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Die Radikalisierung der AfD

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Geschrieben von Dennis Yücel

Bei te.ma veröffentlicht 27.03.2024

te.ma DOI https://doi.org/10.57964/z2ar-r416

Geschrieben von Dennis Yücel
Bei te.ma veröffentlicht 27.03.2024
te.ma DOI https://doi.org/10.57964/z2ar-r416

Die „Alternative für Deutschland“ (AfD) wurde 2013 gegründet. Ihr zehnjähriges Bestehen nahm die Otto-Brenner-Stiftung im vergangenen Jahr zum Anlass für eine umfassende Aufarbeitung ihrer Geschichte. Ihre Studie zeigt, wie sich die Partei immer weiter radikalisiert hat – und zum Fall für den Verfassungsschutz wurde. 

„Radikalisiert und etabliert“ lautet die Bestandsaufnahme der Otto-Brenner-Stiftung zehn Jahre nach Gründung der AfD. Die Autoren zeichnen in ihrer Studie eine doppelte Aufstiegsgeschichte nach. Erstens zeigen sie, wie die Partei ihren Stimmenanteil bei Land- und Bundestagswahlen seit 2013 fast kontinuierlich ausgebaut hat. Zweitens zeigen sie, dass die Etablierung der Partei in den Parlamenten nicht zu ihrer Mäßigung führt – sondern im Gegenteil zu einer beinahe ungebremsten Radikalisierung. 

Zehn Jahre AfD eine doppelte Aufstiegsgeschichte

Der Studie nach ist die Partei bereits seit 2015 von einem inneren Machtkampf getrieben. Es ist ein Richtungsstreit zwischen einem parlaments- und einem bewegungsorientierten Lager. Der einen Seite geht es darum, die AfD als koalitions- und regierungsfähige Partei rechts der Union im deutschen Parteiensystem zu verankern. Die andere Seite wiederum versteht sich als parlamentarischer Arm einer rechten Bewegung gegen die repräsentative Demokratie. Politische Schlagkraft will sie nicht durch institutionelle Beteiligung erreichen, sondern durch Mobilisierung einer rechtsextremen Anhängerschaft auf der Straße und im digitalen Raum. 

Nicht nur die Brenner-Studie, sondern zahlreiche weitere Beobachter*innen – sowohl aus der Zivilgesellschaft als auch den Sicherheitsbehörden – kommen zu dem Schluss, dass das „bewegungsorientierte“ Lager seine Machtposition immer weiter ausbauen konnte. Zu einem Zeitpunkt, wo die AfD erstmals als Gewinnerin aus den anstehenden Landtagswahlen hervorgehen könnte, scheinen Rechtsextreme das Ruder in der Partei fest in den Händen zu halten. 

Die Geschichte verläuft der Brenner-Studie zufolge nach einem Muster: Die Parteiführung duldet Rechtsextreme in ihren Reihen, um das Wählerspektrum bis weit nach rechts auszuschöpfen – versucht ihnen aber gleichzeitig Herr zu werden, um für gemäßigtere Gruppen wählbar zu bleiben und einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz zu entgehen. Bei dem Versuch, den rechtsextremen Mitgliedern Einhalt zu gebieten, scheitert die Parteiführung jedoch. Sie wird abgesetzt und durch eine rechtere Parteiführung ersetzt. Wenig später scheitert diese aber abermals bei dem Versuch, noch extremeren Tendenzen in der Partei Grenzen zu setzen.

Parteigründer Bernd Lucke ging im Jahr 2015 in die offene Opposition zum rechtsextremen Lager – verlor den Richtungsstreit jedoch und trat aus seiner eigenen Partei aus. Sein Vize, der ehemalige BDI-Chef Hans-Olaf Henkel, folgt ihm. Rückblickend sagte er, er habe mitgeholfen, ein „Monster zu erschaffen.“ Im Zuge der Übernahme der Parteispitze durch Frauke Petry rückte die Partei weiter nach rechts und konnte sich dabei insbesondere vor dem Hintergrund der damaligen Asylkrise im politischen Diskurs etablieren. Doch auch Petry scheiterte bei dem Versuch, die Partei von rechtsextremen Kräften abzugrenzen. Ihre Abwahl im Jahr 2017 wertet die Brenner-Studie als eindeutigen Sieg der „bewegungsorientierten“ Kräfte. 

Die darauffolgenden Jahre unter der neuen Parteiführung durch Jörg Meuthen charakterisieren die Autoren zunächst als eine Pattsituation, in der sich beide Kräfte über längere Zeit die Waage halten. Jedoch entschied sich auch Meuthen schließlich, einen offensiveren Kurs gegenüber dem rechtsextremen Lager zu wagen – vor allem, um eine intensivere Beobachtung der Partei durch den Verfassungsschutz zu verhindern. Doch auch Meuthen scheiterte im Jahr 2022. Er selbst sprach von einer Niederlage gegen verfassungsfeindliche Tendenzen in der Partei. Erfolglos trat er, wie bereits Lucke und Petry, aus der Partei aus. Damit begann, der Brenner-Studie nach, eine Phase der AfD, in der rechtsextreme Kräfte die Partei dominieren. 

