„Kann ich halt flexen, sag ich mal.“ Einstellungen von Schüler*innen zur eigenen Mehrsprachigkeit

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Geschrieben von Deborah Arbes

Bei te.ma veröffentlicht 20.10.2023

te.ma DOI 10.57964/kadb-1n54

Geschrieben von Deborah Arbes
Bei te.ma veröffentlicht 20.10.2023
te.ma DOI 10.57964/kadb-1n54

Mehrsprachigkeit gilt als Ziel europäischer Bildungspolitik. Das wäre ein Grund, die mitgebrachten Sprachkenntnisse von Lernenden als wertvolle Ressource anzuerkennen. Dennoch werden an deutschen Schulen nicht alle Sprachen gleichermaßen wertgeschätzt. Wie nehmen die Schüler*innen selbst diese Situation wahr? Daniela Wamhoff, Ina-Maria Maahs und Nora von Dewitz haben 14 Schüler*innen zu ihrer eigenen Mehrsprachigkeit befragt. 

In fast jeder Schulklasse in Deutschland gibt es Kinder und Jugendliche, die zuhause eine andere Sprache als Deutsch sprechen. Forschende im Bereich Mehrsprachigkeit und Bildung kritisieren, dass trotzdem ein monolingualer Habitus an deutschen Schulen zu beobachten ist. Als etabliert gilt ebenfalls eine Hierarchie der Sprachen hinsichtlich ihres Prestiges: Sprachen wie Englisch oder Französisch, die in der Schule gelehrt werden, sind in der Hierarchie höher angesiedelt als Minderheitensprachen oder solche, die als Migrationssprachen bezeichnet werden. Wenig ist darüber bekannt, wie sich diese Situation auf die Schüler*innen auswirkt, was sie selbst über ihre Mehrsprachigkeit denken und welche Hierarchien sie evtl. selbst internalisiert haben.

Um diese Fragen zu beantworten, führten Daniela Wamhoff, Ina-Maria Maahs und Nora von Dewitz Interviews mit 14 Schüler*innen, die in Nordrhein-Westfalen die Oberstufe besuchen und das Abitur anstreben. Die Interviewten gaben Kenntnisse in insgesamt 14 Sprachen an1, darunter Deutsch und die in der Schule gelernten Sprachen sowie ihre Herkunfts- oder Familiensprachen. Die qualitative Analyse der Interviews ergab eine vorwiegend positive Einstellung der Schüler*innen gegenüber der eigenen Mehrsprachigkeit, die sich auch auf ihr Selbstbewusstsein auswirkt: „An sich find ich’s toll so. Kann ich halt flexen, sag ich mal, mit meinen ganzen Sprachkenntnissen“. Viele sehen in der Sprache eine Verbindung zu ihrer Kultur und ihrer Familie und empfinden eine Art Heimatgefühl, wenn sie ihre Herkunfts- oder Familiensprache sprechen. Einen praktischen Nutzen erkennen die Schüler*innen darin, mehr Ausdrucksmöglichkeiten zu haben und sich Informationen in mehreren Sprachen beschaffen zu können. Auch für Auslandsaufenthalte bewerten sie ihre Sprachkenntnisse als hilfreich. Einige sind der Überzeugung, dass sie einen Vorteil beim Lernen weiterer Sprachen haben: „Also ich weiß nicht, ob es daran liegt, aber ich würde schon sagen, dass ich eigentlich n recht gutes Gefühl für Sprachen habe und mich da auch sehr leicht zurechtfinde“.

Auf die Frage nach negativen Aspekten nennen die Schüler*innen vor allem Interferenzen zwischen ihren Sprachen: „Aber natürlich gibt’s immer diese Momente, wo ich irgendwie alle Sprachen durcheinanderbringe. Und dann hab ich so ein Kurzschluss und weiß nicht, was ich sagen soll“. Auch von negativen Reaktionen und Misstrauen aufgrund von Gesprächen in einer anderen Sprache wird berichtet, sowie von rassistischen Diskriminierungen, die sowohl von Mitschüler*innen als auch von Lehrkräften ausgingen.

