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Gute Beiträge, danke dafür!

”Wer eine totale russische Niederlage zum ultimativen militärischen Ziel erklärt, sollte schließlich daran denken, dass diese unter Umständen den Boden für zukünftige neue militärische Auseinandersetzungen zwischen einstigen Kriegsgegnern bereiten könnte, statt den Konflikt nachhaltig zu lösen.”
Das sehe ich anders. Ohne eine militärische Niederlage könnte Russland entweder nach dem 24.02 eroberte Gebiete besetzt halten und damit nach der Denkweise der russischen Nationalisten und bedeutender Teile der Bevölkerung einen Sieg erringen, oder aber die für einen Kompromissfrieden ohne Gebietsgewinne verantwortliche Regierung müsste sich einer Dolchstoßlegenden-Situation ähnlich wie 1918 aussetzen. Im ersten Fall würde der Ukrainefeldzug als nachahmenswerte Schablone dienen, im zweiten Fall würde der nationalistischen Opposition hervorragende Munition geliefert, um die kompromissbereite Regierung anzugreifen. Beides würde den Konflikt bzw. die Kriegsgefahr in die Zukunft fortsetzen.

“Es sind aktuell seine verbliebenen globalen Partner in Afrika, Asien und Lateinamerika, die Russland ggf. in einem multilateralen Rahmen aufzeigen könnten, dass sich ein militärischer Rückzug positiv auf Status und Ansehen des Landes auswirken würde.”

Das setzt voraus, dass Russland an Status und Ansehen im Ausland interessiert ist UND die verbliebenen Partner ein Interesse daran haben, auf Russland einzuwirken. Für die russische Regierung wird die für den Machterhalt wichtige Wirkung nach innen immer die Wirkung nach außen überstimmen, wie wenig der globale Süden über Worte hinaus auf Russland einwirken mag, sieht man daran, dass er sich nicht auf Staatenebene den Sanktionen angeschlossen hat.

Atommächte und ihre Regierungen können keine existenziellen Kriege verlieren, sehr wohl aber Kriege auf einem darunter liegenden Schweregrad. Der russische Staat ist durch eine militärische Niederlage in der Ukraine nicht gefährdet, da weder Westen noch Ukraine Eroberungsabsichten hegen. Die russische Regierung unter Putin ist das schon eher, aber auch keinesfalls sicher-jedenfalls nicht im Vergleich zu einem Szenario nuklearer Eskalation. Der Einsatz von Kernwaffen bei einer drohenden militärischen Niederlage ist keinesfalls eine offensichtliche Option für Putin, auch weil das neutrale oder verbündete Staaten verschrecken würde. Die Chinesen etwa haben an einem konventionellen Krieg in der Ukraine ihre Vorteile, bei einer nuklearen Eskalation aber wenig zu gewinnen und viel zu verlieren. Putin und seine Sicherheitsdienst-Elite können eine Niederlage in der Ukraine durchaus überleben. Saddam Hussein hat das Patt im Irakisch-Iranischen Krieg und die desaströse Niederlage im ersten Golfkrieg samt folgender sanktionsbedingter Wirtschaftskrise überstanden. Dieser Weg, im vergleich zu einer unberechenbaren nuklearen Eskalation, wäre eine attraktive Option für Putin und ein begrüßenswertes Szenario (im Vergleich zu einem ewig eingefrorenen Konflikt oder Verlust lebenswichtiger Gebiete) für die Ukraine. Voraussetzung ist, dass der Westen noch stärker mit Waffen unterstützt, und Putin Geschlossenheit und Härte auch bei Einsatz von russischen Kernwaffen signalisiert.

PS: Aus meiner Sicht hat Putin mit dem Krieg zwei Ziele:

  1. Absicherung der Macht nach innen durch einen erfolgreichen Feldzug nach dem Vorbild von 2000, 2008, 2014, nach dem unerwartet harten Widerstand wird der Krieg nun als Grund für stärkere Repression und Kontrolle der Gesellschaft verwendet.

  1. Zerstörung langfristig für das imperiale Russland und das System Putin unangenehmer oder gar gefährlicher kultureller Memes. Eine demokratische, prosperierende, westlich ausgerichtete Ukraine wäre für das autoritäre Russland eine Gefahr wie es die BRD für die DDR war. Deswegen muss dieser Staat unter Kontrolle gebracht oder zumindest destabilisiert und geschädigt werden.

Das erster Ziel hat Putin teilweise erreicht. Wenn Russland keine klare militärische Niederlage erleidet und weitgehend von ukrainischem Gebiet verdrängt wird, würde er auch das zweite Ziel erreichen. Denn von der aktuellen Linie aus kontrolliert Russland den Unterlauf des Dnepr, das wichtigste ukrainische Kraftwerk, hat viele wichtige ukrainische Städte und Verkehrswege in Feuerreichweite und hält selbst bei einem Waffenstillstand die Ukraine in einer Schwebeposition, in der sie sich kaum entwickeln kann.

Diskussionen
13 Kommentare
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Danke für diesen ausführlichen und gehaltvollen Kommentar. Ich sehe es ähnlich wie Sie: Auch Nuklearmächte können durchaus Niederlagen erleiden. Diese müssen nicht automatisch zur nuklearen Eskalation führen (siehe US-Niederlagen seit Vietnam, Frankreich nach Algerien oder Sowjetunion nach Afghanistan). Wobei natürlich ein Eskalationsrisiko bleibt, dass man nicht völlig ausblenden kann, vor allem wenn, wie im russischen Fall, die derzeitige staatliche Elite ihr persönliches Schicksal gleichsetzt mit der Existenz des Staates.

Meiner Meinung nach sollte es das erklärte Ziel westlicher Politik sein, den als selbstverständlich empfundenen Verfügungsanspruch des Kreml über die ukrainische Politik zu durchbrechen. Das schließt nicht aus, mit einem zukünftigen Russland über sicherheitspolitische Angelegenheiten zu verhandeln und auch Kompromisse zu schließen, etwa was die Stationierung bestimmter Waffensysteme angeht. Aber solange Putins Zirkel überzeugt ist, ein Recht über die Gestaltung der ukrainischen Innen- und Außenpolitik zu haben, führt m.E. an einer Niederlage, die auch im Kreml als solche realisiert wird, nichts vorbei.

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