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SPECIAL INPUT: Helene von Schwichow

Wie nachhaltig ist die digitale Stadt?

Unsere Städte werden immer digitaler – sei es im Bereich Mobilität, Energie oder Wohnen. Helene von Schwichow geht der Frage nach, wie Städte durch den Einsatz digitaler Technologien nicht nur smarter, sondern auch nachhaltiger werden können. Ein Special Input über die Potenziale und Gefahren der digitalen Transformation unserer Städte. 

KI und Nachhaltigkeit

Städte als Hubs in der digital-nachhaltigen Transformation

Die digitale und die Nachhaltigkeitstransformation gelten als die zwei maßgeblichen global-gesellschaftlichen Herausforderungen der Gegenwart, die zudem nicht länger getrennt voneinander betrachtet werden können. An der Schnittstelle von Nachhaltigkeit und Digitalisierung entwickelt sich zunehmend ein interdisziplinäres Forschungsfeld, das die Potenziale digitaler Technologien für das Erreichen von Nachhaltigkeitszielen evaluiert. Hier gibt es große Hoffnungen: Insbesondere im Bereich erneuerbare Energien oder in der Landwirtschaft gibt es vielversprechende technologische Lösungen, die die Energiewende unterstützen oder die Biodiversität schützen sollen. Allerdings ist Digitalisierung nicht per se positiv: Zahlreiche Beispiele haben in den vergangenen 20 Jahren gezeigt, dass digitale Lösungen neue ökologische und soziale Herausforderungen mit sich bringen, sei es durch den hohen CO2-Ausstoß von Datencentern, den hohen Verbrauch limitierter Ressourcen für Hardware oder die automatisierte Reproduktion von diskriminierenden Stereotypen durch algorithmische Systeme. 

In dieser komplexen Debatte um die Fragen, wie die Digitalisierung für die Erreichung der Nachhaltigkeitsziele genutzt werden und wie eine nachhaltige Digitalisierung gelingen kann, nehmen Städte und Kommunen aus mindestens drei Gründen eine besonders interessante Rolle ein: 

Erstens kommt mit der anhaltenden Urbanisierung zur sogenannten „Twin Transition“, also der parallel ablaufenden digitalen und Nachhaltigkeitstransformation, noch ein dritter globaler Trend hinzu, der Städte bereits jetzt vor immense Herausforderungen stellt, etwa in den Bereichen Energieversorgung, Klimaresilienz, Wohnen oder Mobilität.1 Zweitens stellen Städte mit Nachhaltigkeitsziel 11 der Vereinten Nationen „Nachhaltige Städte und Gemeinden“ selbst ein Nachhaltigkeitsziel dar. Und drittens haben die Städte die Möglichkeit, gemeinsam mit Bürger:innen, z.B. in Living Labs Strategien für mehr Nachhaltigkeit und Digitalisierung zu erproben, Bürger:innen in Entscheidungs- und Gestaltungsprozesse einzubinden und voneinander zu lernen. Städte bieten in der digital-nachhaltigen Transformation also einen geeigneten Experimentierraum, um die Potentiale digitaler Technologien für Nachhaltigkeitsziele zu testen, wobei jedoch mögliche soziale und ökologische Risiken digitaler Technologien stets im Blick behalten werden müssen.

Mit KI zur nachhaltigen Stadt? 

Vor dem Hintergrund des fortschreitenden Klimawandels und der anhaltenden Urbanisierung stehen Städte gegenwärtig vor massiven Herausforderungen in verschiedenen Bereichen, wie etwa Energieversorgung, Wohnraum oder Mobilität, die nach technischen und nicht-technischen Lösungen verlangen.2 Da weltweit die meisten Ressourcen in die Städte fließen, haben diese aber auch eine besonders große Chance, Prozesse zu verändern und den Klimawandel abzumildern.3

Technologische Innovationen gelten dabei als vielversprechende Lösungen, wobei insbesondere Daten eine entscheidende Rolle zukommt, da diese die maßgebliche Ressource für die Messung und somit Optimierung sämtlicher Abläufe im urbanen Raum darstellen.4 Weltweit sind viele Städte in den vergangenen 20 Jahren bereits aktiv geworden und haben Zukunfts- und Optimierungsstrategien häufig unter dem Titel „Smart City“ formuliert und implementiert.5 Bei „Smart City“ handelt es sich um einen Sammelbegriff, der verschiedene Konzepte umfasst. Die gängigsten Definitionen gehen von Städten aus, in denen Informations- und Kommunikationstechnologien genutzt werden, um die Lebensqualität der Bürger:innen zu erhöhen und auf der Basis von integrierten Entwicklungskonzepten kommunale Infrastrukturen, wie beispielsweise Energie, Gebäude, Verkehr, Wasser und Abwasser zu verknüpfen und so eine nachhaltige urbane Entwicklung sicherzustellen.6

Dabei spielt auch künstliche Intelligenz eine maßgebliche Rolle. Insbesondere maschinelle Lernsysteme können auf Grundlage großer Datenmengen in Sekundenschnelle Entscheidungen treffen und so zum Beispiel Stau in Echtzeit messen und eine alternative Route vorschlagen. 

