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„Rechtsextreme Positionen werden zunehmend normalisiert.“ Ein Gespräch mit Anna-Sophie Heinze.

Wie hat sich die Dynamik zwischen der AfD und den etablierten Parteien in den Landtagen in den letzten zehn Jahren entwickelt? Damit beschäftigt sich die Politikwissenschaftlerin Anna-Sophie Heinze. Sie analysiert nicht nur das Verhalten der AfD, sondern auch die Reaktionen und Strategien der anderen Parteien. Was es laut Heinze vor allem braucht: eine klare Abgrenzung der demokratischen Parteien von der AfD, um ihre Normalisierung zu verhindern.

Radikal – das neue Normal?

Die Fragen stellten Tobias Müller (Kurator) und Dennis Yücel (Kurator) aus dem Kanal „Radikal – das neue Normal?“.

Frau Heinze, Sie haben sich mit der AfD in vier deutschen Landtagen, in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Thüringen auseinandergesetzt. Was genau haben Sie untersucht?

Ich habe mir angesehen, was in den Landesparlamenten passiert ist, als die AfD ab 2014 die Bühne betreten hat. Zum einen, wie die AfD agiert hat, vor allem aber auch, wie die etablierten Parteien auf die neue Partei reagiert haben.

Warum gerade die Landtage?

Weil die AfD in den Ländern als erstes parlamentarisch vertreten war und die Abgeordneten dort ihre ersten Erfahrungen mit der neuen Partei gesammelt haben, bevor sie 2017 in den Bundestag einzog. Aber auch, weil die Forschung zeigt, dass der Blick auf die subnationale Ebene wichtig ist. Hier lassen sich oft neue Dynamiken im Parteienverhalten und in der Koalitionsbildung beobachten, die später auf Bundesebene übertragen werden können.

Wie sind die anderen Parteien der AfD am Anfang begegnet? 

Ab 2014 mussten viele die AfD erst einmal kennenlernen. Heute ist die Partei in aller Munde und wir wissen vergleichsweise viel über ihre Mitglieder und Positionen. Damals war allerdings nur sehr wenig über sie bekannt. Björn Höcke beispielsweise hatte nahezu keinen Wahlkampf geführt. Über ihn wusste man, dass er Lehrer in Eichsfeld ist und kaum mehr. Der Umgang der etablierten Parteien mit der AfD hat sich dann von Parlament zu Parlament stark unterschieden. Eine einheitliche Strategie gab es nicht. In Thüringen war die Reaktion jedoch relativ gut abgestimmt. Auch die rot-rot-grüne Regierung unter Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) war sich damals nicht sicher, mit wem sie es bei der AfD genau zu tun hat. Dennoch sind sie inhaltlich klar auf Distanz gegangen. Schon in der ersten Parlamentsdebatte haben sie etwa verkündet, dass sie auf AfD-Initiativen im Parlament nur mit eine*r Redner*in antworten werden, statt wie normalerweise üblich, mit eine*r Redner*in aus jeder Fraktion. Ziel war es, der AfD somit Aufmerksamkeit zu entziehen. Dies ging zwar höchstens teilweise auf, stellte aber immerhin einen koordinierten Versuch dar, der AfD geschlossen zu begegnen. Es gab andere Fälle, beispielsweise in Baden-Württemberg, wo es ganz anders aussah.

Und zwar?

Im Stuttgarter Landtag begegnete man der AfD anfänglich nicht nur ablehnend. Die neuen Abgeordneten wurden gegrüßt, man hat sich die Hand gegeben und einen professionell-kollegialen Umgang gepflegt. Das ging so weit, dass zu Beginn der Legislaturperiode 2016 sogar ein von allen Fraktionen getragener Gesetzentwurf ins Plenum eingebracht wurde. Es ging um die Verabschiedung eines Gesetzes zur Stärkung direkter Demokratie. Das war eigentlich schon in der Legislaturperiode zuvor erarbeitet worden, also ohne Beteiligung der AfD. Allerdings ist es dort so, dass nach parlamentarischen Gebräuchen bestimmte Gesetze gerne von allen Parteien gemeinsam eingebracht werden. Man unterstreicht damit, dass es sich nicht nur um eine Regierungsposition handelt, sondern das Parlament als Ganzes dahinter steht. Diese Gepflogenheit wollte man fortführen und lud die AfD ein, sich ebenfalls zu beteiligen. 

