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Monokausale Erklärungen halte ich grundsätzlich für nicht zielführend. Schon gar nicht, beim Versuch, die Ursachen für diesen komplexen Konflikt einzuordnen.
Stellt man das NATO-Argument in den Mittelpunkt, hat Putin bis jetzt eindeutig das Gegenteil erreicht: Im Ostseeraum und in der Arktis wird Russland noch stärker von NATO-Staaten umgeben sein. Die Reaktion Moskaus (zumindest die öffentlichen Statements) fiel recht gelassen aus. Was zu dem Schluss führen bzw. bei vielen bereits zum Schluss geführt hat, dass das NATO-Argument von Russland nur vorgeschoben war. Dem ist m.E. nicht so. Denn seit 1997 hat Moskau immer wieder sein Unbehagen bezüglich NATO-Osterweiterung zum Ausdruck gebracht, was man sowohl Pressemeldungen als auch außenpolitischen Dokumenten entnehmen kann. Ich stimme daher dem Grundgedanken des Posts zu, dass „Nato-Osterweiterung einer der Fäden des gewaltigen Kausalgewebes ist“.
Nach meiner bisherigen Analyse hat der politische Konflikt, der leider zu einem militärischen geworden ist, drei Kausalebenen: die nationale (innenpolitische Zwänge in Russland und in der Ukraine), die bilaterale (die Absicht Moskaus, die Ukraine stärker an Russland zu binden und die Absicht der Ukraine, sich stärker dem Westen anzuschließen) und die internationale (die Definition der europäischen und globalen Sicherheitsordnung). Die NATO-Osterweiterung ist klar auf der internationalen Ebene anzusiedeln.
Meine Interpretation ist, dass Russland als Ausgleich für die Beendigung des Kalten Krieges einen Freibrief für die Einflussnahme im postsowjetischen Raum impliziert hat. Generell besteht seit langem der Eindruck, dass der Kreml die NATO-Erweiterung nur dann für inakzeptabel und anstößig hält, wenn ehemalige Sowjetrepubliken dem Bündnis beitreten wollen. Wie die Analystin Tatjana Stanowaja es auch schon erkannt hatte, war für Putin das NATO-Problem nicht ein militärisch-strategisches (die militärische Bedrohung diente eher als Vorwand, als Hauptargument, auch für seine eigene Überzeugung), sondern ein geopolitisch-historisches und sogar mentales. Die NATO mag sozusagen im Westen existieren, aber nicht vor unserer Haustür.
Ungeachtet dessen, welche Gründe am Ende ausschlaggebend waren, bleibt meiner Meinung nach die Frage der NATO-Osterweiterung eine Schlüsselfrage für den Versuch, mit Russland künftig Gespräche über sicherheitspolitische Fragen zu führen.
Diese drei Kausalitätsebenen – international, bilaterial und “domestic” – finde ich als erstes Grobraster für eine Analyse auch gut geeignet. Es schliessen sich aber natürlich zahlreiche Fragen an. Für mich zum Beispiel:
Wenn die Kausalitäten so komplex sind (was ja überhaupt nicht heisst, dass es sich in jedem Fall um intentionale, gewollte oder auch nur in Kauf genommene Verursachungen handeln muss), wieso ist es so schwer, im Raum des Politischen und oft selbst im wissenschaftlichen Diskurs mit dieser Vielfalt des in irgendeiner Weise Verusachenden umzugehen?
Liegt es daran, dass jeder die Lage nur durch sein eigenes methodisches Prisma betrachtet? Daran, dass diese Verursachungsdynamiken sich innerhalb völlig verschiedener zeitlicher Grössenordnungen abspielen – von der longue durée internationaler Systeme bis hin zu politischen Punktereignissen wie dem Maidan – und daher so wirken, als wären sie analytisch nicht aufeinander beziehbar? Oder daran, dass jede Form von (Mit-) Verursachung fälschlich mit Verantwortung oder Schuld gleichgesetzt wird, was dann zu offenkundigen moralischen Fehlern führt?
Mir scheint die grosse Herausforderung weiterhin zu sein, vor der Komplexität nicht zu kapitulieren, selbst wenn sie alle verfügbaren theoretischen und analytischen Einzelmodelle überfordert.