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Auf dem Weg in eine multipolare Welt

Re-Paper
Iliya Kusa2022

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Geschrieben von Alexandra Sitenko

Bei te.ma veröffentlicht 24.04.2023

te.ma DOI 10.57964/b5c0-w750

Geschrieben von Alexandra Sitenko
Bei te.ma veröffentlicht 24.04.2023
te.ma DOI 10.57964/b5c0-w750

Der ukrainische Analyst Iliya Kusa sieht den Einmarsch Russlands in die Ukraine als ein weiteres Element im Wettbewerb der Großmächte nach dem Kalten Krieg, der das internationale System in den kommenden Jahren prägen wird. Der Krieg sei seiner Meinung nach der Vorbote eines globalen Wandels vom westlich dominierten hin zu einem multipolaren internationalen System.

Iliya Kusa setzt sich in seinem Artikel mit den globalen Folgen des Krieges in der Ukraine auseinander. Seine Ausgangsthese ist, dass die Ukraine zu einem zentralen Konfliktherd im globalen Machtkampf zwischen Russland und dem Westen geworden ist.1 Dementsprechend umfassend werden auch die Auswirkungen dieses Krieges sein. Nach einer Skizzierung der militärischen Ereignisse der ersten Kriegswochen adressiert der Autor in seinem Text zwei Dimensionen, an denen sich seiner Meinung nach der disruptive Charakter dieses Konflikts verdeutlichen lässt. 

Die erste ist die wirtschaftliche Dimension. Der Einmarsch Russlands in die Ukraine habe, so Kusas Argument, eine strategische Neuverteilung der Energiemärkte ermöglicht, insbesondere in Europa.2 Am wichtigsten sei aber die politische Dimension, die die globale und regionale Ordnung betreffe. Diese habe der Einmarsch in dreifacher Hinsicht verändert: 

Erstens habe Russland mit dem Überfall auf die Ukraine seinen eigenen außenpolitischen Handlungsspielraum eingeschränkt. In den letzten fünfzehn Jahren habe die russische Außenpolitik darauf abgezielt, Moskau durch eine Kombination aus hybrider Kriegsführung, Soft-Power-Instrumenten, politischer Zusammenarbeit und diplomatischem Engagement als alternatives Machtzentrum im Wettbewerb der Großmächte zu positionieren. Durch den Überfall auf die Ukraine sei das globale Image Russlands beschädigt und politische wie ökonomische Ressourcen für anderweitiges geopolitisches Engagement seien erheblich reduziert. Außerdem sei das Land mit Sanktionen belegt und wirtschaftlich isoliert, was für seine verbliebenen Partner mit großen Risiken verbunden sei, wollen sie mit Moskau weiter Geschäfte machen.

Zweitens werde Russlands Krieg die europäische Sicherheitsarchitektur verändern. Er werde den Zusammenhalt innerhalb der Nato konsolidieren und die europäischen Institutionen stärken. Die russische Aggression habe zu einer Neuauflage der Aufrüstungspolitik in Ländern wie Polen, der Slowakei und Deutschland geführt. Auch die Türkei, die EU und die USA würden durch eine vertiefte interregionale Zusammenarbeit auf weitere Abschreckung Russlands setzen, was wiederum die europäische Sicherheitsarchitektur auf einen breiteren eurasischen Kontext ausweiten könnte. 

Drittens beende der russische Krieg in der Ukraine eine 30-jährige Ära, in der Moskau versuchte, die postsowjetischen Integrationsbemühungen anzuführen. Nach den Ereignissen in der Ukraine sei es unwahrscheinlich, dass Russland seine bisherige kulturelle Vormachtstellung im postsowjetischen Raum werde behalten können.3

Schließlich sei die russische Militäroffensive ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zu einem multipolaren internationalen System, in dem mehrere regionale Akteure wie die Türkei, Israel und Polen an Bedeutung gewinnen und eine aktivere Rolle im Weltgeschehen spielen würden. Kusa zufolge haben die UN-Abstimmungen4 gleichzeitig die Spaltung zwischen dem Westen und dem Rest der Welt deutlich gemacht. Es zeige sich, dass die westliche Dominanz im internationalen System ins Wanken gerate und Länder wie Indien, China, Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, der Iran und andere versuchten, das entstehende Vakuum zu füllen. 

