SPECIAL INPUT: Senja Post

Durch abwägende Wissenschaftskommunikation Vertrauen schaffen – ein Gespräch mit Senja Post

Sollten Wissenschaftler eindeutige politische Handlungsempfehlungen aussprechen – oder darauf hinweisen, dass das Abwägen von Maßnahmen eine Sache von Politik und Gesellschaft sei? Senja Post vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) hat in einer empirischen Studie untersucht, wie sich unterschiedliche Kommunikationsstile auf das Vertrauen in Wissenschaft auswirken. Im Interview mit te.ma-Gründer Martin Krohs stellt sie die Ergebnisse vor und beleuchtet das Verhältnis von Wissenschaft, Medien und Politik.

Meta-te.ma

Senja Post ist Professorin für Wissenschaftskommunikation am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Im März 2024 publizierte ihre Arbeitsgruppe eine empirische Studie darüber, wie sich unterschiedliche Stile öffentlicher Politikberatung auf das Vertrauen in Wissenschaft auswirken. 

Post und ihr Kollege Nils Bienzeisler untersuchten das am Beispiel dreier aktueller Debatten – zu Schulschließungen während der Coronakrise, zu einem möglichen Verbot von Inlandsflügen und zu Abschussgenehmigungen für Wölfe in Wohngebieten.

Zu jeder dieser Debatten legten sie den Versuchspersonen Äußerungen von fiktiven Wissenschaftlern vor.

Im einen Fall suggerierten die Wissenschaftler als „Epistokraten“ (gr. episteme: Wissen, -kratie: Herrschaft), politische Maßnahmen ließen sich direkt und eindeutig aus ihrer wissenschaftlichen Arbeit ableiten. Im anderen Fall führten sie als „ehrliche Makler“ ihre Forschungsergebnisse als ein gutes Argument für politische Maßnahmen an, stellten zugleich aber die Abwägung verschiedener Argumente als eine Aufgabe von Politik und Gesellschaft dar.

Frau Post, in Ihrer Studie haben Sie fast 6.000 Probanden mit den Kommunikationsstilen des „Epistokraten“ bzw. des „ehrlichen Maklers“ konfrontiert. Wem von beiden wird generell mehr Vertrauen entgegengebracht – und warum?

Zunächst einmal zeigen Befragungen, dass das Vertrauen in die Wissenschaft in Deutschland und in vielen anderen westlichen Demokratien generell sehr hoch ist. Allerdings ist das Vertrauen in politischen Kontroversen stark polarisiert. 

Wenn sich ein Wissenschaftler zu einem politisch relevanten Thema äußert, dann wird er bei denjenigen, die sich von seinen Aussagen politisch bestätigt fühlen, als stärker vertrauenswürdig wahrgenommen. Bei denjenigen allerdings, deren Politikpräferenz in Widerspruch zu den Aussagen des Wissenschaftlers stehen, erscheint der Wissenschaftler weniger vertrauenswürdig. 

In politischen Kontroversen ist das Vertrauen in die Wissenschaft stark polarisiert.

Was die beiden Kommunikationstypen des Epistokraten und des ehrlichen Maklers angeht, legt unsere Forschung nahe, dass beide aufs Ganze gesehen ähnlich viel Vertrauen herrufen. Allerdings kann der ehrliche Makler bei einer bestimmten Gruppe mehr Vertrauen schaffen, und zwar bei denjenigen, die sich durch die politischen Implikationen einer konkreten wissenschaftlichen Aussage besonders herausgefordert sehen. Bei dieser Gruppe kann eine Kommunikation im Stil des „ehrlichen Maklers“, die zwar eine Politikempfehlung enthält, zugleich aber zur Diskussion unterschiedlicher Politik-Optionen aufruft, das Misstrauen abmildern und es unter Umständen sogar in ein mildes Vertrauen verwandeln. 

Wenn ein Wissenschaftler also beispielsweise sagt, dass konkrete Studienergebnisse dafür sprechen, Wölfe in Wohngebieten zum Abschuss freizugeben, aber gleichzeitig darauf hinweist, dass das mit anderen Argumenten abgewogen werden muss, dann sind die Vertrauensgewinne am höchsten bei denjenigen, die eigentlich für einen strengen Schutz der Wölfe sind. Und dieses Muster beobachten wir jeweils auf beiden Seiten der Kontroversen, die wir untersucht haben.