Auch hinsichtlich der Nachhaltigkeitsziele bieten maschinelle Lernsysteme vornehmlich bei der Reduktion von CO2-Emissionen einige vielversprechende Ansätze: Milojevic-Dupont und Kaack zeigen auf, dass speziell im Gebäudebereich, der für ein Viertel der weltweiten Emissionen im Energiebereich verantwortlich ist, der Verbrauch mit Hilfe von maschinellen Lernsystemen maßgeblich gesenkt werden kann, indem Geräte und Systeme lernen, sich an Nutzungsmuster anzupassen.7 Mit ihrer Hilfe können Gebäude auf Signale aus dem Stromnetz reagieren, was Netzbetreibern Flexibilität bietet und die Kosten für Verbraucher:innen senkt. Neben der Messung des Energieverbrauchs von Gebäuden stellen Satellitenbilder eine wichtige Datenquelle bei der Reduktion von städtischen Emissionen dar. So konnten etwa Geiß et al. mithilfe von Satellitenbildern Gebäude in verschiedene Typen unterteilen, um das Potenzial von Fernwärme in deutschen Städten zu bewerten.8 Ein ebenfalls viel diskutiertes Werkzeug für die Stadtplanung ist der sogenannte „Digitale Zwilling“, ein digitales Modell einer Stadt, welches basierend auf statischen Daten sowie Echtzeitdaten Vorhersagen in Bezug auf Mobilität, Klima, Energie und Lärm erlaubt und so auch zur Reduktion von CO2-Emissionen beitragen kann.9 

Der mögliche Einsatz von KI in Städten beschränkt sich dabei jedoch nicht auf ökologische Ziele. Auch wirtschaftliche und soziale Nachhaltigkeitsziele werden mit Hilfe von maschinellen Lernsystemen verfolgt: So hat KI das Potenzial, die Abfallsortierung zu optimieren und damit Recyclingquoten etwa von Kunststoffen, Textilien oder Gewerbeabfällen zu erhöhen.10 Und auch auf sozialer Ebene gibt es in Deutschland bereits einige Ansätze, etwa bei der durch Algorithmen gestützten Verteilung von Kitaplätzen, die Fairness in der Vergabe und Teilhabe von Kindern verbessern soll.11 

Der Smart-City-Begriff hat über die vergangenen Jahre vielseitige und teils berechtigte Kritik erfahren. Etwa, dass hinter den utopischen Ideen einer vernetzten Stadt vielmehr kapitalistische Interessen und eine Entwicklung hin zu mehr Überwachung und Kontrolle der Bürger:innen stehen als deren tatsächliches Wohl.12 Oder, dass gerade soziale Fragen wie die Bekämpfung von Ungleichheit oder Armut in Smart-City-Konzepten weniger im Vordergrund stehen als der technologische Fortschritt.13 Tatsächlich haben Smart-City-Strategien und deren Umsetzung in der Vergangenheit vermehrt Nachhaltigkeitsziele verfehlt oder sind bestenfalls auf ein „Nullsummenspiel“ hinausgelaufen.14

Gerade das Training und der Einsatz von KI-Systemen bringen einen sehr hohen und mit der zunehmenden Komplexität der Systeme weiter steigenden Energie- und somit CO2-Aufwand mit sich, insbesondere dann, wenn keine erneuerbaren Energien verwendet werden.15 Hinzu kommen weitere ökologische Faktoren wie etwa der zur Kühlung von Datenzentren benötigte Wasserverbrauch oder die fehlenden Recyclingmöglichkeiten von Hardware.16 Besonders drastisch sind mögliche negative Auswirkungen, die der Einsatz von KI im städtischen Kontext mit sich bringen kann, im Bereich der sozialen Nachhaltigkeit einzuordnen. 

Wie auch in vielen anderen Nachhaltigkeitsdebatten wurde im Kontext „Smart City“ die soziale Dimension von Nachhaltigkeit im Vergleich zur ökologischen und ökonomischen Dimension in der Forschung bislang vernachlässigt.17 Das ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass es sich bei sozialer Nachhaltigkeit um ein komplexes, immer wieder unterschiedlich ausgelegtes Konzept handelt, das über keine spezifische Definition verfügt.18 Auch in der Literatur zu Sustainable Smart Cities19 ko-existieren unterschiedliche Definitionen und Auffassungen der Bedeutung von sozialer Nachhaltigkeit, aus welchen Chen et al. vier Hauptthemen identifizieren:20 soziale Gerechtigkeit, Lebensqualität, eine verantwortungsvolle Regierungsführung, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt, und die Möglichkeit zur Partizipation für Bürger:innen. Diese vier Elemente entfalten insbesondere im urbanen Raum eine besondere Relevanz, da in dieser sozialen Struktur Kultur, Identität und Beziehungen von vielen Menschen auf engem Raum aufeinandertreffen.21 Demzufolge müssen erfolgreiche Smart-City-Strategien sich sozialer Herausforderungen wie Segregation, unpassender Stadtplanung, Armut oder Gewalt annehmen,22 sich dabei aber der Vielfalt sozialer Interaktionen innerhalb einer Stadt bewusst sein und die Tatsache anerkennen, dass der Einsatz von Technologien bestehende Ungleichheiten verstärken und zu neuen Formen der Ungerechtigkeit und Ausgrenzung führen kann.23 