Im Stuttgarter Landtag begegnete man der AfD anfänglich nicht nur ablehnend.

Wie ging es dann weiter? 



Als es zur Aussprache im Plenum kam, scherte die AfD – die den Entwurf selbst mit eingebracht hatte – plötzlich aus. Ihr Redner wandte sich gegen den Gesetzentwurf, kritisierte ihn heftig und erklärte die etablierten Parteien für unfähig. Letztere reagierten darauf irritiert, schließlich hätte die AfD-Fraktion ihre Bedenken bereits vorher ansprechen können, statt den Entwurf abzusegnen, nur um ihn dann öffentlich zu zerreißen. Am Ende wurde der Entwurf zurückgezogen und die etablierten Parteien versicherten, nie wieder eine gemeinsame Gesetzesinitiavef mit der AfD einzubringen – dabei ist es in Baden-Württemberg tatsächlich auch bis heute geblieben.

Ist ein solches Verhalten typisch für die AfD in den Landtagen?

Ja. Bezeichnend an dem Stuttgarter Beispiel ist das Bestreben der AfD, die Parlamente als Bühne zu nutzen. Der Partei geht es nicht darum, sich konstruktiv in die parlamentarische Arbeit einzubringen, sondern darum, in den Parlamenten maximale Öffentlichkeit und Material für ihre außerparlamentarische Mobilisierung zu sammeln. Der YouTube-Zusammenschnitt, den das Medienteam der Partei im Anschluss bastelt, ist für sie viel wichtiger als die argumentative Auseinandersetzung im Plenum. Dafür arbeitet man mit gezielten Provokationen und Tabubrüchen, die man dann medial ausschlachten kann. Das unterscheidet die AfD auch von früheren Rechtsaußenparteien wie der NPD, DVU oder den Republikanern. Diese waren zwar auch nicht um einen sonderlich konstruktiven Dialog bemüht, führten aber gewissermaßen ein Dasein als Eigenbrötler. Sie brachten ihre Positionen im Parlament ein, die dann von allen anderen Parteien abgelehnt wurden – ansonsten passierte wenig. 

Bezeichnend an dem Stuttgarter Beispiel ist das Bestreben der AfD, die Parlamente als Bühne zu nutzen.

Haben sich die demokratischen Parteien in ihrem Umgang mit der AfD inzwischen weiterentwickelt?

Bei den etablierten Parteien hat sich mittlerweile eine größere Souveränität herausgebildet. Sie lassen sich beispielsweise nicht mehr so schnell provozieren und erkennen besser, wenn es der AfD nur darum geht, den parlamentarischen Betrieb zu stören. Von einer einheitlichen Strategie lässt sich aber auch heute nicht sprechen. Immer wieder gab es in den Landtagen eine punktuelle Zusammenarbeit. In Sachsen-Anhalt stimmte beispielsweise 2017 die CDU als Teil der Kenia-Koalition mit der oppositionellen AfD, um eine Enquete-Kommission zur Untersuchung von Linksextremismus einzusetzen. 

Wenn man als Fraktion innerhalb der Regierung mit einer AfD in der Opposition gemeinsame Sache macht, ist das besonders heikel. 

Warum?

Für Fraktionen in Mehrheitsregierungen gibt es rein funktionslogisch überhaupt keine Notwendigkeit, mit der Opposition zu stimmen, schließlich hat man die parlamentarische Mehrheit, sollte die eigenen Vorhaben also eigenständig durchbringen können. Nun war die Kenia-Koalition in Sachsen-Anhalt keine Liebesheirat, sondern zum damaligen Zeitpunkt die einzige politisch und rechnerisch mögliche Koalitionsoption ohne die AfD. Weder SPD und Grüne noch CDU waren sonderlich euphorisch. Wenn man sich dann aber für eine Koalition entscheidet, bringt das eine gewisse Verantwortung mit sich. Es muss klar sein, dass man in einer Koalition nicht alle eigenen Projekte verwirklichen kann. Dass SPD und Grüne von einer Enquete-Kommission Linksextremismus nicht angetan sein würden, kann in den Reihen der Union niemanden ernsthaft überrascht haben. Und in dieser Situation hätte die CDU dann meines Erachtens auf diese Kommission verzichten müssen, auch wenn sie inhaltlich natürlich zur Partei passt. Stattdessen hat man die Koalition riskiert und die AfD aufgewertet. 

