Ermöglicht KI eine nachhaltige Entwicklung – oder hält sie diese auf? Dieser Frage ging ein breit aufgestelltes Expert*innen-Team aus Schweden, Deutschland, Spanien, Neuseeland und den USA nach. Sie untersuchten hierfür die Beziehung zwischen KI-Forschung, KI-Anwendungen und den Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen. In einer ersten Runde recherchierte jeweils eine*r für jedes der 169 Unterziele der 17 SDGs nach Publikationen, die eine positive oder eine negative Verbindung zwischen KI-Anwendungen und dem jeweiligen Ziel aufzeigen. Nach einer ersten Analyse der Verbindung kontrollierte ein*e weitere*r Expert*in unter ihnen die gefundenen Ergebnisse. Diese*r wurde aus einem zu den Publikationen möglichst komplementären Fachgebiet gewählt, um zusätzliche Überlegungen aus einer anderen Perspektive anzubringen. Schließlich wurde die Analyse gemeinsam bis zum Konsens aller Parteien diskutiert.
Die Expert*innen fanden Quellen zu 135 der 169 Nachhaltigkeitsziele. Dabei gab es 134 positive und 59 negative Verbindungen zwischen den Zielen und KI-Anwendungen. Das bedeutet, aktuelle Publikationen schreiben ihnen für 79 Prozent der Ziele einen positiven und für 35 Prozent einen negativen Effekt zu.
Im ökologischen Bereich kann KI einen positiven Einfluss auf 25 der 27 Ziele nehmen. Besonders unser Verständnis und Bewusstsein bestimmter Mechanismen des Klimawandels, der Umweltverschmutzung und Biodiversität werde durch Fortschritte in der KI-Forschung verbessert. Ein weiteres Beispiel für einen solchen positiven Einfluss ist die Früherkennung von Ölkatastrophen, durch die schnelles Handeln ermöglicht wird. KI kann außerdem bei der Detektion und Analyse der Biodiversität bestimmter Gebiete oder verschmutzter Regionen helfen und somit generell eine effektive Planung begünstigen. Dennoch benötigen die meisten KI-Anwendungen zur Entwicklung und im Betrieb große Mengen an Energie. Das trägt zum Ausstoß großer Mengen CO2 in die Atmosphäre bei und kann den Klimawandel somit beschleunigen. Dieser negative Aspekt scheint vielen nur langsam bewusst zu werden.
Der positive Nutzen von KI in der Wirtschaft hingegen ist für viele offensichtlich. So ermöglicht der Fortschritt im Bereich von KI und Robotik die Automatisierung und optimiert dadurch Fertigungsprozesse, wodurch wiederum die Produktivität und der Umsatz gesteigert werden. Die Forschungsliteratur weist jedoch auch auf negative Effekte von KI-Anwendungen in der Wirtschaft hin. Betrachtet man die SDGs im Wirtschaftssektor, so können sie „nur“ auf 70 Prozent der Ziele einen positiven Einfluss nehmen. 33 Prozent der Ziele beeinflussen sie sogar negativ. Das Hauptproblem besteht darin, dass KI Chancengleichheit behindert: Die relevanten Datenmengen zum Trainieren von KI-Anwendungen sowie die Anwendungen selbst sind oft wohlhabenden Unternehmen vorbehalten und so vergrößert KI das wirtschaftliche Gefälle zwischen aber auch innerhalb der Länder. Das Gleiche ist auf individueller Ebene zu beobachten. KI kann inzwischen viele leichte Aufgaben übernehmen, wie beispielsweise Texte zu übersetzen. So werden auf dem Arbeitsmarkt Jobs, die auch eine KI übernehmen kann, durch solche ersetzt, für die mehr Fähigkeiten erfordert werden. Davon profitiert unproportional stark die Bevölkerung mit hohem Bildungs- und Qualifikationsgrad.
Doch den größten negativen Einfluss kann KI im sozialen Bereich nehmen. Auf etwa 38% der diesbezüglichen Ziele kann sie negativ wirken. Im Englischen hat sich der Begriff „big nudging“ etabliert, was so viel heißt wie „starkes Schubsen“. Er beschreibt die Nutzung von KI zur Ausnutzung psychischer Schwächen des Einzelnen, um damit dessen Entscheidungen zu steuern. So können beispielsweise personalisierte Anzeigen in sozialen Medien gefährlich werden, wenn sie vorgefasste Meinungen verstärken, auf diese Weise zu politischer Polarisierung führen und den sozialen Zusammenhalt beeinflussen. Besonders negativ können KI-Anwendungen auf soziale Verhältnisse Einfluss nehmen. So verstärken KI-Anwendungen oft gesellschaftliche Stereotype und Vorurteile, was zur Diskriminierung von Minderheiten führen kann. Doch auch im sozialen Bereich kann KI positiv wirken. So können die Technologien beispielsweise helfen, den Hunger zu bekämpfen: Durch die Erkennung von Extremwetterereignissen wie Dürren, die Ernteausfälle zur Folge haben, hilft KI bei der verbesserten Versorgungsplanung. Außerdem kann die KI-gestützte Datenanalyse bei der Erkennung und Vorhersage von Armutsgebieten helfen, wodurch gezieltere Handlungsmöglichkeiten geschaffen werden, um beispielsweise der Ghettobildung vorzubeugen. KI kann auf Basis von Handy-Daten effizient das Einkommen von Nutzern vorhersagen. Eine einfachere und effizientere Einkommensvorhersage kann für politische Entscheidungsträger und Wohltätigkeitsorganisationen eine große Hilfe sein, was bei entsprechenden Maßnahmen wiederum den Armen zugute kommt. Es wird an diesem Beispiel aber auch deutlich, dass viele der positiven Verbindungen zwischen KI und Nachhaltigkeit ein Missbrauchspotenzial bergen. Wenn Organisationen mithilfe von Handy-Nutzungsdaten das Einkommen von Bürger*innen vorhersagen, stellt dies in vielerlei Hinsicht ein Eindringen in die Privatsphäre dar. Ob solche Daten überhaupt genutzt werden sollten, bleibt fragwürdig.
Ein Problem an der Studie besteht darin, dass sie nicht den tatsächlichen Zusammenhang zwischen KI und den SDGs abbildet, sondern lediglich aufzeigt, welche Beziehungen bis zum gegebenen Zeitpunkt in der Forschung thematisiert wurden. Die Autor*innen weisen selbst auf diese und damit einhergehende Schwierigkeiten hin. Beispielsweise sei zu erwarten, dass durch Eigeninteressen der KI-Forschungs-Community sowie -Industrie eher positive Ergebnisse publiziert werden. Es sei zudem wahrscheinlich, dass jene KI-Forschung, die den maximalen Profit einspielt, auch eher finanziert werde. Ohne Regulierung und Kontrolle sei zu erwarten, dass sich dadurch KI-Forschung auf Gewinnabsichten ausrichte. Dies würde entsprechend bedeuten, dass jene Projekte, die vielversprechend für die SDG-Agenda, jedoch weniger profitabel für Unternehmen sind, hinten angestellt oder ganz eingestellt werden. Doch im Bezug auf KI sei das Erreichen der Nachhaltigkeitsziele, so die Autor*innen der Studie, ohnehin nicht der erste Schritt Richtung nachhaltige Zukunft. Es sei essentiell, dass jetzt angemessene politische und gesetzliche Rahmenbedingungen geschaffen werden, die zu Transparenz und Rechenschaftspflicht verpflichten und in denen ethische Standards festgelegt sind, denen KI-basierte Technologien unterliegen müssen.
Den Autor*innen