Die Aussagekraft und Zuverlässigkeit von Meinungsumfragen sind während des Ukrainekriegs zum Gegenstand wissenschaftlicher Fachdebatten geworden. Vor allem beziehen sich diese auf die Repräsentativität von Datenerhebungen in Russland und der Ukraine, sowohl im Hinblick auf Probleme mit Umfragen in einem Land im Krieg (Ukraine) als auch unter autoritären Bedingungen (Russland). Wie sieht es in Belarus aus, das dem Krieg bisher nicht beigetreten ist? Es liegen zwar nur wenige aktuelle soziologische Daten vor, die regelmäßigen Online-Interviews des Think Tanks Chatham House unter der Leitung des Soziologen Ryhor Astapenia lassen dennoch bestimmte Meinungstendenzen in der belarussischen Gesellschaft erkennen. In der zwischen dem 15. und 27. März 2023 durchgeführten Umfragerunde wurden 804 Personen befragt.
Demnach stehen 76 Prozent der Befragten Russland weiterhin positiv gegenüber, aber nur 33 Prozent befürworten die russischen Kriegshandlungen in der Ukraine. Trotz der grundsätzlich positiven Einstellung plädiert weniger als die Hälfte (38 Prozent) für ein geopolitisches Bündnis mit Russland. 23 Prozent sind der Meinung, dass Belarus sich besser aus jeglichen geopolitischen Bündnissen heraushalten sollte.
Es fällt auf, dass einige Zahlen über den gesamten Zeitraum des Krieges hindurch relativ konstant geblieben sind: Sowohl im März 2022 als auch im März 2023 geht fast die Hälfte der Befragten davon aus, dass Russland den Krieg gewinnen wird. Ferner steht eine klare Mehrheit der Belarussen einer Atomwaffenstationierung in ihrem Land ablehnend gegenüber: Im März 2022 waren 80 Prozent der Befragten dagegen, während es ein Jahr später 74 Prozent sind – immer noch eine beträchtliche Mehrheit trotz einer leichten Verschiebung hin zu mehr Akzeptanz.
Insgesamt wird aus der Befragung deutlich, dass diejenigen, die Informationen aus den staatlichen Medien beziehen, eher dazu neigen, sowohl das militärische Vorgehen Russlands zu billigen (53 Prozent) als auch einen Kompromiss mittels Friedensverhandlungen als die beste Lösung zu sehen (54 Prozent). Demgegenüber finden 81 Prozent der Nutzer von nichtstaatlichen Medien das Vorgehen Russlands nicht gut und 60 Prozent sind dafür, dass der Krieg erst endet, wenn die Ukraine ihre Ziele erreicht hat. Unter der medial inaktiven Bevölkerung liegt der Anteil derer, die für möglichst schnelle Verhandlungen plädieren, sogar bei 70 Prozent.
Obwohl sich die Haltung zum Krieg bei Anhängern und Gegnern des Regimes unterscheidet, vertreten beide Gruppen den Standpunkt, dass sich Belarus nicht unmittelbar am Krieg beteiligen sollte.