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Wie steigende CO2-Konzentrationen unsere Ernährung gefährden

Re-Paper
Lewis H. Ziska2022
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Wie steigende CO2-Konzentrationen unsere Ernährung gefährden

»Rising Carbon Dioxide and Global Nutrition: Evidence and Action Needed«

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Geschrieben von Sven Cleeves

Bei te.ma veröffentlicht 05.07.2024

te.ma DOI https://doi.org/10.57964/pw43-m446

Geschrieben von Sven Cleeves
Bei te.ma veröffentlicht 05.07.2024
te.ma DOI https://doi.org/10.57964/pw43-m446

Der Anstieg von CO2 in der Luft kann weitreichende Veränderungen in der Pflanzenbiologie verursachen. Durch bisher nicht eindeutig geklärte Mechanismen verringert sich der Eisen-, Zink- und Proteingehalt in vielen unserer wichtigsten Nutzpflanzen. In der nahen Zukunft könnten diese Effekte das bereits bestehende Problem der Mangelernährung in weiten Teilen der Weltbevölkerung noch verschärfen. Lewis H. Ziska beleuchtet die Konsequenzen steigender atmosphärischer CO2-Konzentrationen auf den Nährstoffgehalt von Pflanzen und die negativen Folgen für die menschliche und tierische Ernährungssicherheit.

Klimawandel und Umweltverschmutzung gefährden die Ernährung von Milliarden von Menschen auf unserem Planeten: Drastische Wetterveränderungen wie Hitzewellen, Starkregen und Stürme nehmen zu. Die Folge sind langanhaltende Dürreperioden, Überschwemmungen und Flutkatastrophen, welche wiederum zu schlechter Bodenqualität, stärkerer Erosion und somit einer verringerten landwirtschaftlichen Produktion führen. Darüber hinaus gehen die Verseuchung ganzer Landstriche durch Gifte und Rückstände aus der chemischen Industrie, die zunehmende Vermüllung, aber auch die Auslaugung von Böden infolge intensiver Landnutzung mit dem Verlust von fruchtbaren Flächen einher. Im Jahr 2021 zählte die Welternährungsorganisation über 820 Millionen Menschen, die von Hunger betroffen waren, das sind etwa 150 Millionen mehr als noch im Jahr 2019.

Der direkte Einfluss von Treibhausgasen auf unser Klima und die daraus resultierenden physikalischen Effekte wie die globale Erwärmung oder der Anstieg des Meeresspiegels sind hinlänglich bekannt. Weniger bekannt und dennoch seit langem erforscht sind die Veränderungen, die in Pflanzen durch steigende CO2-Konzentration in der Atmosphäre hervorgerufen werden.

Wieso verändert sich der Nährstoffgehalt der Pflanzen?  

Wer noch Erinnerungen an den Biologieunterricht hat, weiß, dass Pflanzen CO2 für ihr Wachstum benötigen. Somit wäre es naheliegend, davon auszugehen, dass mehr CO2 in der Luft zu einem stärkeren Pflanzenwachstum führt. Eigentlich eine gute Sache – doch schon hier steckt der Teufel im Detail. Denn eine „CO2-Düngung“ kann nur dann zu stärkerem Wachstum führen, wenn gleichzeitig genügend Stickstoff und/oder Wasser zur Verfügung stehen. Außerdem tritt der Effekt nicht bei allen Pflanzen in gleichem Maße auf. So sind eingeschleppte Arten oft empfänglicher für eine CO2-induzierte Wachstumssteigerung, was langfristig dazu führt, dass sie einheimische Arten verdrängen.1 

Neben einem veränderten Wachstum können erhöhte CO2-Level jedoch noch andere Effekte auf Pflanzen haben. Diese können in sogenannten FACE (Free Air Carbon Dioxide Enrichment) Experimenten untersucht werden. Eine FACE-Anlage benutzt spezielle Ringe oder Türme, die um eine Testfläche im Freien angeordnet sind. Diese geben gezielt Kohlendioxid ab, um zu erforschen, wie die Pflanzen auf höhere CO2-Konzentrationen reagieren. Der Vorteil der FACE-Methode gegenüber Experimenten in Gewächshäusern besteht darin, dass sie das restliche Mikroklima um die Pflanze herum nicht verändert. Sie bietet somit eine präzisere Möglichkeit, abzuschätzen, wie sich das Pflanzenwachstum in der Zukunft verändern wird, wenn die CO2-Konzentration in der Atmosphäre steigt. 