In Thüringen ließ sich der FDP-Landesvorsitzende Thomas Kemmerich 2020 sogar mit AfD-Stimmen zum Ministerpräsidenten wählen.

Das war zweifelsohne der bislang größte Tabubruch. Sowohl FDP als auch CDU haben im Nachhinein behauptet, von der AfD hereingelegt worden zu sein, doch hätte man zu diesem Zeitpunkt längst wissen müssen, dass die AfD mit derlei Tricks arbeitet, wie im dritten Wahlgang nicht für ihren eigenen Kandidaten zu stimmen. Und selbst wenn sie damit überhaupt nicht gerechnet hätten, hätte Kemmerich die Wahl nicht annehmen müssen – etwas, das in den Folgetagen sehr stark kritisiert wurde. Auch nach dem Rücktritt Kemmerichs kam es immer wieder zu Kooperationen mit der AfD. Die fortschreitende Radikalisierung der Partei und Einstufung des Thüringer Landesverbandes als „gesichert rechtsextrem“ hat nicht dazu beigetragen, dass die sogenannte „Brandmauer“ gefestigt wurde. Wir sehen nach wie vor, dass CDU und FDP in Thüringen punktuell mit der AfD zusammenarbeiten. Beispielsweise haben sie im Februar 2023 gemeinsam mit der AfD die rot-rot-grüne Minderheitsregierung überstimmt und ein neues Spielhallengesetz auf den Weg gebracht. 

Die fortschreitende Radikalisierung der Partei und Einstufung des Thüringer Landesverbandes als „gesichert rechtsextrem“ hat nicht dazu beigetragen, dass die sogenannte „Brandmauer“ gefestigt wurde.

Oft lautet hier die Argumentation: „Wir können nicht aufhören, für unsere politischen Überzeugungen einzutreten, nur weil die AfD denen in Teilen auch zustimmt.“ Wie bewerten Sie diese Logik?

Niemand kann wollen, dass sich Parteien zu stark selbst beschneiden. Aber es muss klar sein, dass gemeinsame Abstimmungen mit der AfD – und sei es bei vermeintlich unpolitischen Themen wie einem Spielhallengesetz – zur langfristigen Normalisierung der Partei beitragen, und damit auch ihrer radikalen Positionen. In Bayern und Hessen haben vor den letzten Landtagswahlen 85 beziehungsweise 80 Prozent der AfD-Wähler*innen gesagt, es sei ihnen egal, dass die Partei in Teilen rechtsextrem ist, solange sie die richtigen Themen anspreche. Solche Werte verdeutlichen: Rechtsextreme Positionen werden zunehmend normalisiert. Dieser Prozess wird auch vorangetrieben, wenn mit der AfD Politik gemacht wird.

Gerade die Union ist damit aber in einer schwierigen Lage: Wenn sie sich dauerhaft in linken Koalitionen aufreibt, läuft sie Gefahr, ihr Profil zu verlieren, oder?

Da ist sicher etwas dran. Sie steckt wahrlich in keiner einfachen Situation. Hier sind auch die Kräfte links der Mitte gefragt. Wenn die Union sich in solchen Zweckehen wie in Sachsen-Anhalt dauerhaft übergangen und zu wenig gesehen fühlt, dann führt das zu einer nachvollziehbaren Frustration. Ohne Zugeständnisse der linken Parteien wird es nicht funktionieren. Die CDU dauerhaft unter Verweis darauf ins Boot zu zwingen, dass sie bei Nichtgehorsam die AfD stärke, wird nicht reichen. Mit Blick auf die anstehenden Landtagswahlen im Herbst stellt sich aber ohnehin die Frage, ob die Parteien ihre Koalitionsoptionen nicht noch einmal grundlegend überdenken müssen. Vor allem der Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU, weder mit der AfD noch mit der Linken zusammenzuarbeiten, könnte ihr in Ländern wie Thüringen langfristig jede Machtoption verbauen. So und so braucht die Partei häufig die Unterstützung von Mitte-Links-Parteien und darf diese deswegen nicht komplett verprellen.

