Der Krieg in der Ukraine hat eine Welle von dokumentarischen Aufnahmen des Kriegsgeschehens hervorgebracht: Handyfilme, Drohnenaufnahmen und Action-Cam-Videos von Soldaten und Militärgerät zeigen die Kampfhandlungen hautnah. Gerade die Aufnahmen mit Action-Cams, kleinen Kameras, die am Körper befestigt werden, würden eine neue Immersion in das Kriegsgeschehen ermöglichen, so Anne Krier.
Viele der Aufnahmen werden dramatisch auf den Augenblick der „Action“ gekürzt: Es sind kurze Videos, die auch oft mit Musik unterlegt sind und zum Beispiel große Explosionen zeigen. Diese Videos seien auch eine Form von Kriegspropaganda. Krier vergleicht die Inhalte der Kampfaufnahmen mit sowjetischer Kriegsfotografie im Zweiten Weltkrieg: „Gezeigt werden feuernde Waffen, das zerstörte Kriegsgerät des Gegners, sterbende und gefallene Feinde, Gefangene.“ Doch die eigenen Toten zu zeigen, sei ein Tabu.
Aufnahmen, die so nah am Kriegsgeschehen, mitunter sogar mitten im Kriegsgeschehen selbst entstehen, sind für Krier Ausdruck einer veränderten Zuschauerrolle. Der Zuschauer identifiziere sich durch die Aufnahmen aus der Perspektive der ersten Person immer mehr mit der Rolle eines Teilnehmenden am Krieg. Durch die oft schlechte Aufnahmequalität und heftige Geräuschkulisse würden diese Videos dazu führen, dass Zuschauer die Intensitäten des Krieges nachempfinden. Welche Auswirkungen diese Veränderung in der Zuschauerrolle und der gesellschaftliche Umgang mit Kampfaufnahmen auf lange Sicht haben, ist für Krier derzeit noch unklar. Eine Möglichkeit der Verwendung solcher Aufnahmen sei die Fortschreibung sieghafter, heroischer und glorifizierender Kriegsnarrative.
Trotzdem hebt Krier den dokumentarischen Wert dieser Aufnahmen hervor: Sie brechen mit vorher bekannten Formen der Kriegsdokumentation, die historisch oft mit künstlerischen Intentionen einhergingen, und dienen als Zeugnisse des Krieges. Die Autorin plädiert dafür, den Realismus dieser Aufnahmen anzuerkennen und als Aussage über das Wesen des Krieges zu betrachten.