Olga Grjasnowa verbrachte die ersten elf Jahre ihres Lebens in Aserbaidschan in einer hauptsächlich russischsprachigen Umgebung. Nach ihrer Ankunft in Deutschland lernte sie Deutsch in der Schule. Heutzutage spricht sie mit ihren Kindern Russisch, mit ihrem Mann Englisch und schreibt ihre Bücher auf Deutsch. Das Konzept von „Muttersprache“ ist ihr fremd geworden, schreibt sie und berichtet über sich selbst, dass sie in jeder ihrer Sprachen eine andere Persönlichkeit habe:
„Auf Russisch bin ich witziger, auf Deutsch aufgeräumter, womöglich sogar sachlicher, und auf Englisch zwar eingeschränkt in meinen Ausdrucksmitteln, aber viel freier und entspannter.“
Mehrsprachigkeit ist für Grjasnowa und ihre Familie ein hohes kulturelles Gut, denn Sprachkenntnisse machten es möglich, andere Menschen und Kulturen kennenzulernen und sich leichter im Ausland zurechtzufinden. Aber auch aus rein praktischer Sicht war es für sie wichtig, Russisch an ihre Kinder weiterzugeben. Sie könne sich schlicht nicht vorstellen, wie es wäre, wenn ihre Kinder kein Russisch verstünden. „Würden sie bei Familientreffen stumm am Tisch sitzen?“, fragt sie rhetorisch.
Einen Großteil ihres Buches widmet Grjasnowa allerdings den Schwierigkeiten, denen mehrsprachige Menschen in Deutschland ihrer Meinung nach häufig ausgesetzt sind: Rassismus,
Grjasnowa berichtet, wie der Linguizismus sich durch die Gesellschaft zieht und wo er im Alltag erkennbar wird. Besonders in Ausländerbehörden diene die ausschließliche Verwendung der deutschen Sprache durch die Beamt*innen der Machtdemonstration, denn die neu zugewanderten Menschen könnten nicht mit ihnen kommunizieren und in der Folge auch keine Kenntnisse über ihre Rechte und deren Durchsetzung erlangen. Diese Situation versteht Grjasnowa als bewusst gesendetes politisches Signal, das den neu angekommenen Menschen zu verstehen geben soll, dass ihnen hier nichts geschenkt werde.
Die systematische Benachteiligung von Menschen mit Migrationshintergrund thematisiert die Autorin auch im Rahmen des Bildungssystems. Deutsche Schulen seien „auf eine homogene Schülerschaft angelegt“ und Andersartigkeit werde als Störung wahrgenommen. Das werde beispielsweise daran sichtbar, dass Berliner Kindern, die zuhause nicht vorrangig Deutsch sprechen, der Befund „ndH” (nicht-deutsche Herkunftssprache) zugewiesen wurde. Viele Eltern würden Schulen mit einem hohen Anteil an ndH-Schüler*innen meiden und ihre Kinder wenn möglich anderswo anmelden. Diese Praxis hat sich seit der Veröffentlichung des Buches jedoch schon geändert: Seit 2021 sorgt eine Änderung im Berliner Schulgesetz dafür, dass die konkreten Sprachkenntnisse der Kinder erfasst werden, anstatt sie mit dem allgemeinen „ndH“-Etikett zu versehen.
Auf der anderen Seite gebe es eine hohe Nachfrage nach bilingualen Schulen und Kindergärten. Grjasnowa schlussfolgert: „Offenkundig gelten bestimmte Sprachen als extrem erstrebenswert und andere als Gefahr. Das hat natürlich nichts mit der Sprache selbst zu tun, dafür aber sehr viel mit unserer Gesellschaft. Wo liegt aber der Unterschied? Nun, die einen Kinder sind arm, die anderen wohlhabend.“
Aus einer Studie der Stiftung Mercator übernimmt die Autorin den Begriff „segregierte Schulen“ und stellt die These in den Raum, dass die
Wie die Situation von mehrsprachigen Menschen verbessert werden könnte, bleibt bei Grjasnowa dagegen an vielen Stellen offen. Sie konzentriert sich vor allem auf die umfassende Kritik an den bestehenden Verhältnissen und betont, wie diese Machtstrukturen im Bildungssystem reproduziert werden. Ihre Kritik an der Ideologie eines monolingualen Landes, der Ungleichbehandlung der jeweiligen Herkunftssprachen und den daraus folgenden Konsequenzen erscheint teilweise unstrukturiert, da die Kapitel keine Namen tragen. So entsteht der Eindruck eines fortwährenden Monologs, der letztlich die Frage aufwirft, ob die im Titel suggerierte „Macht der Mehrsprachigkeit” gegen die vielen Formen der Diskriminierung ankämpfen kann.