld angepflanzt werden, weil sie sich gut ergänzen. Es gibt aber auch Polykultur-Anbauformen, die ganz anders aussehen als klassische Felder, zum Beispiel den Agroforst: Eine typische Ackerfrucht wie Weizen wird hier zwischen Baumreihen angebaut. So unterschiedlich Polykulturen auch aussehen können, das Prinzip „Nutzpflanzen gemeinsam anbauen“ bleibt immer dasselbe.

JL: Wie wirkt sich Polykultur auf Umwelt und Biodiversität aus?

CM: Das sieht man am besten im Kontrast zur Monokultur. Dort kann nichts wachsen außer der Nutzpflanze, weil Pestizide alles bekämpfen, was sonst auf dem Feld leben würde. Wenn aber Bäume und Sträucher in den Anbau integriert werden, gibt es plötzlich Lebensräume für Vögel, Igel und andere Kleintiere. Wer zum Beispiel Salat anbaut, hat in der Regel Probleme mit Schnecken. In der idealen Polykultur gibt es aber Lebensräume für Igel, die die Schnecken fressen, und das Problem ist gelöst! Man baut also ein kleines Ökosystem auf, in dem sich die Schädlinge von selbst regulieren. Die Folge ist, dass viel weniger Chemikalien gebraucht werden, und das ist natürlich gut für die Umwelt. 

JL: Wenn wir unsere begrenzten Ackerflächen komplett in Polykulturen umwandeln würden, mit welchem Ernteertrag könnten wir rechnen? 

CM: Das ist nicht leicht abzuschätzen, weil die Studienlage noch recht dünn ist. Eine Metastudie zeigt, dass Polykulturen auf konventionellen Höfen und im Biolandbau zu einer klaren Ertragssteigerung führen. Dabei ist nicht wichtig, ob und wie viel Dünger und Pestizide verwendet wurden. Zusammengefasst bringen Polykulturen in vielen Szenarien mehr Ertrag, teilweise 35 bis 100 Prozent mehr Ernte auf derselben Fläche. Bei dieser Zahl muss ich allerdings dazu sagen, dass auch Holzernte mitgerechnet wurde, und Holz kann man natürlich nicht essen.

JL: Lassen Sie uns über den Roboter sprechen, der hier neben uns sitzt. Wie sieht Polybot genau aus?

CM: Wir setzen auf einen Roboterhund: Er hat vier Beine und auf dem Rücken ist ein Greifarm angebracht. Seit ein paar Jahren gibt es diese Art Roboter als Produkt zu kaufen, zum Beispiel „Spot“ von Boston Dynamics. Mit diesem „Spot“ arbeiten wir. 

JL: Welche Arbeiten soll Polybot in Zukunft übernehmen?

CM: Polybot soll alles erledigen können, was in der Landwirtschaft anfällt: neues Saatgut ausbringen, Unkraut jäten, Pflanzen bewässern, Büsche und Bäume zurückschneiden und vor allem ernten. Wir gehen davon aus, dass Polybot am Ende jede Aufgabe automatisieren könnte, für die der Greifarm geeignet ist. 

Polybot soll alles erledigen können, was in der Landwirtschaft anfällt.

Der Einsatz von Polybot könnte sich sogar bei Aufgaben lohnen, bei denen wir es uns aktuell kaum vorstellen können. Die Weizenernte ist zum Beispiel eines der effizientesten Verfahren in der konventionellen Landwirtschaft. Wir haben Überlegungen angestellt, ob Polybot ebenfalls kosteneffizient Weizen ernten könnte, und kamen zu dem Schluss, dass das prinzipiell möglich ist.  

JL: Wie würde die Weizenernte mit Polybot aussehen?

CM: Aktuell ist das zwar noch Zukunftsmusik, aber wir haben zwei mögliche Konzepte durchgespielt: Das eine ist eine Art Mini-Mähdrescher, den Polybot vor sich herschieben würde. Dafür würden wir den kompletten Mähdrescher mit Walze, Schneidwerk und so weiter um unseren Roboter herum miniaturisieren. Die andere Idee sind Hand-Mähdrescher, die eigentlich entwickelt wurden, um händisch Stichproben aus einem Weizenfeld zu nehmen. Dieses Gerät könnten wir Polybot direkt in die Hand geben. Das Thema Weizenernte ist zur Zeit allerdings nur ein Gedankenspiel, das uns helfen soll, auch über weit entfernte Szenarien ganz konkret nachzudenken.