Wie sehen diese beiden Kommunikationsweisen in der Praxis aus – können Sie uns Beispiele dafür geben?

Im epistokratischen Stil fallen etwa Sätze wie: „Die Studien belegen, dass Schulschließungen notwendig sind.“ Im Stil des ehrlichen Maklers würde man dagegen sagen: „Die Studien liefern ein gutes Argument, Schulen zu schließen. Die Politik sollte dieses Argument zur Kenntnis nehmen und es mit Argumenten aus anderen Perspektiven abwägen.“ Der ehrliche Makler bezieht im Gegensatz zum Epistokraten die Abwägungsprozesse, wie Wirkungen und Nebenwirkungen von Schulschließungen in einer Pandemie zu gewichten sind, explizit in seine Kommunikation mit ein.

Und die Kommunikationsweise des ehrlichen Maklers hat also eine depolarisierende Wirkung, was das Vertrauen angeht?

Ja – und das Interessante ist, wie diese Wirkung zustande kommt: nicht dadurch, dass sich bei allen ein mittleres Vertrauensniveau einstellt, sondern dadurch, dass die Misstrauischen mehr Vertrauen bekommen – und zwar in eine Aussage, die sie wegen ihrer politischen Implikationen eigentlich ablehnen. 

Ein „ehrlicher Makler“ kann bei denen, die aus politischen Gründen misstrauisch sind, mehr Vertrauen schaffen.

Wenn ich Ihnen jetzt die Namen einiger bekannter Wissenschaftler vorlegen würde, könnten Sie dann sagen, wer davon als Epistokrat und wer als ehrlicher Makler kommuniziert? 

Nein, denn das schwankt auch bei einzelnen Personen. Gerade in der Pandemie wurden die Wissenschaftler teilweise auch in Rollen hineingedrängt. Wie eine Kommunikation wahrgenommen wird, hängt außerdem von der Situation und von den Beurteilungsmaßstäben ab, die in konkreten Debatten angelegt werden. 

Aber es gibt in konkreten Fällen glücklichere und unglücklichere Kommunikationsweisen. Wenn zum Beispiel die Bevölkerung gerade intensiv diskutiert, ob ein Gasembargo gegen Russland verhängt werden sollte, und dann zu dieser Frage eine Stellungnahme der Leopoldina veröffentlicht wird, dann sind die Beurteilungsmaßstäbe für diese Stellungnahme nicht mehr nur rein wissenschaftlich. Die Stellungnahme ist dann von der gesellschaftlichen Konstellation her schon enorm politisch aufgeladen. 

Die Leopoldina hat mit der Headline ihrer Stellungnahme der Politisierung allerdings noch Vorschub geleistet. Sie hieß sinngemäß „Gasembargo ist verkraftbar“ und hat damit ein Werturteil abgegeben – denn wer will festlegen, was für wen verkraftbar ist? Man hätte die Stellungnahme auch anders kommunizieren können, etwa unter der Bezeichnung „Vor- und Nachteile eines Gasembargos“ oder „Wirtschaftswissenschaftliche Abwägungen eines Gasembargos“. Mit der gewählten Formulierung hat man die politische Wahrnehmung noch verstärkt, und dadurch erschien die Stellungnahme epistokratischer, als sie dem Inhalt nach eigentlich war.

In einem Gespräch mit te.ma über Experten für militärische Sicherheit wies der Soziologe Nils Kumkar auf das Phänomen der „reflexiven Politisierung“ hin – dass also ein wissenschaftliches Statement dadurch, dass Wissenschaft zur Legitimierung von Politiken notwendig ist, zwangsläufig zum Politikum wird. Ist es in der Praxis da überhaupt möglich, als ehrlicher Makler zu wirken? 

In der Tat, wie Wissenschaftler öffentlich erscheinen, hängt nicht allein von ihnen selbst ab. Vielleicht gibt eine Wissenschaftlerin eine sehr vorsichtige Empfehlung, und Journalisten greifen das auf und machen daraus eine Forderung. Die Wissenschaftlerin hat gar nicht selbst wie ein Epistokrat kommuniziert, aber im Presseartikel erscheint sie plötzlich so.

