Seltene Erden: Wie künstliche Intelligenz den Bedarf steigert und den Abbau beschleunigt

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Robin McKie2021
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Seltene Erden: Wie künstliche Intelligenz den Bedarf steigert und den Abbau beschleunigt

»Is deep-sea mining a cure for the climate crisis or a curse?«

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Geschrieben von Matthias Karlbauer

Bei te.ma veröffentlicht 28.11.2023

te.ma DOI https://doi.org/10.57964/3kd2-pe35

Geschrieben von Matthias Karlbauer
Bei te.ma veröffentlicht 28.11.2023
te.ma DOI https://doi.org/10.57964/3kd2-pe35

Künstliche Intelligenz erkennt auf dem Meeresboden Manganknollen, in denen sich wertvolle Ressourcen verbergen. Damit öffnet sich die Tür zum Tiefseebergbau, einem verheerenden Schritt für die maritime Artenvielfalt, wie Robin McKie in seinem Beitrag in der Zeitung The Guardian berichtet. Ob Tiefseebergbau die Box der Pandora öffnen wird, versuchen Forschende unter Zeitdruck zu beantworten, indem auch sie Methoden der künstlichen Intelligenz nutzen.

Kobalt, Europium, Neodym und Terbium. Mit Ausnahme von Kobalt gehören diese Materialien zur Gruppe der Seltenen Erden. Alle vier finden sich in Akkus, Mikrochips und Lautsprechern wieder oder bringen Fernseher zum Leuchten. Im digitalisierten Alltag sind Seltene Erden also unerlässlich. Als Zutat für Windturbinen oder Elektromotoren spielen sie außerdem eine zentrale Rolle bei der Energiewende. Aber auch die Herstellung von Hochleistungschips – jener Hardwarekomponente, auf der KI-Modelle wie ChatGPT trainiert werden – kommt nicht ohne Seltene Erden aus. Gewonnen werden sie etwa aus Erzen, die im Boden vorkommen.

Der Abbau der gefragten Materialien findet jedoch häufig unter menschenunwürdigen Bedingungen statt. In der Demokratischen Republik Kongo wurden 2017 allein 64 Prozent des weltweiten Kobaltbedarfs abgebaut.1 Dabei gehören mangelhafte Sicherheitsvorkehrungen, einstürzende Tunnel sowie Kinder- und Jugendarbeit zur Tagesordnung.2

Des Weiteren sorgt der Bedarf an Seltenen Erden für wirtschaftliche Abhängigkeiten. Folglich drohen Produktionsprozesse stillzustehen, sobald Lieferketten unterbrochen werden, wie es in der Coronapandemie geschehen ist; und die Lieferketten für Mikrochips sind aufs Höchste verworren. Der taiwanische Chiphersteller TSMC beispielsweise beziffert die Anzahl seiner Zulieferer auf rund 2.500, die ihrerseits selbst wieder Produkte von weiteren Tausenden Zulieferern beziehen.3 Das mag in friedlichen Zeiten funktionieren, doch sobald geopolitische Spannungen auf den Plan treten, drohen ganze Nationen in die Abhängigkeit von Entscheidungen einzelner Staaten zu rutschen.

Abhilfe gegen menschenunwürdige Abbaumethoden und geopolitische Abhängigkeiten könnten Manganknollen bringen. Diese liegen kartoffelförmig auf dem Meeresboden der Tiefsee (siehe Abbildung 1) oder stecken dort im weichen Sediment. Generell bilden sich Manganknollen um Gegenstände herum, wie etwa Muschelschalen, Haifischzähne oder Steinfragmente, und wachsen im Verlauf von einer Million Jahre nur um rund einen Zentimeter. Ihr Wachstum gehört damit zu einem der langsamsten geologischen Phänomene.

Eine Ansammlung von Manganknollen am Meeresboden in der Nähe von Hawaii als Teil der Clarion-Clipperton-Zone. Diese erstreckt sich von Mexiko nach Hawaii und gilt als besonders reich an Manganknollen. Abbildung aus dem Originalartikel unter https://www.theguardian.com/world/2021/aug/29/is-deep-sea-mining-a-cure-for-the-climate-crisis-or-a-curse

Der Abbau von gefragten Materialien in der Tiefsee könne McKie zufolge die ohnehin schon geschundenen Reserven an der Erdoberfläche schonen. Die Roboter der Tiefseebergbauunternehmen stünden auch schon bereit und warteten nur noch auf eine behördliche Zulassung. Apollo II, ein 16 Meter langer Roboter des niederländischen Unternehmens Royal IHC4, wäre in der Lage, stündlich 400 Tonnen Manganknollen zu bergen und an die Oberfläche zu pumpen. Auch wenn die Bedingungen in der Tiefsee extrem sein mögen, stellten sie laut Laurens de Jonge, Manager der Meeresbergbau-Sektion bei Royal IHC, keine unüberwindbaren Hindernisse dar.

In verschiedenen Stadien der Gewinnung Seltener Erden am Tiefseeboden kommen dabei Algorithmen aus dem Bereich der künstlichen Intelligenz zum Einsatz. Beispielsweise bei der Detektion von Manganfeldern mittels Bildverarbeitung5 anhand von convolutional neural networks, der Stabilisierung von Roboterbewegungen mittels Reinforcement Learning6 oder bei der Suche nach chemischen Verfahren und Katalysatoren, um die Rohstoffe aus dem Gestein zu lösen7

McKie nennt jedoch auch eine Kehrseite der Medaille: Der Abbau von Manganknollen in dieser Größenordnung habe existenzielle Einflüsse auf die maritime Artenvielfalt. In weiten Teilen der Tiefsee stellen Manganknollen – neben dem sonst weichen sedimentartigen Boden – die einzige Gelegenheit für Korallen oder Seegurken dar, festen Halt zu finden. Auch Anemonen, Schwämme, Würmer, Oktopoden und zahlreiche mikroskopische Lebewesen seien von einem radikalen Tiefseebergbau bedroht. Aufgrund der geringen Licht- und Nahrungsverhältnisse in der Tiefsee bräuchten die Bestände außerdem Jahrzehnte, um sich zu erholen.