JL: Was kann Polybot aktuell schon?

CM: Momentan kann er autonom Äpfel aufsammeln. Autonom heißt, dass wir nicht mehr in den Prozess eingreifen, indem wir ihm kleinschrittige Anweisungen geben wie: „Sammel jetzt diesen Apfel an dieser Position auf.“ Stattdessen nutzt Polybot seine Körperkameras, um die Äpfel in seiner Umgebung selbständig zu erkennen. Dann plant er den besten Weg dorthin, bewegt sich selbstständig zum Apfel, sammelt ihn auf, identifiziert den nächsten Apfel. Das geht so lange, bis er keine weiteren Äpfel mehr findet.

Bisher funktioniert das nur in einem klar abgetrennten Bereich, also etwa auf einem Stück Streuobstwiese. Polybot könnte noch nicht selbstständig vom Hof zur Wiese navigieren. Hier im Labor auf unserem schönen englischen Golf-Kunstrasen funktioniert das Sammeln von Äpfeln an sich schon sehr zuverlässig. Auf einer richtigen Wiese mit höherem Gras und schwierigen Lichtverhältnissen übersieht er aber noch regelmäßig Äpfel oder greift daneben. Daher müssen wir die Erkennungs- und Greifalgorithmen für den Einsatz unter Realbedingungen noch deutlich verbessern. 

JL: Wobei setzen Sie KI und maschinelles Lernen ein?

CM: Zum Beispiel für die Erkennung der Äpfel: Dafür verwenden wir ein neuronales Netzwerk, das Objekte erkennt. In Zukunft wollen wir maschinelles Lernen auch für die 3D-Tiefenwahrnehmung einsetzen. Polybot muss wissen, wie seine Umgebung aussieht und wo sich Hindernisse rund um ihn herum befinden. Dasselbe gilt für alle Planungsaufgaben: Wo gehe ich als Roboter als Nächstes hin, um möglichst keinen Weg doppelt zu laufen? Auch hier kann uns KI helfen. Ganz entscheidend für Polybot ist außerdem die Manipulation von Objekten, also etwa das Greifen. Dabei stößt die aktuelle Robotik an ihre Grenzen. Dass Roboter mithilfe von KI ihre Umgebung verstehen und sich darin bewegen, klappt schon einigermaßen. Die Technik dafür entwickelt sich aktuell sehr schnell und wird bereits genutzt, zum Beispiel für die Entwicklung autonomer Autos. Sie müssen genau wie Polybot einen Überblick über ihre Umgebung haben. Aber anders als autonome Autos muss Polybot mit empfindlichen Objekten interagieren. Er muss nicht nur zur Tomatenpflanze navigieren und die einzelnen Tomaten identifizieren – er muss die Tomaten auch greifen und pflücken und darf sich dabei nicht in der restlichen Pflanze verhaken oder die Tomaten zerquetschen.

So etwas wie Tomatenernte kann nicht „regelbasiert“ gelöst werden, also indem wir jeden einzelnen Schritt voraussehen und dem Roboter einprogrammieren. Wir wollen stattdessen Reinforcement Learning einsetzen, das heißt, der Roboter lernt selbst, was funktioniert und was nicht.

Der Roboter lernt selbst, was funktioniert und was nicht.

JL: Wie funktioniert dieses Reinforcement Learning?

CM: Wir simulieren einen virtuellen Roboter, der in einer simulierten Welt beispielsweise Tomaten ernten soll. Er kann in dieser virtuellen Welt üben, welche Bewegungen dafür am besten geeignet sind. Wir als Entwickler wissen selbst nicht genau, wie die optimale Bewegung aussehen soll. Wir kennen nur das Ziel: die Tomaten möglichst unbeschädigt ernten. 