Außerdem haben Politiker, politische Interessengruppen und NGOs ein großes Interesse daran, Kronzeugen für ihre präferierte Politik zu finden und Wissenschaftler so zu zitieren, als würde sich ein politischer Sachzwang aus ihrer Forschung ableiten. Wenn man als Politiker in der Pandemie sagt: Naja, wir wollten ja die Schulen eigentlich gar nicht schließen, aber die Virologen, also die epidemiologischen Modelle, haben uns dazu gezwungen – dann ist das für Politiker auch ein Mittel, sich selbst aus der Schusslinie zu nehmen. 

Verweise auf Wissenschaftler sind für Politiker auch ein Mittel, sich selbst aus der Schusslinie zu nehmen.

In Reinform gibt es die Epistokraten und die ehrlichen Makler vermutlich gar nicht. Aber unsere Studie zeigt: Wenn sich Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen die Rolle des ehrlichen Maklers vergegenwärtigen und ihre öffentliche Kommunikation daran orientieren, dann haben sie eine Chance, der Politisierung von außen etwas entgegenzusetzen. 

Sind die Kommunikatoren aus der Wissenschaft sich dieser Problematik bewusst – und dieser Möglichkeiten, mit ihr umzugehen?

Da besteht aus meiner Sicht ein Bedarf an den Universitäten. Wir versuchen das am KIT durch ein Begleitstudium oder durch Zusatzqualifikation zu adressieren. Dazu gehen wir in einem Jahr mit einem neuen Programm an den Start. 

Gerade die naturwissenschaftlichen und ingenieurwissenschaftlichen Studiengänge sind ja randvoll gepackt mit harten fachlichen Anforderungen. Da ist nicht viel Raum für anderes. Und da sehe ich so etwas wie das Studium Generale in der Pflicht, in Form von Zusatzqualifikationen Angebote zu schaffen, die es den Fachexperten von morgen ermöglichen, zwischen Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit versiert und reflektiert zu navigieren. Die Studierenden oder auch die Doktorierenden lernen zum Beispiel zu unterscheiden zwischen deskriptiven Aussagen und normativen Aussagen. Was ist an dem, was ich sage, wissenschaftlich und was ist daran politisch? Da geht es um sozialwissenschaftliches Grundwissen. Ich glaube, dass man damit schon einiges klären kann.

Natürlich kann sich jede junge Wissenschaftlerin und jeder junge Wissenschaftler dafür entscheiden, zu politisieren und zu sagen: Ich glaube, dass es normativ richtig ist, auch Politik zu machen, also sozusagen aktivistisch zu werden. Aber man sollte zumindest mal reflektiert haben, welche Modelle es gibt, sich öffentlich einzubringen, und welche Vor- und Nachteile sie jeweils haben könnten.

Wie ist das in den Geistes- und Gesellschaftswissenschaften? In den Debatten über Gender, über die Erinnerungskultur oder über den Nahost-Konflikt haben die Forschungsergebnisse selbst einen normativen Gehalt. Untergräbt man da nicht seine eigene Position, wenn man als ehrlicher Makler auftritt?

Wenn man den eigenen normativen Anspruch transparent macht, dann kann man auch als Geisteswissenschaftler ein ehrlicher Makler sein. Außerdem hat jede Forschung eine bestimmte Perspektive. Als Gesellschaft müssen wir uns zwar ganzheitlich mit einem Geschehen wie dem Krieg oder der Pandemie beschäftigen, Wissenschaftler arbeiten aber immer an spezifischen Sachverhalten. Da geht es, sagen wir, um die Kulturgeschichte der Pandemien aus der Sicht der Frauen oder um Militärgeschichte. Auch hier können Hinweise auf die Begrenztheit der eigenen Betrachtungsperspektive sinnvoll sein.

Auch Geisteswissenschaftler können „ehrliche Makler“ sein, wenn sie ihren eigenen normativen Anspruch transparent machen.