Gesellschaftliche Hierarchisierungen von Sprachen seien von den Schüler*innen kritisch reflektiert worden, berichten die Autorinnen. Einerseits sei die Meinung geäußert worden, dass alle Sprachen gleich viel wert seien. Gleichzeitig werde dem Englischen als „Weltsprache“ ein besonders hohes Prestige zugeschrieben und einige Sprachen würden als „nützlicher“ bewertet, vor allem in Bezug auf Studium und Karriere.

Welche Ratschläge haben die Interviewten für andere mehrsprachige Jugendliche? Hier kristallisieren sich drei Strategien heraus: Die Schüler*innen mit der „Assimilierungsstrategie” berichten von Versuchen, ihre Herkunftssprache in der Schule „auszuschalten“, um sich besser auf die deutsche Sprache konzentrieren zu können. Andere empfinden Englischkenntnisse als besonders vielversprechend für ihre Zukunft und bemühen sich deshalb, vor allem diese zu verbessern – auch in ihrer Freizeit, z.B. durch  englischsprachige Medien. Dies nennen die Autorinnen „Pragmatismusstrategie“. Weitere Teilnehmende der Studie wenden die sogenannte „Spracherhaltsstrategie“ an und versuchen bewusst, ihre Sprachkenntnisse zu stärken, z.B. durch das Lesen von Büchern in ihrer Herkunftssprache. Dazu gehört für viele auch, sich gegenseitig darin zu bestärken, die Herkunftssprache nicht zu vernachlässigen. „Und die [mehrsprachigen Lernenden] sollen sich auch nicht von anderen Leuten runtermachen [lassen], die / die die vielleicht wegen der Sprache irgendwie komisch anmachen. Die sollten einfach weitermachen und einfach stolz sein, dass sie mehrere Sprachen sprechen können“, sagt eine Interviewpartnerin.

Mit einer Teilnehmendenzahl von 14 erhebt die Studie keinen Anspruch auf Repräsentanz und die Jugendlichen sprechen aus ihrer Perspektive, der durch die abgeschlossene Mittlere Reife ein gewisser Bildungserfolg zugrunde liegt. Offen bleibt deshalb, wie jüngere Lernende oder auch Schüler*innen aus anderen Schulformen die Fragen beantworten würden. Trotzdem leisten die Autorinnen mit ihrer Studie einen wichtigen Beitrag zur Mehrsprachigkeitsforschung im Bildungsbereich2, vor allem weil nicht nur über die Zielgruppe gesprochen wird, sondern die Lernenden selbst zu Wort kommen. Dadurch wird offengelegt, wo es im Schulsystem Professionalisierungs- und Verbesserungsbedarf gibt. Es wird deutlich, wie prägend sprachliche Hierarchisierungen für den Schulalltag und die Perspektiven der Jugendlichen sind – und dass sie trotzdem eine große Wertschätzung für ihre Sprachen haben.

Fußnoten
2

Diese sind: Deutsch (14), Englisch (14), Französisch (7), Spanisch (6), Türkisch (5), Albanisch (2), Griechisch (2), Italienisch (2), Serbisch (2), Farsi, Kurdisch, Latein, Mazedonisch und Russisch (je 1). Mehrfachnennungen waren bei der Angabe möglich.

Eine zentrale Sammlung an Texten zum Thema bietet: Ingrid Gogolin, Antje Hansen, Sarah McMonagle und Dominique P. Rauch (Hrsg.): Handbuch Mehrsprachigkeit und Bildung. Springer VS, Wiesbaden, Germany, Heidelberg 2020, ISBN 978-3-658-20284-2.

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Interferenz bezeichnet die Übernahme von Wörtern und Strukturen von einer in eine andere Sprache.

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