Als zentraler Motor der rechtsextremen Kräfte in der AfD gilt Björn Höcke, Fraktionsvorsitzender der AfD im Thüringer Landtag. Der Faschist strebt eine grundlegende „Wende“ in Deutschland an. Er will „ein anderes Deutschland“ in dem das „deutsche Volk“ einen Zustand angeblicher Wehrlosigkeit gegenüber „fremden Kulturen“ überwinden und stattdessen seinen „Thymos“ und „Furor Teutonicus“ wiederfinden soll. Ziel ist es, „entartete“ politische Gegner „am Boden“ zu sehen. 

Über ein weitverzweigtes Netzwerk konnte Höcke seinen Einfluss deutlich über die Grenzen des Thüringischen Landesverbandes ausbauen. Dieses Netzwerk trat zunächst unter dem Namen „Der Flügel“ öffentlich in Erscheinung. Im Zuge seiner Einstufung durch den Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextrem“ löste sich der „Flügel“ im Frühjahr 2020 vorgeblich selbst auf. Doch es handelte sich bei der Gruppierung nie um eine offizielle Vereinigung. Wie Björn Höcke im Zuge der vermeintlichen „Auflösung“ selbst an seine Anhänger schrieb: Was niemals formal bestand, kann sich auch nicht auflösen. Zwar wurde die Webseite derfluegel.de stillgelegt, doch es kann davon ausgegangen werden, dass das Netzwerk weiter besteht und innerhalb der Partei mehr und mehr die Strippen zieht. 

So schätzt das ARD-Magazin Monitor von 82 Bundestagsabgeordneten der AfD-Fraktion 43 als „Flügel“-nah ein – und nur 14 als dezidiert „Flügel“-fern. Ein bekanntes Gesicht ist etwa der Bundestagsabgeordnete Stephan Brandner. Von 2018 bis 2019 bekleidete er das Amt des Vorsitzenden des Rechtsausschusses, ehe er das Amt nach antisemitischen Tweets im Zuge des Terroranschlags auf eine Synagoge in Halle verlor. Eine wichtige Rolle in der AfD-Bundestagsfraktion spielt er weiter. Erst kürzlich legte eine ARD-Recherche zudem offen, dass die AfD mehr als 100 vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestufte Mitarbeiter*innen beschäftigt. Auch die Kandidatenliste für die kommende Europawahl trägt deutliche Züge des „Flügels“. Spitzenkandidat Maximilian Krah gilt derzeit neben Höcke als einer der wichtigsten Vertreter der rechtsextremen AfD. Sie wollen Europa abschotten und eine Abkehr von den USA in Richtung Russland vorbereiten. In Thüringen strebt Björn Höcke das Amt des Ministerpräsidenten an. Dies könnte er unter Umständen auch erlangen und danach einen umfassenden Staatsumbau in die Wege leiten.

„Gesichert rechtsextrem“? Die AfD und der Verfassungsschutz  

Die Dominanz rechtsextremer Kräfte innerhalb der Partei wirft die Frage auf, wie die deutschen Verfassungsschutzbehörden bislang mit der AfD verfahren sind und künftig werden. Die Brenner-Studie zeigt zunächst, wie der Verfassungsschutz die AfD unter der Führung von Hans-Georg Maaßen zunächst jahrelang mindestens ignorierte. Die Autoren arbeiten heraus, dass die rechtsextremen Tendenzen innerhalb der AfD in den Verfassungsschutzberichten der Jahre 2015 bis 2018 missachtet oder sogar heruntergespielt wurden. Erwähnung findet die AfD stattdessen vorrangig als Zielscheibe linksextremistischer Aktionen. Presserecherchen legen nahe, dass Maaßen die AfD im Jahr 2015 sogar beraten habe könnte, wie sie einer Beobachtung durch seine Behörde verhindern kann. Heute wird Maaßen selbst vom Verfassungsschutz als Rechtsextremist beobachtet

Mit Maaßens Versetzung in den Ruhestand und der Berufung von Thomas Haldenwang als Nachfolger im Jahr 2018 änderte sich der Umgang der Verfassungsschutzbehörden mit der AfD schlagartig. Das Bundesamt stufte die AfD im Jahr 2019 zunächst als „Prüffall“, im Jahr 2021 dann schließlich als „Verdachtsfall“ für Rechtsextremismus ein. Ebenso erfolgten die Einstufungen der AfD-Jugendorganisation, der Jungen Alternative (JA) sowie des „Flügels“ als „gesichert rechtsextrem.“ Auf Landesebene stufen die Verfassungsschutzbehörden die AfD-Landesverbände Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen als „gesichert rechtsextrem“ ein. Einem Bericht der Süddeutschen Zeitung zufolge könnte die Einstufung der gesamten Partei als „gesichert rechtsextrem“ in wenigen Monaten erfolgen