Sie plädieren für eine starke Autonomie der politisch-gesellschaftlichen Sphäre gegenüber der Wissenschaft. Es gibt aber auch Stimmen, die sagen: Wir haben, wenn es zum Beispiel ums Klima geht, sogar zu viel politische Diskussion! Hört auf zu palavern, und follow the science! – Gibt es Sachgebiete, wo Sie das auch vertreten würden?

Es ist schwer, darauf pauschal zu antworten. Aber ich denke, es schafft in den meisten Fällen eher Probleme, die follow the science-Rhetorik anzuwenden, besonders wenn man die Politik dann auch wirklich so vollziehen möchte. 

Dahinter steht bei mir aber auch ein bestimmtes Ideal einer gesellschaftlichen Debatte. Ich hätte die Vorstellung, dass die Trennung von Wissenschaft und Politik eine transparentere gesellschaftliche Debatte zur Folge hat. 

Etwa bei der Klimaproblematik. Die ist ja extrem komplex. Wenn man jetzt überlegt, ob man zum Beispiel die Mobilität einschränken soll – da würde man als Sozialwissenschaftler sagen: Vorsicht, wir sind hier auch auf die Unterstützung der Menschen angewiesen! Oder wenn man sich nicht parallel mit der Rentenproblematik auseinandersetzt und hier wirklich nachhaltige Lösungen findet – wie viel Unterstützung und wie viel Ressourcen für die notwendige Technologieentwicklung für Klimaschutz sind noch da, wenn die Rentenlast die junge Generation nach der Verrentung der Boomer-Jahrgänger so richtig trifft? 

Wenn man die Komplexität gesellschaftlicher Problemlagen nicht anerkennt, dann führt das, glaube ich, eher zu einem Potenzial von Wut, zum Gefühl, übergangen zu werden. Und ich könnte mir sogar vorstellen, dass dieses Brodeln in der Gesellschaft und dieser Widerstand, den man dadurch erzeugt, der guten Sache, also etwa dem Klimaschutz, eher schaden würde.1 

Für den Journalismus wird diskutiert, ob die Medien neutral sein müssen oder ob man gerade dadurch unweigerlich auch Lügen und Falschinformationen verbreitet. Spielt dieses Problem der „falschen Balance“ in der Wissenschaftskommunikation auch eine Rolle?

Durchaus, und ich finde dieses Problem auch deshalb interessant, weil es so einfach gar nicht zu lösen ist. 

Einerseits kann man eben den Wahrheitsgehalt einer Aussage nicht aushandeln. Konsensfindung ist keine wissenschaftliche Methode. Man sollte daher auch Talkshows nicht nach politischem Proporz besetzen, wenn man wirklich an Wahrheit interessiert ist und eine Sachfrage klären möchte.

Andererseits ist false balance leider auch ein politischer Kampfbegriff geworden. Wenn Wissenschaftler Dinge äußern, die in einer bestimmten politischen Kontroverse als unliebsam erscheinen, dann wird häufig gesagt: Ah, den dürft ihr gar nicht einladen, wenn der da ist, dann entsteht eine false balance. Es wird also unterstellt, diese Person sagt etwas Falsches, aber vielleicht sagt sie gar nicht etwas sachlich Falsches, sondern nur etwas politisch Unerwünschtes. Man muss schon ein bisschen aufpassen, dass false balance nicht unter dem Deckmantel der Objektivität einfach ein Delegitimationsmittel wird.

Man muss aufpassen, dass false balance nicht unter dem Deckmantel der Objektivität ein Delegitimationsmittel wird.

Vielleicht könnte auch hier eine Richtschnur sein, auf Multiperspektivität zu achten. Man muss natürlich nicht den Virus-Leugner gemeinsam mit dem Virologen in eine Talkshow setzen. Aber man kann gemeinsam mit dem Virologen einen Bildungsforscher, einen Jugendpsychiater und einen Epidemiologen einladen, die aus ihrer jeweiligen Perspektive heraus Schulschließungen unter Umständen wissenschaftlich begründet unterschiedlich bewerten.

Sehen Sie eine Möglichkeit, ein knappes und stringentes Kriterium dafür zu formulieren, welche Perspektive legitim ist? Ein Kriterium für die Frage: Wer darf mitreden?

