Einsamkeit wird oft als individuelles Problem diskutiert. Wie der Soziologe Janosch Schobin darlegt, deuten jedoch zahlreiche Forschungsarbeiten darauf hin, dass Vereinsamung als gesellschaftliches Phänomen verstanden werden sollte. Zum einen könnten bestimmte Sozialstrukturen Einsamkeit hervorbringen und verstärken – zum anderen könne Einsamkeit selbst eine Gefahr für die gesellschaftliche Stabilität darstellen.
Derartige Überlegungen finden sich bereits bei
Seitdem ist diese These vielfach weiterentwickelt und erforscht worden. Eine Studie des Progressiven Zentrums untersuchte nun, inwieweit autoritäre und antidemokratische Einstellungen unter jungen Menschen in Deutschland verbreitet sind. Hierzu führten die Autorinnen qualitative Einzelinterviews und
Mehr als die Hälfte der Befragten fühlen sich einsam
Die Wissenschaftlerinnen konnten feststellen, dass Einsamkeit unter jungen Menschen in Deutschland stark verbreitet ist – 55 Prozent der Studienteilnehmer*innen fehlt manchmal oder immer Gesellschaft, 26 Prozent haben nicht das Gefühl, anderen Menschen nah zu sein. Es zeigte sich zudem, dass Einsamkeit unter jungen Menschen signifikant mit einer Neigung zu Verschwörungserzählungen, Billigung politischer Gewalt und autoritären Einstellungen zusammenhängt. Beispielsweise stimmten 46 Prozent der einsamen jungen Menschen der Aussage zu, die Regierung wisse oft über terroristische Anschläge Bescheid und ließe diese geschehen. Unter den Nicht-Einsamen waren es 31 Prozent. Der Aussage „Einige Politiker haben es verdient, wenn die Wut gegen sie auch schon mal in Gewalt umschlägt“ stimmten 25 Prozent der Nicht-Einsamen, aber 34 Prozent der Einsamen zu. Ebenso ließ sich ein Unterschied bei Aussagen feststellen, die als Anzeichen für autoritäre Einstellungen verstanden wurden. Der Aussage „Ich bewundere Menschen, die die Fähigkeit haben, andere zu beherrschen“ stimmten etwa 46 Prozent der einsamen gegenüber 35 Prozent der nicht-einsamen jungen Menschen zu.
Wie sich ein solcher Zusammenhang zwischen Einsamkeit und antidemokratischen oder autoritären Haltungen erklären lässt, ist bisher wenig erforscht. Die Autorinnen der Studie geben jedoch einige Hinweise, in welche Richtungen gesucht werden kann.
Eine Erklärung wäre etwa eine erhöhte Anfälligkeit einsamer Menschen für rechtsradikale Gruppen, die Anerkennung und Gemeinschaft versprechen. Tatsächlich können die Autorinnen zahlreiche Arbeiten anführen, die empirisch belegen, dass junge Menschen mit weniger gefestigten sozialen Beziehungen und in schwierigen Lebenslagen oft besonders empfänglich für extremistische Ideologien sind. Ebenso ist belegt, dass sich rechtsextreme Akteure dies mit gezielten Rekrutierungsstrategien zunutze machen. Dies kann auch im digitalen Raum, beispielsweise auf TikTok, geschehen.
Durch Einsamkeit könnten Menschen auch Vertrauen in ihre Mitmenschen und öffentliche Institutionen verlieren. Empirisch am besten belegt ist der Vertrauensverlust auf der interpersonellen Ebene. Sozialpsychologische Studien zeigen: Einsamkeit fördert Unsicherheit und Misstrauen im persönlichen Umgang mit anderen Menschen. Dahin anschließend stellt sich die Frage, ob Einsamkeit auch Misstrauen in öffentliche Institutionen fördern kann. Tatsächlich lässt sich hier empirisch ein gewisser Zusammenhang feststellen. Weiter erforscht werden müssen jedoch die kausalen Zusammenhänge. Sorgt Misstrauen im persönlichen Umgang auch für einen Vertrauensverlust in öffentliche Institutionen? Oder fördert umgekehrt ein Misstrauen in die öffentliche Ordnung den Vertrauensverlust auf persönlicher Ebene?
Einsamkeit birgt demokratiegefährdendes Potenzial
Die Studie zeigte, dass einsame junge Menschen in Deutschland kaum über Handlungsstrategien verfügen, um mit ihrer Einsamkeit umzugehen. Die Ursachen für Einsamkeit werden vor allem in der eigenen Person gesucht. Dabei gaben jedoch nur wenige Jugendliche an, hilfreiche Wege gefunden zu haben. Weniger als die Hälfte der Befragten nahm professionelle Hilfe in Anspruch, und nur ein Drittel derjenigen, die dies taten, bezeichneten es als hilfreich.
Die Autorinnen der Studie kommen so zu dem Schluss: Die unter Jugendlichen weit verbreitete Einsamkeit birgt ein demokratiegefährdendes Potenzial. Es bestehe deshalb dringender Handlungsbedarf für Präventionsarbeit. Es müssten interdisziplinäre Lösungen geschaffen werden, etwa Begegnungsorte und zugängliche politische Bildung und Gestaltungs- und Mitwirkungsmöglichkeiten für junge Menschen, um ihre Teilnahme und Teilhabe an der Demokratie zu stärken.