Ziska fasst die Ergebnisse aus mehreren solcher Feldversuche zusammen und zeigt so, dass der Gehalt an lebenswichtigen Mineralstoffen und Spurenelementen wie Eisen, Zink, oder Magnesium in verschiedenen Nutzpflanzen signifikant abnahm. Außerdem sank der pflanzliche Proteingehalt, während der Kohlenhydratgehalt, zum Beispiel in Form von Stärke, zunahm. Die zugrunde liegenden Mechanismen sind dabei noch nicht vollständig geklärt. Die Effekte waren jedoch bereits bei einer CO2-Erhöhung um 100 bis 200 ppm messbar. Moderate Prognosen rechnen damit, dass die CO2-Konzentration der Atmosphäre von derzeit ca. 420 ppm auf 550 ppm im Jahr 2050 steigen wird, woraus geschlossen werden kann, dass unsere pflanzlichen Nahrungsmittel schon in naher Zukunft deutlich weniger nährstoffreich sein könnten. Doch nicht nur die generelle Abnahme, sondern auch die Verschiebung der Nährstoffzusammensetzung hin zu mehr Kohlenhydraten könnte negative Folgen für die Gesundheit haben. So gibt es deutliche Hinweise darauf, dass der Ersatz von Nahrungsprotein durch Kohlenhydrate das Risiko für Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen und koronare Herzkrankheit erhöht.2

Doch was bedeuten all diese Erkenntnisse für die vielen Menschen, deren Ernährungssicherheit gefährdet ist?

Ziska führt aus, dass Pflanzen den Großteil der globalen Nährstoffe liefern: 63 Prozent des Nahrungsproteins, 81 Prozent des Eisens und 68 Prozent des Zinks.3 Wie eine Studie aus dem Jahr 2017 ergeben hat, könnte eine Verringerung der pflanzlichen Nährstoffdichte die Häufigkeit und den Schweregrad von Nährstoffmangel auf globaler Ebene erheblich beeinflussen, und das in einer Zeit, in der schätzungsweise bereits über zwei Milliarden Menschen unter Mangelernährung leiden. Von den Nutzpflanzen, die in den zuvor genannten Experimenten untersucht wurden, waren zum Beispiel Reis und Weizen am stärksten von dem Verlust an Protein betroffen. Für viele Menschen in Asien oder im Nahen Osten sind dies jedoch die zwei wichtigsten Grundnahrungsmittel. Folglich wären sie besonders stark von den beschriebenen Effekten betroffen. Eine US-amerikanische Modellstudie aus dem Jahr 2015 wiederum prognostiziert, dass die Zahl der an Zink-Mangel leidenden Menschen bis zum Jahr 2050 um weitere 138 Millionen zunehmen könnte. Tragischerweise wird sich dieses Problem vor allem in den Regionen der Welt verschärfen, die bereits jetzt überproportional stark von Nährstoffmangel betroffen sind.

Doch nicht nur für den Menschen könnte ein CO2-bedingter Nährstoffmangel zum Problem werden. Pflanzen stehen am Anfang der globalen Nahrungsmittelketten und sind somit Energielieferanten für die meisten anderen Lebewesen. Ziska betont daher, dass verminderte Nährstoffkonzentrationen in Pflanzen weitreichende Folgen für die Biodiversität und die Stabilität von Ökosystemen haben könnten.

Gibt es eine Lösung?

Um mit diesem tiefgreifenden und doch oft übersehenen Effekt des menschengemachten Klimawandels umzugehen, müssen wir zunächst ein besseres Verständnis für die zugrundeliegenden Mechanismen entwickeln. Hierzu braucht es laut Ziska vor allem eine stärkere Kooperation zwischen Wissenschaftlern verschiedener Disziplinen, wie zum Beispiel Ökologen, Ernährungswissenschaftlern, aber auch Lebensmittelproduzenten und Ökonomen. Nur so können wir aussagekräftige Modelle etablieren, mit deren Hilfe wir die Effekte steigender CO2-Konzentrationen auf das pflanzliche Ökosystem vorhersagen und interpretieren können. Auch die gezielte Züchtung von Pflanzen, die weniger anfällig für CO2-induzierte Nährstoffschwankungen sind, wäre denkbar. Vor allem aber bedarf es einer erhöhten Aufmerksamkeit für das Thema seitens der Politik und deutlich stärkeren Investitionen in die Erforschung der gesamten gesundheitlichen Folgen des Klimawandels.