Die unbequeme Wahrheit ist: Es gibt da kein eindeutiges Kriterium. Es kommt ja auch immer mal wieder vor, dass sich die abweichende Einzelmeinung in einer Wissenschaft später als die richtige erweist. Aus diesen Problemen werden wir niemals rauskommen.

Letztlich glaube ich, dass man nicht umhinkommt, sich tief mit Sachdebatten zu beschäftigen und mit vielen verschiedenen Leuten zu sprechen. Und dann zu beurteilen: Wen halte ich persönlich für kompetent? Es gibt Kriterien wie das wissenschaftliche Ansehen, an denen man sich orientieren sollte. Aber sie sind natürlich kein Garant dafür, zu beurteilen, wer in einer Sachfrage richtig liegt.

Es wird wohl immer gelten, dass Wahrheit nicht durch Momentaufnahmen ermittelt werden kann. Wahrheitsfindung ist ein Prozess. Man sollte in der Wissenschaft und in öffentlichen Diskussionen immer die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass das Bild, das sich heute zeigt, mit neuen Erkenntnissen morgen oder aus Sicht von Historikern in einigen Jahrzehnten ein ganz anderes sein könnte.

Wer sind die besseren Wissenschaftskommunikatoren: die Wissenschaftler selbst oder die Journalisten? Wer sollte für die Wissenschaft sprechen? Und wo sehen Sie jeweils Vor- und Nachteile? 

Beide müssen sich ergänzen. Selbst ein hervorragend fachlich studierter Wissenschaftsjournalist kann nie vollständig in die aktuellen Fachdebatten eintauchen. Das heißt, es braucht immer Wissenschaftler, die das vertieft Fachliche beisteuern. 

Auf der anderen Seite hat eine Wissenschaftlerin natürlich nicht die Fähigkeit, sich vom eigenen Fach und von der Fachperspektive so zu distanzieren, wie Journalisten das machen können. Die können wahrscheinlich viel besser diejenigen Fragen stellen, die man als Laie auch stellen würde. 

Ich glaube also, die beste Wissenschaftskommunikation bekommt man durch eine Kooperation von Wissenschaftlern und Journalisten. Eine Kooperation, die so professionell ist, dass sie kritische Distanz und präzise Verständigung in der Sache auf beiden Seiten voraussetzt und respektiert. 

Die beste Wissenschaftskommunikation bekommt man durch eine Kooperation von Wissenschaftlern und Journalisten.

Wissenschaftskommunikation wird ja meist als ein aktives Kommunizieren aus der Wissenschaft heraus in die Öffentlichkeit hinein verstanden. Mit te.ma versuchen wir im Gegenteil, den wissenschaftlichen Diskurs selbst einen Spaltbreit weiter zu öffnen, so dass Außenstehende besser hineinschauen und auf eigene Faust recherchieren können. Welche Vor- und Nachteile sehen Sie jeweils bei diesen beiden Modellen?

Natürlich hat es viele Vorurteile, wenn Wissenschaftler proaktiv kommunizieren. Wissenschaft hat einfach eine gesellschaftliche Bringschuld – allein deshalb, weil sie aus Steuergeldern finanziert wird. Und da ist es Ehrensache, wenn man so möchte, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sich mit ihrem Sachwissen in öffentliche Debatten einbringen. Das erwartet die Gesellschaft und auch die Politik zurecht.

Es gibt aber unter Umständen auch Nachteile. Wir haben ja ein politisch forciertes Anreizprogramm zu mehr Wissenschaftskommunikation: Wissenschaftskommunikation soll gestärkt werden, über verschiedene Programme des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zum Beispiel. Das ist grundsätzlich begrüßenswert, aber teilweise sehe ich es auch mit Sorge. Angenommen, Wissenschaftskommunikation und gesellschaftliches Engagement werden zu einem Karrierekriterium für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Was passiert dann in Debatten, in denen sich Wissenschaftler mit ihrem Wissen potenziell unbeliebt machen, weil die öffentlich sichtbare und die wissenschaftliche Debatte auseinanderklaffen?

Nehmen wir mal das Beispiel Glyphosat. Da gibt es eindeutig eine gesellschaftlich erwünschte Haltung hin zu einem Verbot des Pflanzenschutzmittels. 