Der Roboter muss in unserer Simulation selbst den besten Weg dafür finden, also eine sogenannte „Policy“ für die Tomatenernte entwickeln, einen internen „Plan“, wie er die Aufgabe löst. Zu Beginn ist die Policy zufällig. Das heißt, der simulierte Roboter läuft in eine zufällige Richtung und kann erst mal nicht zielgerichtet greifen. Wenn er dabei aber zufällig dem Ziel näher kommt, also zum Beispiel der Greifarm eine Tomatenpflanze streift, erhält er eine virtuelle Belohnung. Daraus lernt er: Diese Bewegung war gut. 

Diese Belohnungen sind das Herzstück des Reinforcement Learnings: Wir als Entwickler müssen sinnvolle Zwischenziele festlegen und mit Belohnungen verknüpfen, damit der Roboter selbstständig daran lernen kann. Ein ganz einfaches Zwischenziel kann sein, dass Polybot seinen Arm nahe zur Tomate bewegt und dafür die erste Belohnung bekommt – auch wenn das mit dem Greifen noch nicht richtig klappt. Ein bisschen wie bei einem Hund, dem man einen Trick beibringen will. Für ihn gibt es das erste Leckerli ja auch nicht erst, wenn der Trick perfekt ist, sondern beim ersten Schritt in die richtige Richtung.

JL: Sie haben gesagt, der Roboter übt nicht in Ihrem Labor, sondern in einer simulierten Welt. Wie sieht diese Welt aus? 

CM: Vorweg gesagt: Es gibt diese simulierte Welt noch nicht, da wir einige Probleme noch nicht gelöst haben. Erstens müssen wir die Welt realistisch genug simulieren, insbesondere die Physik der Interaktionen – also was passiert, wenn der Polybot eine Tomate greift. Für weiche Objekte wie Tomaten gibt es aber bislang keine guten Simulationsprogramme. Zweitens muss die Berechnung der simulierten Welt möglichst schnell gehen, damit unsere virtuellen Polybots möglichst viele Szenarien gleichzeitig durchspielen können. Drittens kann der Roboter per Simulation gelerntes Verhalten oft nicht immer problemlos auf die reale Welt übertragen. Hier ist noch einiges an Forschung nötig, damit der Transfer in Zukunft besser klappt.

JL: Wenn der Roboter sein Greif-Training in der virtuellen Welt abgeschlossen hat und in der realen Welt zum Einsatz kommt –  wie gut kommt er dort mit den Schwierigkeiten einer echten Outdoor-Umgebung zurecht? 

CM: Ursprünglich hat der Hersteller, Boston Dynamics, den Roboter für Fabriken konstruiert. Daher ist er ziemlich robust. Wie lange dieses konkrete Modell auf einem echten Bauernhof mit Staub, Dreck, Wind und Wetter durchhält, muss die Praxis zeigen.

Die chinesische Firma Unitree hat vor kurzem den Roboter B1 herausgebracht, speziell für harte Umweltbedingungen. Seine Motoren sind so gut versiegelt, dass er sogar unter Wasser laufen kann. Wir denken also, dass Haltbarkeit im Außeneinsatz ein lösbares Problem sein dürfte. 

JL: Bei all diesen Herausforderungen frage ich mich, wie man ein Projekt wie Polybot angeht. Wie sind Sie an den Punkt gekommen, an dem Sie jetzt stehen?

CM: Das Projekt hat einen sehr schönen Ursprung: Wieland Brendel, unser Gruppenleiter, hat seit Jahren regelmäßig Urlaub auf einem Permakulturhof gemacht. Irgendwann kam ihm der Gedanke: „Diese Polykulturen müsste man doch automatisieren können! Ginge das nicht mit Machine Learning?“ Mit dieser Idee ist er an mich und einen weiteren Doktoranden herangetreten. Wir haben als Erstes abgeklopft, ob es irgendeinen Grund geben könnte, warum das Konzept Polybot nicht funktionieren sollte, haben aber keinen gefunden. Also haben wir einen Antrag geschrieben und Geld erhalten, sodass wir mit zwei, drei Leuten starten und den ersten Roboter anschaffen konnten. Das war vor anderthalb Jahren. Danach haben wir die wichtigsten Fragen rundherum abgeklopft: Wer könnte Polybot direkt einsetzen? Wäre Polybot in der Praxis wirklich nachhaltiger als konventionelle Traktoren?