Fußnoten
3

Manche eingeschleppte (invasive) Arten sind in der Lage, besser mit den gesteigerten CO2-Konzentrationen umzugehen. Zum Beispiel weisen manche Pflanzen eine höhere Energieeffizienz oder Photosyntheserate unter höherem CO2 auf, welche ihnen einen Wachstumsvorteil gegenüber der einheimischen Art geben. (L.H. Ziska, D.M. Blumenthal, S.J. Franks: Understanding the nexus of rising CO2, climate change, and evolution in weed biology. In: Invasive Plant Science and Management. Band 12, Nr. 2, 2019, S. 79-88.)

L.J. Appel et al.: Effects of protein, monounsaturated fat, and carbohydrate intake on blood pressure and serum lipids: Results of the OmniHeart randomized trial. In: Journal of the American Medical Association. Band 294, Nr. 19, 2005, S. 2455–2464.

L.J. Haddad et al.: Global Nutrition Report 2015: Actions and Accountability to Advance Nutrition and Sustainable Development. Washington, DC, USA: International Food Policy Research Institute, 2015.

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Bodenerosion beschreibt die Abtragung der oberen Bodenschichten durch Wind oder Wasser. Dies kann durch unsachgemäße menschliche Landnutzung, zum Beispiel Abholzung oder anderweitige Entfernung schützender Vegetation, passieren. Erosion wird jedoch auch durch wiederholte Überschwemmungen infolge des Klimawandels verursacht.

Das Mikroklima umfasst Luftströme, Feuchtigkeit und Temperaturdifferenzen in der unmittelbaren Nähe der Pflanze.

Eine koronare Herzkrankheit ist eine chronische Erkrankung, bei der die Arterien, die den Herzmuskel mit Blut versorgen, durch Ablagerungen verstopfen. Dies kann zum Herzinfarkt führen.

Eine Modellstudie ist eine wissenschaftliche Simulation, die ein Modell eines realen Systems (z.B. die Aufnahme von Zink über pflanzliche Nahrung) verwendet, um das Verhalten des realen Systems unter verschiedenen Bedingungen (z.B. unterschiedlichen CO2-Konzentrationen) vorherzusagen.

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Interessant @Sven_wia. Mir kam da gleich etwas in den Sinn – ich habe mich vor einiger Zeit mal ein wenig mit dem Magnesiumgehalt von pflanzlichen Nahrungsmitteln beschäftigt. Der scheint über die letzten Jahrzehnte kontinuierlich gesunken zu sein. In einer älteren DDR-Veröffentlichung wurde das vor allem auf das Auslaugen der Böden zurückgeführt. (Ich wollte hier gerade einen Screenshot einfügen aus dem Bericht der Akademie der Wissenschaften von 1980, aber das geht ja noch gar nicht ;) ).

Jetzt dachte ich – die Erhöhung des CO2-Gehalts in der Luft könnte da natürlich ebenfalls eine Rolle spielen. Und in der Tat wird hier 2018 in der GEO etwas Ähnliches vermutet: https://www.geo.de/wissen/gesundheit/18619-rtkl-brisante-entwicklung-warum-unsere-nutzpflanzen-immer-weniger

Klar, es geht nicht nur um Magnesium, aber Mg ist von daher interessant, dass es bei vielen “Zivilisationskrankheiten” eine Rolle spielt oder spielen könnte, von Störungen des Zellmetabolismus bis hin zu Depression. Dazu gibt es eine Menge recht guter Forschung. Ebenso zur Mg-Unterversorgung. Wenn man das mit dem CO2-Anstieg zusammendenkt, könnten sich da Pisten ergeben, denen nachzugehen vielleicht lohnen wäre.

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