Thomas Wagner-Nagy stellt vor:

Interview-Reihe „Gendern in der Belletristik”

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Interview-Reihe „Gendern in der Belletristik“

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Geschrieben von Thomas Wagner-Nagy

Bei te.ma veröffentlicht 19.10.2022

Geschrieben von Thomas Wagner-Nagy
Bei te.ma veröffentlicht 19.10.2022

Das Wochenmagazin „Börsenblatt“ wollte wissen, wie Menschen, die sich von Berufs wegen mit der Frage nach gendersensibler Sprache auseinandersetzen, zu Entscheidungen kommen. In der Interview-Reihe „Gendern in der Belletristik“ erzählen Autoren, Verleger, Lektoren und Übersetzer über ihren Umgang mit dem Thema. Alle Befragten eint eine demonstrative Gelassenheit. Bei der Frage, ob es gute gegenderte Literatur gibt, gehen die Meinungen allerdings auseinander.

Übersetzerin Maria Poets teilt das Bedürfnis zum Gendern, ist aber zugleich der Ansicht, dass wir im Deutschen noch nicht die richtige Form dafür gefunden haben. Sie versteht Menschen, die dem Sternchen oder anderen Genderformen nichts abgewinnen können, und findet die bisherigen Lösungen zu umständlich, unelegant und wenig originell. Für ihre praktische Arbeit als Übersetzerin spielt die Genderthematik bislang kaum eine Rolle. 

Autorin Mithu Sanyal gendert nach eigenen Angaben „aktiv und exzessiv“ in ihren Werken. Ihre Verlage seien dafür offen, manche Medien dagegen nicht. Bei der praktischen Umsetzung im Deutschen sieht sie noch Klärungsbedarf und wünscht sich mehr Einheitlichkeit.

Als freie Belletristik-Autorin und Lektorin kennt Katharina Gerhardt sowohl die Seite der Verlage als auch die der Autorenschaft. Das Thema Gendern werde bislang eher von Autoren als von den Verlagen an sie herangetragen. Ob sie zum Gendern rät, macht sie am zeitlichen und sozialen Kontext des jeweiligen Werks fest. Auch wenn sie manchmal selbst aus Gründen der Leserlichkeit darauf verzichtet, ist Katharina Gerhardt überzeugt, dass es möglich ist, elegant und geschickt zu gendern.

Judith Vogt gendert sowohl in ihren Sachtexten als auch in ihren Romanen. Die Autorin plädiert für einen experimentelleren Umgang mit neuen Ausdrucksformen, der auch Raum für Fehler lässt, solange sich noch keine einheitliche Form etabliert hat. Die Schärfe in der Debatte erklärt sie dadurch, dass dabei binäre Geschlechterstereotypen und eine Dominanz des Männlichen auch in der Sprache infrage gestellt werden, was bei vielen Menschen Unbehagen auslöse.

Constanze Neumann ist Leiterin des „Aufbau“-Verlags und überlässt die Entscheidung gänzlich den jeweiligen Autoren, ob und wenn ja, wie sie gendern. Klare Tendenzen, in welche Richtung sich die Sprache und gesellschaftliche Akzeptanz neuer Formen entwickeln, kann sie dabei noch nicht ausmachen. Sie hat aber keinen Zweifel daran, dass gegenderte Literatur auch gute Literatur sein kann.

Autor Juan Guse verwendet in seinen Büchern abwechselnd generische männliche und weibliche Formen und hatte damit noch keine Probleme bei Verlagen. In Prosatexten findet er aufwendige Genderkonstrukte mit mehrfach deklinierten Formen nicht ansprechend, hält aber zugleich stilistische Argumente gegen das Gendern für einen „albernen Nebenschauplatz“ in der Debatte.

Gunnar Cynybulk sieht die Gender-Debatte im Gesamtkontext der Literaturgeschichte nur als eine kleine – wenn auch wichtige – Episode. In Sachtexten befürwortet der Verleger vom „Kanon Verlag“ gegenderte Formen, in der Belletristik eher nicht. Bislang habe er zumindest noch keine gute gegenderte Literatur gesehen, sagt er.

Annette Michael, geschäftsführende Verlegerin des „Orlanda Verlags“, ist die einzige Person in der Interviewreihe, die sich für verlagsinterne Richtlinien bei gegenderten Formen ausspricht. Sie macht auf den Rassismus und Sexismus aufmerksam, der ihrer Ansicht nach über Sprache in die Gesellschaft transportiert wird. Bei Übersetzungen greift der Verlag mitunter auch zu Wortneuschöpfungen. Auf den ersten Testlauf in der Belletristik wartet Michael allerdings noch: Hier wurde noch kein gegendertes Manuskript eingereicht.

Die Beispiele aus der Praxis zeigen, dass sich auch Verlage noch in einer Findungs- und Experimentierphase befinden, wenn es ums Gendern geht. Würden Sie Ihren Lieblingsroman auch mit gegenderter Sprache genießen?

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