Probleme bereitet aber bereits das Sprechen über den Osten. Denn natürlich, so Mau, ist Ostdeutschland kein einheitliches Gebilde. Thüringen ist nicht Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg nicht Sachsen und Sachsen-Anhalt ganz sicher nicht Ost-Berlin. Trotz der Gefahren, die die Rede vom Osten mit sich bringe, könne man die Augen vor den bestehenden Gemeinsamkeiten aber nicht verschließen. Blicke man auf eine Vielzahl von Indikatoren – von den Erwerbsquoten und der Vereinsdichte über den Anteil von Menschen mit Migrationsbiographie bis hin zum Erbschaftsteueraufkommen und der Kaufkraft –, dann durchziehe die Bundesrepublik eine „Phantomgrenze“
Das alles ist bekannt, wenn auch möglicherweise nach wie vor zu wenig thematisiert. Mau hält sich aber nicht bei den soziodemographischen Markern auf, sondern bohrt tiefer. Offensichtlich werden dabei Pfadabhängigkeiten, die Mau zur „These sich verstetigender Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland“ veranlassen.
2021 hatte der damalige Beauftragte der Bundesregierung für die neuen Bundesländer, Marco Wanderwitz, kurz vor der sachsen-anhaltinischen Landtagswahl medienwirksam von teilweise „diktatursozialisiert[en]“ Ostdeutschen gesprochen, die „auch nach 30 Jahren nicht in der Demokratie angekommen“ seien. Für Mau greift die in dieser Aussage mitschwingende These von ostdeutschen Demokratieverächter*innen zu kurz. Seiner Ansicht nach ist es präziser, „von einem nur schwachen Einwurzeln der Parteiendemokratie oder von einer Parteienpolitikverdrossenheit zu sprechen.“
Die Ursache des unterschiedlichen Partizipationsverhaltens in Ostdeutschland, so Mau, sei in der DDR zu suchen. Hier seien das „Sich-Versammeln auf Plätzen, der politische Spaziergang oder das Hochhalten von Transparenten [...] gewissermaßen die Urformen der Mitwirkung“ gewesen. Weil es wenige andere Möglichkeiten der Artikulation gab – ein plurales Parteiensystem existierte bekanntlich nicht –, griffen die Bürger*innen zu diesen Formen. Die seien genauso geblieben wie „Institutionendistanz und Politikskepsis“.
Hinzu komme, so Mau, eine „Veränderungsmüdigkeit“.
Vom Runden Tisch in den Bürgerrat
Das sei erfolgversprechender als der eindimensionalen Klage über ein vermeintliches Demokratiedefizit mit dem immer gleichen Werkzeugkasten begegnen zu wollen, also „besser zuhören, politische Bildung, Anerkennung der Lebensleistungen, mehr Sozialtransfers etc.“
Ob solche Bürgerräte Flüssiggasterminals vor Rügen, das Tesla-Werk in Grünheide oder die Nutzung des Tempelhofer Felds anders beurteilt hätten, weiß auch Mau nicht. Er hat aber die – durchaus begründete – Hoffnung, dass sie dem in Ostdeutschland weit verbreiteten politischen Ohnmachtsgefühl entgegenwirken könnten.