Der Autor schlussfolgert, dass die Auswirkungen der Invasion das internationale System in den kommenden Jahren entscheidend prägen werden. Sollte die Ukraine den Krieg überstehen, hätte sie die Möglichkeit, zu einer Brücke zwischen dem Westen und dem Osten zu werden und Kontinente und Regionen zu verbinden, anstatt sie zu trennen. Die zukünftige Handlungsfähigkeit der internationalen Gemeinschaft und ihre Einsatzmöglichkeiten zwecks Wiederherstellung des Friedens werden, so Kusas Fazit, gerade in der Ukraine entschieden. Je länger der Krieg andauere, desto mehr Länder werde er betreffen und desto größer werde der Schaden für die sich formierende Weltordnung sein. Die implizite Botschaft des Autors an die internationale Gemeinschaft ist somit, die Ukraine zu unterstützen und gleichzeitig auf ein möglichst schnelles Kriegsende hinzuarbeiten.

Fußnoten
4

An diesem Punkt überschneidet sich die Argumentation von Kusa mit der seines russischen Kollegen Ivan Safranchuk, der in der gleichen Zeitschriftenausgabe einen Artikel mit dem Titel The Conflict in Ukraine: Regional and Global Contexts – A Perspective from Russia platzierte. Darin präsentiert er drei Ursachenebenen für die Krise rund um die Ukraine, die zur militärischen Intervention führten: das Scheitern des Minsker Prozesses, die Nato-Osterweiterung und, am wichtigsten, die Meinungsverschiedenheiten zwischen Russland und dem Westen (vor allem den USA) im Hinblick auf die Gestaltung der globalen Ordnung. Die Kollisionen auf all diesen drei Ebenen hätten sich auf die Ukraine konzentriert.

Russlands Einmarsch in die Ukraine  führte zu einer Umwälzung der europäischen Energieversorgung. Die EU verzichtete auf Öl- und Kohleimporte aus Russland. Der Anteil Russlands an den europäischen Gasimporten ist stark zurückgegangen: Die Daten von Eurostat zeigen, dass diese von 31 Prozent im ersten Quartal 2022 auf fast 19 Prozent  zum Jahresende zurückgingen. Damit sind die USA mit einem Anteil von fast 20 Prozent  zum zweitgrößten Gaslieferanten der EU geworden und liegen hinter Norwegen. Bei den Rohölimporten belegen die USA Platz eins, gefolgt von Norwegen und Kasachstan: https://edition.cnn.com/2023/03/28/energy/eu-us-oil-imports-overtake-russia/index.html  Eine neue langfristige Energiepartnerschaft wurde mit Katar geschlossen, allerdings erst ab 2026: https://www.deutschlandfunk.de/lng-katar-100.html Die Gaslieferungen aus Aserbaidschan sollen ab 2027 erhöht werden: https://www.zdf.de/nachrichten/politik/eu-kommission-aserbaidschan-energie-abkommen-100.html.

Die Gründe, die Wladimir Putin als Vorwand für den Krieg mit der Ukraine anführte, umfassen u.a. die Notwendigkeit, die russischsprachige Bevölkerung zu schützen, und die Behauptung, dass die Ukraine ein künstlicher Staat sei. Diese könnten aber auch auf andere postsowjetische Staaten projiziert werden und dürften bei ihnen Besorgnis über die wahren Absichten Russlands im Umgang mit ihnen wecken.

Die letzte davon fand am 23. Februar 2023 statt über eine Resolution, die Russland zum Auszug aus der Ukraine aufforderte. 141 Länder stimmten dafür, 7 (inklusive Russland) dagegen und 32 enthielten sich (darunter China sowie mehrere afrikanische und lateinamerikanische Länder): https://www.fr.de/politik/abstimmung-analyse-putin-news-un-resolution-russland-ukraine-krieg-sicherheitsrat-laender-92107158.html.

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Der Begriff beschreibt eine besondere Form der Machtausübung von Staaten und politischen Akteuren über andere Staaten und Gesellschaften; diese Macht beruht nicht auf militärischen oder ökonomischen Ressourcen („hard power“), sondern auf Attraktivität durch Vorbildfunktion, z.B. durch Vermittlung eigener Normen und Werte. Die Soft Power ist somit eine subtile Macht, die aber über einen längeren Zeitraum hinweg wirkt. Ihr Spektrum reicht von der Anziehungskraft des „American Way of Life“ (Coca Cola und Hollywoodfilme) bis zu westlichen Werten wie Demokratie und Menschenrechte. Geprägt wurde der Begriff vom US-amerikanischen Politikwissenschaftler Joseph S. Nye.

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