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@sebastian_hoppe 

Mir geht es ja nicht darum, die Thesen von GKS zu diskutieren. Aber da sind wir uns ja sowieso einig.

Die Janusköpfigkeit des (klassischen, offensiven) Realismus zeigt sich an dem Beispiel in der Tat sehr deutlich: Er kann sowohl zu der Auffassung gelangen, man hätte die Nato nicht erweitern dürfen (Mearsheimer, jetzt jedenfalls) wie zu der, man hätte im Gegenteil sie gleich bis zur Aufnahme der Ukraine erweitern müssen (Poal u.a.). Das wirft kein gutes Licht auf das Paradigma. Allerdings kommt andererseits das andere, das liberale Paradigma mit der Situation ja auch nicht wirklich zurecht – was Klaus Schlichte als Selbstmythologisierung, Pathologisierung des Gegners und Ahistorizität charakterisiert.

Vielen Dank damit gleich für den Hinweis auf diesen Aufsatz. Habe ihn gestern gelesen und finde den Ansatz erstmal überzeugend, einmal, weil er von einer gewissenhaften Beschreibung der konkreten politischen Prozesse ausgeht (und sie nicht gleich in Theorierahmen presst), vor allem aber auch, weil er die disparaten Elemente zusammenbringt, in diesem Fall den postimperialen Habitus (nicht nur) Russlands, die Ungleichzeitigkeit der Politiken, mit der „Figuration“ auch die Interaktion RU-USA und zuletzt die verschiedenen zeithistorischen Phasen der Konfliktentwicklung selbst.

Was die Trennbarkeit der „ermöglichenden“ von den „produktiven“ Bedingungen betrifft (oder, wie du oben schreibst, der permissiven und produktiven Kausallogiken) bin ich ein wenig skeptisch. In einer von Hyperfeedback geprägten Sphäre wie dem Politischen wirken auch Bedingungen selbst wieder verursachend, denke ich, wenn auch auf indirekte Weise (dadurch, dass sie interpretiert werden und die Interpretation handlungsleitend ist). Meine Intuition wäre es vermutlich, eher auf die unterschiedlichen Distanzen des Verursachens zu schauen, und natürlich Verursachung und Verantwortung voneinander getrennt zu halten. Aber das nur am Rande.

Mein eigentlicher Punkt ist, dass Schlichte zwar überzeugend die Paradigmen kritisiert (Realismus, Liberalismus), dass sein Ansatz aber gar kein Paradigma schaffen kann, das heisst: keine Heuristik. Das ist einerseits gut (in deskriptiver und auch explikativer Hinsicht), andererseits aber auch eine Schwäche, denn das Politische wird, denke ich, nicht primär von Beschreibungen, sondern von Heuristiken getrieben.

Und das ist auch die Stelle, an der das Phänomen GKS dann doch wieder interessant wird. Denn sie bekommt diese Aufmerksamkeit meiner Meinung nach nicht, weil sie Kreml-Rhetorik reproduziert (so verstehe ich dich oben), sondern weil sie sehr eingängig eine Heuristik formuliert, die sich ähnlich auch bei Guérot, bei vielen Linken und bei grossen Teilen der AfD finden lässt. Diese Heuristik steht auf einem ähnlichen Komplexitätsniveau wie die liberale Heuristik des nicht zuzulassenden Völkerrechtsverstosses (die Implemetierungs- und Credibility-Probleme ausblendet) – Heuristiken können eben per se nicht besonders komplex sein.

Und das ist einerseits natürlich fatal (denn GKS’s Einlassungen derailen den Diskurs), andererseits ist es bezeichnend und symptomatisch. Denn ich denke, man muss, wenn man über die Nato-Osterweiterungs-Frage und überhaupt diesen Krieg / Konflikt nachdenkt, sogar noch mehr einbeziehen als nur die konkreten politischen, wirtschaftlichen etc. Dynamiken, die wir hier diskutieren, nämlich auch das Kognitive, das Mediale und das Politische in seinem allgemeinen Sinne (als öffentliche Herausbildung handlungswirksamer Meinungen, Auffassungen, eben Heuristiken).

Und dann frage ich mich wieder: Wie kann man nun das – also das heuristische politische Denken – so gestalten, dass das Verhältnis Nato / Russland nicht entweder absolut gesetzt oder ausgeblendet wird, sondern auf adäquate Weise mit einbezogen wird? Es ginge also darum, den Raum für neue Heuristiken zu sondieren. Die dann einerseits wissenschaftlich abgestützt sein müssen, aber anderersseits auch die Macht hätten, politisch transformativ zu wirken.

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