Digitalisierung sei ein zentrales Element des digitalen Wandels, zitiert Thomas Irion den Kulturwissenschaftler Felix Stalder zu Beginn seines Interviews mit der Zeitschrift Kinderschutz aktuell. Ein Ende dieses Wandels sei nicht in Sicht. Kinder von dieser entstehenden digitalen Welt fernzuhalten, hält Irion für unmöglich – und für wenig sinnvoll.
Es sei also keine Frage, ob Grundschulen reagieren müssen, sondern wie. Gerade in Bezug auf Grundschüler*innen werden an Irion viele Bedenken herangetragen, ob es sinnvoll sei, die Schüler*innen auch noch in der Schule mit digitalen Medien zu konfrontieren: Sollte die Grundschule nicht besser einen analogen Gegenpol darstellen?
Studien wie die KIM-Studie
Neben Eltern und außerschulischen Partnern hat die Grundschule in diesem Zusammenhang die Aufgabe, die kindlichen Entwicklungsprozesse zu fördern. Als entscheidend erachtet Irion hierbei, dass die Folgen für die Kinder nicht einseitig betrachtet werden, sondern Risiken und Chancen gleichermaßen zur Sprache kommen. Denn wie Stefan Aufenanger im Jahr 2019 auf Basis internationaler Studien zusammenfasste, böten digitale Angebote Kindern vielfältige Anregungen für die kognitive Entwicklung sowie Impulse für ihre Persönlichkeitserfahrung.
Doch was genau muss die Grundschule leisten und wie? Grundsätzlich bleibt es die Kernaufgabe, den Kindern eine Orientierung in der komplexen Welt zu vermitteln. Die Schule sollte entsprechend mit der Einübung der „alten” analogen Kompetenzen wie die Förderung motorischer, forschender und lebenspraktischer Fähigkeiten als Gegenpol zum digitalisierten Alltag der Schüler*innen fungieren. Hinzu kommen sollen grundlegende Kompetenzen für das Leben in der digitalen Welt. Da Schulkinder von zu Hause unterschiedlich ausgeprägte und betreute Medienerfahrung mitbringen, müsse die Schule dafür sorgen, dass alle gleichermaßen in diesen neuen Lernprozess einbezogen werden. Eine Behinderung dieser Entwicklung könne sonst zu neuen Formen sozialer Ungerechtigkeit führen, prognostiziert Irion.
Die gängige Methode, Arbeitsblätter und Übungen auf Tablets zu übertragen, sei jedoch der falsche Weg. Neben der Bedienung sollten die Kinder auch lernen, wie sie mit digitalen Medien lernen können. Möglich ist zum Beispiel ein kombinierter Einsatz von einem Lernspaziergang durch den Wald und anschließender digitaler Dokumentation. Bei diesem Vorgehen werden vielfältige Erfahrungsräume mit und ohne Medienbegleitung eröffnet. Reflektieren die Schüler*innen ihre Erfahrungen im Anschluss mit der Lehrkraft gemeinsam, entwickelten sie im besten Fall auch eine kritische Haltung gegenüber der Technik.
So, wie die Schule die Aufgabe hat, allen Kindern faire und gleiche Chancen zu bieten, gilt dies auch für die verwendeten “digitalen Lernsysteme” und Tools. Diese müssten selbstverständlich kind- und altersgerecht gestaltet sein und dürften nicht auf der Annahme beruhen, dass Kinder von zu Hause Unterstützung erhielten, betont Irion. Sonst laufe man Gefahr, dass nur jene davon profitieren, die ohnehin bereits kompetent im Umgang mit den Technologien seien. Das momentane Forschungsdefizit und die fehlende Umsetzung bei der Benutzerfreundlichkeit und Barrierefreiheit – viele Angebote Tools sind für ältere Schüler*innen entworfen – müsse somit dringend auf den Bedarf von Grundschüler*innen aufgeholt und angepasst werden.
Das sei eine der entscheidenden Hürden, wenn es um die Grundschule geht, betont Irion. Es sei an der Zeit, sich intensiv und ausführlich mit dem Wie der Medienbildung in Grundschulen auseinanderzusetzen und nicht länger darüber zu diskutieren, ob es überhaupt nötig ist.