Bei diesen Fragen kam der Durchbruch letztes Jahr auf der Weltklimakonferenz COP27 in Ägypten. Dort waren die Reaktionen sehr positiv. Die UN, die EU und die Wissenschaft behaupten schon seit langem, dass Polykulturen für die Landwirtschaft der Zukunft stehen. Aber kaum jemand hat sagen können, wie es gehen soll. Mit Polybot haben wir eine ziemlich konkrete Idee, und das kam sehr gut an. Dieses Echo war ein wichtiger Meilenstein für uns. So konnten wir uns sicher sein, dass die Welt Polybot wirklich braucht.

Dieses Jahr haben wir ausgerechnet, dass sich Polybot auch wirtschaftlich lohnt. Das hat einen einfachen Grund: Düngemittel und Pestizide sind sehr teuer, und Polykulturen brauchen von beidem wahrscheinlich deutlich weniger. Durch die Umstellung auf Polykulturen könnten Landwirte große Summen einsparen, so dass sie es sich dann sogar leisten können müssten, einen relativ teuren Roboter anzuschaffen. Wir erwarten zudem, dass solche Roboter sehr viel günstiger werden, wenn sie in Massenproduktion gehen.

Durch die Umstellung auf Polykulturen könnten Landwirte große Summen einsparen.

JL: Wie effizient kann Polybot ein Feld bewirtschaften?

CM: Die entscheidende Frage ist die Effizienz der Polykulturen an sich. Das Problem ist, dass es aktuell niemanden gibt, der großflächig Polykulturen anbaut, weil sie sich noch nicht gut automatisieren lassen. Darum gibt es keine Daten, um die Frage nach der Effizienz des Polybots zu beantworten. Wir müssen Polybot zuerst in der konventionellen oder schon bestehenden ökologischen Landwirtschaft testen.

Dabei müssen wir aber bedenken: In einer Polykultur ändern sich die Aufgaben vollkommen. Konventionell wird viel Aufwand in Pflügen, Aussaat und Unkrautjäten gesteckt. Wenn wir aber in Polykulturen mehrjährige Pflanzen haben, muss man kaum mehr aussäen. Stattdessen müssen die Pflanzen aber regelmäßig beschnitten werden. In der Permakultur mit regenerativem Ökosystem braucht man auch eigentlich kein Unkraut jäten. Insgesamt fällt in Polykulturen weniger Arbeit an, außer bei der Ernte. 

Polybot könnte auch in der konventionellen Landwirtschaft einen großen Effizienz-Vorteil liefern. Zwar leistet ein Traktor mehr Arbeit als ein Roboter, aber der Roboter ist völlig autonom. So können viele Polybots parallel an unterschiedlichsten Aufgaben arbeiten, auch nachts und an verschiedenen Orten auf dem Hof gleichzeitig. Im Gegensatz dazu kann der konventionelle Traktor zu einer bestimmten Zeit immer nur an einer Aufgabe und an einem Ort arbeiten, und es muss immer jemand auf dem Fahrersitz sitzen. Polybots schaffen am Ende also mehr als Traktoren, weil sie ohne Pause und mit vielen Robotern parallel arbeiten. 

Polybot könnte auch in der konventionellen Landwirtschaft einen großen Effizienz-Vorteil liefern.

JL: Wie schlägt sich der Polybot beim Ressourcen- und Energieverbrauch?

CM: Um den Verbrauch von Polybots und Traktoren zu vergleichen, müssten wir wissen, wie viele Polybots einen Traktor ersetzen würden. Auch wenn wir das noch nicht mit hundertprozentiger Sicherheit sagen können, schätzen wir, dass 50 Polybots auf einen Traktor kommen. Unser aktuelles Polybot-Modell verbraucht 500 Watt. 50 Polybots bräuchten somit zusammen ca. 25 Kilowatt. Der Traktor, den sie ersetzen sollen, hat typischerweise 120 PS, das entspricht 70 bis 80 Kilowatt – also verbraucht Polybot dreimal weniger Energie.

Was die Ressourcen angeht, brauchen die Batterien der Roboter Lithium und ähnliche seltene Ressourcen. Genauso sieht es bei den Chips und Kameras aus, und das summiert sich bei 50 Polybots natürlich. Andererseits sind für die Produktion eines Traktors mehr Stahl und andere Baustoffe erforderlich als für unsere 50 Polybots. Sie sind nämlich deutlich leichter und dadurch sparsamer im Material. 