Was wäre eine ideale Strategie, um der AfD in den Parlamenten zu begegnen?

Eine Zauberformel gibt es leider nicht. In jedem Fall wären die demokratischen Kräfte allerdings gut beraten, die AfD formal strikt auszugrenzen, also beispielsweise auch keine gemeinsamen Anträge oder Gesetzentwürfe einzubringen. Darüber hinaus sollte man sich von dem Irrglauben lösen, dass die Übernahme von AfD-Positionen Wähler*innen zurückholt. Die Forschung zeigt, dass der Effekt solcher Übernahmestrategien eher darin besteht, dass radikale Positionen und Frames legitimiert und normalisiert werden. Rechtsaußenparteien können davon langfristig profitieren. Wenn Olaf Scholz etwa im Kontext eines AfD-Umfragehochs fordert, dass jetzt endlich in großem Stil abgeschoben werden müsse oder Friedrich Merz fälschlicherweise behauptet, dass Deutsche wegen geflüchteter Menschen keine Zahnarzttermine mehr bekämen, dann wird die AfD Stück für Stück weiter salonfähig gemacht.

Wie können die anderen Parteien mit den Themen umgehen, die die AfD besetzt?

Sie sollten sich klar positionieren und abgrenzen. Das heißt, in die politische Auseinandersetzung gehen und dabei weder übernehmen noch vollständig ignorieren. Man kann die Themen der AfD nicht vollständig beiseiteschieben. Denn was passiert, wenn die AfD beispielsweise rassistische oder antisemitische Parolen schwingt? Die demokratischen Parteien wären nicht gut beraten, solche einfach stehen zu lassen. Wenn Themen wie etwa Migration die Menschen in Deutschland bewegen, dann sollten sie natürlich auch darüber diskutieren. Die Frage ist aber, wie über diese Themen gesprochen wird. Wir sehen, wie oben bemerkt, immer wieder punktuelle Übernahmen von AfD-Positionen mitsamt ihrer Rhetorik. Das scheint mir teilweise aus einer Unsicherheit auf Seiten der etablierten Kräfte zu resultieren. Es wirkt bisweilen so, als sei überhaupt nicht klar, wofür die eigene Partei in bestimmten Fragen überhaupt steht. Das ist ein riesiges Problem. Gerade mit Blick auf das Ziel, Wähler*innen zurückzugewinnen. Dafür braucht es aber positiv formulierte Angebote. Die können aber nur dann auf den Tisch gelegt werden, wenn man sich aus der reagierenden Position heraus begibt. Das passiert immer noch zu selten.

Man kann die Themen der AfD nicht vollständig beiseiteschieben. Die Frage ist aber, wie über diese Themen gesprochen wird.

Die demokratischen Parteien sollten sich also nicht nur um eine Strategie gegenüber der AfD, sondern vor allem auch um sich selbst kümmern? 

Ganz genau, denn die AfD profitierte in den vergangenen zehn Jahren auf vielfache Weise von der Schwäche der anderen Parteien. Statt den Themen der AfD hinterherzurennen, müssen sie sich fragen, wofür sie selbst stehen. Sie müssen kritisch überprüfen, was sie als Partei besser machen können, damit sie die Menschen wieder mehr erreichen, von ihrem Wahlprogramm und vor allem von der liberalen Demokratie überzeugen können. Sie müssen das Vertrauen der Bürger*innen zurückgewinnen. Das gilt auch für die kommunale Ebene. Wir sehen zunehmend, dass die AfD auf lokaler Ebene Spitzenämter gewinnt. Sie stellt zunehmend Oberbürgermeister und Landräte. Das gelingt ihr überall dort, wo die anderen Parteien schwach sind und zu wenig Präsenz zeigen. Das muss sich ändern.

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