Grundsätzlich stellt McKie die Frage, ob wir die Rohstoffe aus der Tiefsee wirklich benötigen. Eine Alternative liege etwa im effektiveren Recycling: Sowohl alte Batterien als auch Elektroschrott8 enthalten enorme Mengen der begehrten Materialien. Dabei ist jedoch unklar, ob effektiveres Recycling etwa den prognostizierten verdoppelten Bedarf an Kobalt innerhalb der kommenden drei Jahre9 wird decken können. Die Lithium-Eisenphosphat-Batterie stelle darüber hinaus eine Alternative zu jenen Batterien dar, die auf Seltene Erden angewiesen sind.10 Um der Erforschung von Technologien mit geringerem Bedarf an Seltenen Erden mehr Zeit einzuräumen, wurde überdies ein Moratorium über Tiefseebergbau ausgerufen. Als Folge dessen hat das Vereinigte Königreich bereits Initiativen implementiert, um Ozeane und marine Ökosysteme zu schützen.11 In Anbetracht der gebotenen Eile beim Ausstieg aus fossilen Energiequellen ist die Zeit jedoch knapp, um die Auswirkungen des Tiefseebergbaus umfassend zu erforschen.

Nach der Meinung von Andrew Sweetman ist der Tiefseebergbau allerdings gar nicht mehr abwendbar. Der Professor der Tiefseeökologie an der Heriot-Watt-Universität in Edinburgh hält den gesellschaftlichen Druck nach immer neuen Smartphones, Elektroautos sowie nach Wind- und Solarkraftwerken für zu groß, als dass die Schätze aus der Tiefsee verschont bleiben würden. Bis es zum Abbau kommt, spricht er sich dafür aus, so viele Informationen wie möglich über den Effekt des Tiefseebergbaus zu sammeln, um den Schaden möglichst minimal zu halten. Auch hier kann künstliche Intelligenz nützlich sein,12 indem Bildverarbeitungsalgorithmen die Klassifizierung von Lebewesen übernehmen und so die Bestandsaufnahme vereinfachen oder schlichtweg bei der Sammlung und Aufbereitung von Daten aus der Tiefsee helfen.

Bei dem kontroversen Thema des Tiefseebergbaus stellt sich künstliche Intelligenz also als zweischneidiges Schwert heraus. Einerseits können wir sie uns zunutze machen, um Informationen über die Tiefsee zu erhalten. Andererseits spielt künstliche Intelligenz eine zentrale Rolle bei der Detektion von Vorkommen Seltener Erden und beschleunigt den Abbau damit maßgeblich. Gleichzeitig lechzt die KI-Industrie selbst nach den kostbaren Materialien, um Rechenchips herzustellen, auf denen KI-Algorithmen schlussendlich gerechnet und ausgeführt werden.

Fußnoten
12

Siyamend Al Barazi: Rohstoffrisikobewertung – Kobalt. Deutsche Rohstoffagentur – Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, Berlin 2018.

Gesine Ames, Beate Schurath: Kobalt kritisch³. Dezember 2018, abgerufen am 22. November 2023.  

Sarah Spiekermann: Digitale Vollbremsung. In: Süddeutsche Zeitung. 14. August 2023, abgerufen am  22. November 2023.  

 Die Royal IHC stellt maritime Technologie bereit und verfolgt eigene Interessen an den Bagger-, Offshore-, Bergbau- und Verteidigungsindustrien.

Wei Song et al.: Review of Nodule Mineral Image Segmentation Algorithms for Deep-Sea Mineral Resource Assessment. In: Computers, Materials & Continua. Band 73, Nr. 1, 2022.

Qihang Chen et al.: A path following controller for deep-sea mining vehicles considering slip control and random resistance based on improved deep deterministic policy gradient. In: Ocean Engineering. Nr. 278, 2023.

Tongyu Liu et al.: Advancing rare-earth separation by machine learning. In: Journal of the American Chemical Society. Band 2, Nr. 6, 2022, S. 1428-1434.

Künstliche Intelligenz kann dabei helfen, Seltene Erden in Elektroschrott zu detektieren und somit zu extrahieren, gezeigt in Liping Tian et al.: Rare earth metals detection and recognition based on laser induced breakdown spectroscopy and machine learning. In: Optics Express. Band 31, Nr. 12, 2023, S. 20545-20558.

 misereor: Kobalt: Damit dem Handy nicht der Strom ausgeht. Abgerufen am 27. November 2023.

Von der Vielfalt alternativer Technologielösungen ist Matthew Gianni überzeugt, von der Deep Sea Conservation Coalition, einer Allianz internationaler grüner Gruppen mit Sitz in den Niederlanden.

Gov.uk: UK supports moratorium on deep sea mining to protect ocean and marine ecosystems. 30. Oktober 2023, abgerufen am 22. November 2023.  

Katherine LC Bell et al.: Low-cost, deep-sea imaging and analysis tools for deep-sea exploration: a collaborative design study. In: Frontiers in Marine Science. Nr 9, 2022; Cyril Juliani, Eric Juliani: Deep learning of terrain morphology and pattern discovery via network-based representational similarity analysis for deep-sea mineral exploration. In: Ore Geology Reviews., Nr. 129, 2021.

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