JL: Diese Hightech-Komponenten machen die Roboter auch teuer. Das Modell, das Sie aktuell verwenden, kostet neu rund 70.000 Euro. Es wird sich kaum jemand 50 Stück leisten können, oder? 

CM: Ja, da kommt die Magie der modernen Industrieproduktion ins Spiel. Wenn etwas in großer Stückzahl produziert wird, sinken die Preise stark. Auf diesen Effekt setzen wir, und es gibt schon erste Beispiele: Ein vergleichbarer Roboter1 ist schon für die Hälfte des Preises zu haben. Ein anderes Modell ohne Greifarm, vierbeinig, mit Kameras, 15 Kilo schwer, kostet sogar nur 1.500 Euro. Auch wenn das nicht ganz mit unserem aktuellen Modell vergleichbar ist, zeigt dieses Beispiel, wie stark die Preise fallen können. Wir rechnen damit, dass ein Polybot am Ende zwischen 10.000 und 20.000 Euro kosten könnte.

JL: Welche Zielgruppe soll sich Polybot leisten können?

CM: Zuerst denken wir an Landwirte in Europa. Für sie ist Polybot attraktiv, weil er ihnen Arbeiten abnimmt, die bisher nicht maschinell gelöst werden können. Wirtschaftlich lohnen wird er sich vermutlich erst für Aufgaben, die heute noch hundertprozentige Handarbeit sind. 

Aber wir denken auch über Europa hinaus. In vielen Ländern des Globalen Südens gibt es fast keine großen Maschinen in der Landwirtschaft. Das liegt vor allem daran, dass für große Traktoren die Infrastruktur fehlt. Die Landwirte bräuchten Benzin und spezielle Ersatzteile, die ohne gute Straßen schwierig zu bekommen sind. Mit dem Polybot-Konzept wäre das anders. Die Roboter sind klein, leicht verschiffbar und die Batterien können auch an Solarzellen geladen werden.

Einer unserer Gesprächspartner hat hinsichtlich der potentiellen Verbreitung der Roboter in Afrika einen interessanten Vergleich gezogen: Der Computer hat in vielen ärmeren Ländern nicht Fuß gefasst, weil er konstant Strom und eine feste Internetleitung braucht. Aber Smartphones, die eine Batterie haben und über Funk arbeiten, haben sich rasend schnell durchgesetzt. Der Computer wurde also einfach „übersprungen“. Genauso könnte es dem Traktor gehen, wenn die Landwirte dort direkt auf dezentrale Roboter setzen. Dazu müsste natürlich der Preis stark sinken. 

JL: Landwirtschaft heute ist komplett auf große Maschinen und Monokulturen ausgerichtet. Wie könnte ein Übergang zur automatischen Polykultur aussehen?

CM: Wir werden damit anfangen, kleinteilige Aufgaben auf konventionellen Höfen zu automatisieren. Zum Beispiel gibt es die EU-Blühstreifen-Verordnung: Landwirte bekommen Fördergelder, wenn sie kleine Streifen mit bienenfreundlichen Pflanzen am Rand ihrer Felder anlegen. Jeder dieser Blühstreifen ist ein beträchtlicher Aufwand für den Landwirt, auch wenn es nur um kleine Flächen geht. Polybot könnte hier einen Großteil der Bewirtung und Pflege übernehmen. So kann Polybot Stück für Stück „ökologische Inseln“ auf dem Hof aufbauen, für deren Pflege der Landwirt sonst nicht genug Zeit hätte. 

Mit der Automatisierung solcher kleinteiligen Aufgaben kann die Transformation klein anfangen — auch auf konventionellen Höfen. Anders wird es auch nicht gehen, denn die wenigsten Landwirte werden ihren Hof auf einen Schlag komplett umstellen. Dafür ist Polykultur auch zu komplex. Aber mit Polybot können wir den Umstieg hoffentlich so stark vereinfachen, dass ein allgemeines Umdenken in der Landwirtschaft geschieht.

Transparenzhinweis: Das Polybot-Projekt entstand an der Universität Tübingen.

Fußnoten
1

Hier das Unitree-Modell B1 mit Greifarm, von dem weiter oben schon die Rede war [d. Red.].

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