Konkret haben diverse Fälle in der jüngeren Vergangenheit sichtbar gemacht, wie der Einsatz von künstlicher Intelligenz in sämtlichen Bereichen, die über das Schicksal von Bürger:innen entscheiden, schiefgehen und langfristige Schäden nach sich ziehen kann. So kam es etwa in den Niederlanden im Jahr 2020 zur sogenannten Kindergeldaffäre, bei der durch den Einsatz eines Algorithmus zehntausende, vornehmlich migrantische Familien zu Unrecht des Sozialbetrugs verdächtigt worden waren und die Steuerbehörde fälschlicherweise Rückzahlungen des Kindergelds in teils horrenden Summen eingefordert hatte. Der Algorithmus hatte eine nachweislich rassistische Prägung und trieb viele von staatlicher Unterstützung abhängige Familien in den finanziellen Ruin.24 2023 wurde zudem durch die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch bekannt, dass die Weltbank eine Software für die gerechtere Verteilung von Sozialleistungen in Jordanien entwickeln ließ, die jedoch bestimmte Personengruppen ausgrenzte und von der Möglichkeit staatlicher finanzieller Unterstützung ausschloss, ohne dass diese es nachvollziehen oder etwas dagegen unternehmen konnten.25 

Hinzu kommt, dass digitale Technologien Mechanismen der Überwachung und Kontrolle ermöglichen, durch die es zu folgenreichen Eingriffen in die Privatsphäre und Persönlichkeitsrechte kommen kann. So können Demokratien bedroht und Autokratien gestärkt werden.26

Wie kann die nachhaltig-digitale Transformation in Städten gelingen? 

Die Digitalisierung von Städten kann also nicht per se als positiv bewertet werden. Vielmehr bedarf es einer sinnstiftenden Einbettung: eine Digitalisierung im Sinne der Gesellschaft und des Gemeinwohls, um eine Verstärkung von bestehenden Problemen wie sozialer Ungerechtigkeit, Segregation oder Umweltverschmutzung durch den Einsatz von Technologien zu verhindern.27

Nachhaltigkeitsziele wie etwa diejenigen der UN bieten einen solchen Orientierungsrahmen. Somit findet das Konzept der Sustainable Smart City, das Nachhaltigkeit und Digitalisierung in der Stadtentwicklung zusammendenkt, seit einigen Jahren zunehmend Erwähnung in der wissenschaftlichen Literatur. 

Jedoch ist zum aktuellen Zeitpunkt unklar, inwieweit Städte in Deutschland und global Digitalisierungsmaßnahmen auf Nachhaltigkeitsziele ausrichten. Zwar stellen einige deutsche Städte ihre Smart-City-Strategien explizit in den Dienst einer nachhaltigen Stadtentwicklung (z.B. Smart City Bochum oder Smart City Berlin), allerdings herrscht aktuell noch Unklarheit über die Messbarkeit von Nachhaltigkeit im Smart City-Kontext. Es ko-existieren zwar diverse Indizes, aber kein einheitliches Messverfahren, das von einem umfassenden Nachhaltigkeitsverständnis ausgeht und mögliche Zielkonflikte zwischen den verschiedenen Nachhaltigkeitsdimensionen mitdenkt. 

Wie kann also die Zukunft der nachhaltigen und zugleich digitalen Stadt aussehen? Ben Green schlägt in seinem Buch The Smart Enough City vor, die „Tech-Brille“ abzunehmen und anzuerkennen, dass Städte als ökologische Systeme zu komplex sind, um perfekt durchrationalisiert und messbar gemacht zu werden, und dass Versuche, Probleme mit technologischen Lösungen zu bekämpfen, in der Vergangenheit eher Schäden verursacht haben.28 Stattdessen plädiert er dafür, Technologien, insbesondere KI, in Städten nur so einzusetzen, dass Ungleichheiten abgemildert und Privatsphäre und Demokratie unterstützt werden.29 In eine ähnliche Richtung geht der Vorschlag einer nachhaltig-digitalen kommunalen Daseinsvorsorge von Beer et al.30 Sie zeigen auf, dass Digitalisierung zwar ein wichtiger Faktor in der sozial-ökologischen Transformation von Städten und Kommunen ist, allerdings nur, wenn gewisse Grundvoraussetzungen, wie etwa digitale Souveränität, ein umweltgerechtes Systemdesign oder die Möglichkeit der Bürger:innen zur Mitgestaltung, gegeben sind. Es bleibt zu beobachten, wie diese Konzepte in deutschen und internationalen Städten in die Praxis umgesetzt werden. 

Fußnoten
30

Laut UN Habitat werden bis zu 68 Prozent der Weltbevölkerung im Jahr 2050 in Städten leben (World Cities Report 2022, abgerufen am 16. Oktober 2023).

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