Die öffentliche Debatte, ob es sich bei der AfD um eine rechtsextreme Partei handelt, dreht sich oftmals um ihr Verhältnis zur Demokratie. Auch die Brenner-Studie rückt diese Diskussion in den Vordergrund. Im Kern geht es dabei um die Frage, ob oder wie sich zeitgenössische, sogenannte „rechtspopulistische“ Parteien in diesem Verhältnis von klassischen rechtsextremen Parteien unterscheiden. Anders als die Rechtsextremen alter Schule, die ihr anti-demokratisches, autoritäres bis faschistisches Staatsverständnis offen zur Schau stellen, präsentieren sich Parteien wie die AfD im Gegenteil zuweilen als radikaldemokratische Kräfte – als echte Vertreterinnen der „Volkssouveränität.“ Die Brenner-Studie weist darauf hin, dass sich im Parteiprogramm der AfD sogar die Forderung nach einer Stärkung der direkten Demokratie findet. 

Die Studie zeigt auch auf, dass es sich beim Programm der AfD nur um eine auf den ersten Blick demokratische Programmatik handelt. Denn: Forderung nach einer „direkten Demokratie“ verbinden sich in der Ideologie der Rechtspopulisten mit Vorstellungen eines homogenen Volkes mit einem eindeutigen Willen. Wenn es aber nur einen einzigen klaren „Volkswillen“ gibt, dann braucht es auch keinen demokratischen Streit mehr. Anders gesagt: Direkte Demokratie bedeutet in der Logik des Rechtspopulismus, dass die Exekutive den angeblichen Volkswillen nur noch umsetzen muss – ungestört von Gerichten, Parlamenten und zivilgesellschaftlichem Widerspruch. Der niederländische Politikwissenschaftler Cas Mudde, der als einer der wichtigsten Stimmen in der gegenwärtigen Forschung über den Rechtspopulismus gilt, spricht in diesem Zusammenhang auch von einer „illiberalen Demokratie.“ 

Es gibt gute Gründe dafür, das Verhältnis der AfD zur Demokratie auf den Prüfstand zu stellen. Für den Verfassungsschutz ist allerdings nicht das Verhältnis zur Demokratie, sondern zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung (fdGO) entscheidend. Hier zieht das Bundesamt die Grenze zwischen einer „radikalen“ und einer „extremistischen“ Position

Die fdGO bildet den Kern des Grundgesetzes. Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahr 2017 sind dessen unverzichtbare Bestandteile die Prinzipien von Menschenwürde, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Ein Bekenntnis zur Demokratie allein reicht also nicht aus, damit eine Partei verfassungskonform ist – sie muss auch Rechtsstaatlichkeit und Menschenwürde achten. 

Aus Sicht des Verfassungsschutzes liegt der wesentliche Kern der rechtsextremistischen Ideologie nicht in einem autoritären Staatsverständnis, sondern in der Vorstellung, dass „die Zugehörigkeit zu einer Ethnie oder Nation über den tatsächlichen Wert eines Menschen entscheide“. Im aktuellen Bericht listet der Verfassungsschutz zahlreiche rassistische, antimuslimische und antisemitische Äußerungen der Partei auf. Derartige Positionen sind vom Grundgesetz nicht gedeckt – denn sie verletzen die in Artikel 1 festgeschriebene Menschenwürde.

Ein besonderes Augenmerk legt der Verfassungsschutz auch auf das Volksverständnis der AfD. Zahlreiche Äußerungen können hier„ethnisch-kulturelle“ bzw. auch „ethnisch-biologische“ Vorstellungen belegen. Der Verfassungsschutz sieht also Hinweise, dass sich Deutsche für die AfD nicht primär durch eine deutsche Staatsangehörigkeit definieren, sondern aufgrund ihrer vermeintlich deutschen Abstammung und ihr „Deutschsein“. Solche Vorstellungen stehen für den Verfassungsschutz „im Widerspruch zur Offenheit des Volksbegriffs des Grundgesetzes.“ Das Bundesverfassungsgericht hatte bereits im Zuge des NPD-Verbotsverfahrens im Jahr 2017 eindeutig festgestellt: „Das Grundgesetz kennt einen ausschließlich an ethnischen Kategorien orientierten Begriff des Volkes nicht.“ 

Die verschiedenen Einstufungen des Verfassungsschutzes unterscheiden sich vor allem hinsichtlich der nachrichtendienstlichen Möglichkeiten. Würde die Gesamtpartei als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft, könnten die Behörden ihre Überwachung ausweiten. Verboten wäre die Partei dadurch nicht. Ein Parteiverbot könnte allein das Bundesverfassungsgericht aussprechen.

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