Nehmen wir jetzt einmal an, ein Nachwuchswissenschaftler aus der Agrarwissenschaft kommt zu dem Schluss, dass es sehr interessante Forschungsfragen zum Nutzen von Glyphosat gibt. Dann sagt er sich vielleicht: Wenn ich nachher über die Nützlichkeit von Glyphosat öffentlich kommunizieren muss, dann ist mir das bei diesem politischen Thema zu kostspielig in Anbetracht der Tatsache, dass man vermutlich mit massiven Anfeindungen rechnen muss. Im Extrem könnte es also dazu kommen, dass Wissenschaftler in Antizipation ihres öffentlichen Engagements ihre Forschungsfragen so auswählen, dass sie Beifall bekommen oder zumindest Anfeindungen vermeiden. Das würde einen Forschungsprozess, der prinzipiell offen sein sollte, erheblich beeinträchtigen. 

Wenn Wissenschaftskommunikation zum Karrierekriterium wird, kann das die Offenheit des Forschungsprozesses beeinträchtigen.

Jetzt zur Frage der Laien, die sich selbst informieren. Da sehe ich Vor- und Nachteile. Grundsätzlich ist es sehr wünschenswert, wenn Laien intrinsisch motiviert zu einer Sachdebatte recherchieren. Es kann aber dazu kommen, dass Laien ihre Fähigkeiten, sich ein ausgewogenes Bild zu einem komplexen Sachthema zu machen, überschätzen. Aus der Psychologie ist bekannt, dass wir Menschen Informationen häufig so auswählen und interpretieren, dass sie unsere Voreinstellungen bestätigen. Um ausgewogen Informationen zu recherchieren, benötigt man neben Sachkenntnis gut eingeübte Techniken einer systematischen Recherche und eine Bereitschaft, eigene Voreinstellungen zu revidieren.

Eine Alternative sind kuratierte oder redaktionell aufbereitete Angebote, wie sie der Qualitätsjournalismus oder auf Wissenschaft spezialisierte Plattformen machen. Angesichts der digitalen Informationsflut sind wir mehr und mehr auf kompetente Kuratoren angewiesen, die Informationen bündeln oder redaktionell aufbereiten. Auch die Idee von te.ma halte ich für interessant – sie bietet interessierten Laien die Möglichkeit, profunde zu recherchieren, und schützt sie zugleich vor den Irrungen und Wirrungen der unüberschaubaren Ressourcen des Internets. Solche Angebote können für Nutzer sinnvoll sein, die sich mehr wünschen als einzelne Schlaglichter auf ein bestimmtes Sachthema, sondern die sich aktiv ein umfassenderes Bild machen wollen.  

Wenn Sie einen Wunsch hätten an alle, die in den Medien mit wissenschaftlichen Inhalten arbeiten, wie würde der lauten? 

Ich würde mir generell, das gilt für Journalistinnen und Journalisten, aber auch für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, eines wünschen: Selbstkritik. Eine Sensibilität gegenüber den eigenen cognitive biases. Und damit einhergehen würde zum Beispiel auch Zurückhaltung bei der moralischen Verurteilung von Sachverhalten, die zunächst vielleicht zutiefst irritieren. Man sollte immer die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass man das vollständige Bild noch nicht kennt. Das würde ich für ein professionelles Verhalten im Umgang mit so etwas wie Wahrheit halten. Dass man sich von den eigenen Leidenschaften ein Stück weit distanzieren kann.

Fußnoten
1

Senja Post hierzu weiter:

„Aber es gibt auch eine interessante Untersuchung, die in einer ganz akuten Krisenlage Gegenargumente gegen meine Einschätzung liefern könnte. In der Pandemie hat man untersucht, wie behördliche Kommunikation einerseits die Impfbereitschaft, andererseits das Vertrauen in die Behörden beeinflusst. Und zwar hat man u.a. die Einflüsse transparent negativer und vager Kommunikation kontrastiert. Man hat Probanden hierzu eine Information zu einer fiktiven Corona-Schutzimpfung vorgelegt.

