„Jedes Kind kann jedem Rufnamen sofort ein Geschlecht zuweisen, sogar dann, wenn es den Namen gar nicht kennt“, schreibt Nübling. Die Geschlechtlichkeit ist so tief im Namenswort verankert, dass Standesämter in Deutschland eine gegengeschlechtliche Namensgebung als dem Kindeswohl abträglich ansehen und nicht zulassen. Niemand kann also hingehen und seinen Sohn Adelheide nennen.
Aber was macht Adelheide (oder Maria oder Helene) so „typisch weiblich“? Nübling identifiziert vier Faktoren: Frauennamen sind länger als Männernamen, meist nicht auf der ersten Silbe betont, sie enthalten mehr Vokale
Und in der Tat – würden wir hinter einem einsilbig-konsonantenlastigen Namen wie Kurt eine Frau vermuten? – Andererseits ist Ruth weiblich. Und Boris und Doris oder Almut und Helmut trennt jeweils nur eine minimale phonetische Distanz. In solchen Fällen lässt die Wortgestalt keine Schlüsse auf das Geschlecht zu, die Geschlechterzuweisung ist hier also etwas Angelerntes, eine Konvention.
Und diese Konvention, so Damaris Nübling, verändert sich gerade. Während auf -a auslautende Namen noch bis vor einigen Jahren eigentlich nur weiblich sein konnten (siehe Nikita), ist heute Luka (oder Luca) als Jungenname gleichauf mit dem zuvor gebräuchlichen Lukas, bei dem das Endungs-S die Männlichkeit anzeigte. Auch Jona, Mika, Elia sind inzwischen als Jungennamen Gang und Gäbe. Nübling schreibt dazu: „Der prominenteste Weiblichkeitsmarker [nämlich der Auslaut auf -a] verliert sein Geschlecht“ – er wird nun auch für Männernamen tauglich.
Generell sieht Nübling in den Namensstatistiken über die letzten Jahrzehnte ein zunehmendes
Allerdings zeigt sich gerade bei den Unisex-Namen ein interessantes Phänomen: Sie haben die Tendenz, nach kurzzeitiger androgyner Doppelverwendung in eine der beiden (grammatisch) möglichen Geschlechteroptionen hinüberzukippen, meist in die weibliche. Diese Instabilität der androgynen Namen könnte auf fortbestehende Statusunterschiede zwischen den Geschlechtern zurückgehen: „Eltern scheinen für ihre Töchter Jungennamen zu schätzen, während sie für ihre Söhne Mädchennamen meiden.“
Noch vor wenigen Jahrzehnten stellte man sich die Kategorie Geschlecht als ein simples Entweder-Oder vor. Heute entpuppt sie sich zusehends als eine dynamische Verschränkung von nicht ganz eindeutiger Biologie mit verschiedensten, unserer eigenen Gestaltung anheimgestellten sozialen Faktoren, als ein kompliziert kombiniertes Sex-Gender oder Gender-Sex. Dass auch die Personennamen auf diese Entwicklung reagieren, erscheint nur plausibel.
Allerdings bleiben in Nüblings Schnappschuss einer kurzen Epoche der Namensgebungen auch viele Fragen unbeantwortet. Wie ist die Situation in anderen Sprachen als dem Deutschen? Lassen sich – wie manche Forscher annehmen
Eine 2021 veröffentlichte Untersuchung von Tanja Ackermann und Christian Zimmer
Ist es also bald vorbei mit der uns so vertrauten Hörbarkeit des Namengeschlechts? Das hängt sicher auch davon ab, ob außersprachliches, biologisch-soziales Geschlecht (Sex-Gender) tatsächlich auf eine androgyne Homogenisierung hinstrebt, oder ob sich im Gegenteil neue opponierende Konstellationen einstellen werden, die dann nicht unbedingt mit dem traditionellen weiblich-männlich-Schema zusammenfallen müssen. Beides würde sich vermutlich – auf je sehr unterschiedliche Art und Weise – auch in den geschlechtsspezifischen Konnotationen der Rufnamen niederschlagen.