Transparent negativ bedeutete im Sinne der Untersuchung eine Formulierung wie: „Im Vergleich zur Grippeimpfung, hat die Corona-Impfung etwas mehr Nebenwirkungen und sie wurde auch nicht ganz so lange vorab getestet“. Dagegen lautete die vage Kommunikation: „Die Impfung hat vertretbare Nebenwirkungen, wurde ausreichend lange getestet“.

Es zeigte sich, dass die vage Kommunikation die Impfbereitschaft stärker erhöht hat als die transparent negative Kommunikation. Die hat im Vergleich die Impfbereitschaft etwas abgeschwächt. Dagegen gab es bei der transparent negativen Kommunikation verglichen mit der vagen Kommunikation ein höheres Vertrauen in die Behörden.

Da kann man jetzt natürlich diskutieren – was macht man dann in akuten Krisen? Es gibt offensichtlich ein trade off zwischen der Handlungsbereitschaft, auf die es in Krisen unmittelbar ankommen könnte und dem Vertrauen in die Behörden, das man vermutlich nachhaltig wahren sollte. Wenn sich solche Befunde weiter in der Forschung erhärten, dann man muss man erwartbare Effekte als Entscheidungsträger vermutlich immer sorgfältig abwägen – wobei ich persönlich das nachhaltige Vertrauen in Behörden für sehr schützenswert halte und vermutlich meistens vorrangig bewerten würde.“

Die erwähnte Studie: Petersen, M. B., Bor, A., Jørgensen, F., & Lindholt, M. F. (2021). Transparent communication about negative features of COVID-19 vaccines decreases acceptance but increases trust. Proceedings of the National Academy of Sciences, 118(29), e2024597118.

Tags

Related Articles

Die Leopoldina ist die Nationale Akademie der Wissenschaften. Sie wurde 1956 als Academia Naturae Curiosorum gegründet und ist damit der älteste Zusammenschluss von Naturwissenschaftlern im deutschsprachigen Raum. Sie bearbeitet nach eigenen Angaben unabhängig von wirtschaftlichen oder politischen Interessen wichtige gesellschaftliche Zukunftsthemen aus wissenschaftlicher Sicht und vermittelt die Ergebnisse der Politik und Öffentlichkeit.

Falsche Ausgewogenheit (auf Englisch „false balance“) bezeichnet im Wissenschaftsjournalismus das Phänomen, dass der Minderheiten- oder Außenseitermeinung medial genau so viel Aufmerksamkeit geschenkt wird wie der Konsensmeinung. In der Öffentlichkeit entsteht dadurch der Eindruck, dass beide Meinungen gleichwertig sind, was nicht dem aktuellen Forschungsstand entspricht und was sogar häufig zur Verbreitung von Falschinformationen führen kann. Der Grund für diese mediale Verzerrung ist meistens das Bemühen von Journalisten und Journalistinnen, einen Sachverhalt möglichst objektiv und neutral darzustellen, Verzerrungen also gerade zu vermeiden.

Das Konzept der kognitiven Verzerrungen (auf Englisch „cognitive biases“) wurde erstmals von den Wissenschaftlern Amos Tversky und Daniel Kahnemann im Jahr 1972 vorgestellt. Es besagt, dass systematische Denkfehler auftreten können, wenn das Gehirn versucht, die Verarbeitung großer Informationsmengen – z.B. durch Filterprozesse und Bewältigungsmechanismen – zu vereinfachen. Ein bekanntes Beispiel ist die „myside bias“, bei das Urteilen unbemerkt von vorbestehenden eigenen theoretischen Prämissen oder Realitätskonstruktenn geleitet wird (Bestätigungsfehler).

Diskussionen
0 Kommentare
There are new comments!

Neuer Kommentar

Der Ort für deinen Diskussionsbeitrag. Du kannst taggen, linken und Text formatieren. Bitte beachte unsere Community Guidelines.

Du antwortest auf den Beitrag: "Durch abwägende Wissenschaftskommunikation Vertrauen schaffen – ein Gespräch mit Senja Post".

Noch keine Kommentare

te.ma sammelt keine Cookies. Um mit der Allgemeinen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) übereinzustimmen, müssen wir dich aber informieren, dass von uns eingebundene externe Medien (z.B. von YouTube) möglicherweise Cookies sammeln. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.