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Um wessen Gesundheit geht es wirklich?

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Stephen M. Gardiner, Paul Tubig2023
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Um wessen Gesundheit geht es wirklich?

»Climate Change, Global Health, and Planetary Health«

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Intro

Geschrieben von Max Winter

Bei te.ma veröffentlicht 07.06.2024

te.ma DOI https://doi.org/10.57964/6ve5-ep27

Geschrieben von Max Winter
Bei te.ma veröffentlicht 07.06.2024
te.ma DOI https://doi.org/10.57964/6ve5-ep27

Ist die Sorge um unseren Planeten, der wir heute überall begegnen, aufrichtig? Oder ist vieles von dem, was sich als selbstloses Bemühen um das Wohl der Natur ausgibt, nicht eher Ausdruck einer immer weiter um sich greifenden Angst um die menschlichen Lebensbedingungen – dient Naturschutz nicht insgeheim vor allem dazu, unsere eigene, liebgewonnene Freiheit zu erhalten? In ihrem Beitrag hinterfragen Stephen M. Gardiner und Paul Tubig die ethischen Grundlagen des Planetary-Health-Konzepts. 

Mehr und mehr Menschen verstehen und erleben derzeit, wie ihre Lebensweise, ihre Entscheidungen und ihre Handlungsspielräume – kurz gesagt: ihre Freiheit – nicht nur durch autoritäre politische Strömungen oder Kriege bedroht werden, sondern zunehmend auch durch die Folgen des Klimawandels. Flutkatastrophen werden häufiger, selbst in Nordeuropa kommt es in vielen Regionen zu Wasserknappheit und die Preise für viele landwirtschaftliche Produkte steigen stark. Und je stärker diese Phänomene ins öffentliche Bewusstsein vordringen, desto energischer wird über einen angemessenen Umgang auf nationaler und globaler Ebene debattiert. Während es lange Zeit darum ging, den menschengemachten Klimawandel zu begrenzen, wird nun die Frage dringlicher, welche Folgen er für unsere Lebensweise und unsere Gesellschaften hat.

Dabei erfährt das Konzept Planetary Health viel Aufmerksamkeit, denn seine Befürworter beanspruchen für sich, den Schutz natürlicher Systeme mit den Erfordernissen menschlicher Gesundheit und menschlichen Wohlergehens zu verbinden: Wie schon der Name andeutet, soll Gesundheit nicht mehr innerhalb einzelner Gesellschaften betrachtet werden, sondern planetar. Die überzeugende Idee dahinter ist, dass es für effektive Maßnahmen im Umgang mit den immer gravierenderen Auswirkungen des Klimawandels auf Ökosysteme und zugleich für die menschliche Gesundheit eines Ansatzes bedarf, der beides nicht weiter getrennt voneinander betrachtet, sondern zusammen denkt. So entsteht die Vision einer Bündelung von Erkenntnissen aller relevanten wissenschaftlichen Disziplinen, um konkrete Strategien und Handlungsanweisungen auf nationaler und globaler Ebene entwickeln zu können.

Geht es uns um den Planeten oder um uns?

So einleuchtend dieses Konzept auf den ersten Blick erscheint, so stellt sich doch bei näherem Hinsehen der Eindruck ein, als ginge es trotz des planetarischen Anspruchs einzig und allein um die Sicherung der menschlichen Lebensgrundlage: „Einfach gesagt bezeichnet Planetary Health die Gesundheit der menschlichen Zivilisation und den Zustand der natürlichen Systeme, auf denen sie beruht.“1 Geht es uns also nicht letztlich auch beim Schutz der Natur nur um „das liebe Selbst“, das schon Kant hinter den meisten vermeintlich moralischen Handlungen vermutete? Wenn dem so wäre, ließe sich fragen, ob Planetary Health als Ausdruck einer anthropozentrischen Sichtweise verstanden werden sollte, also einer ethischen Überzeugung, gemäß der alle Maßnahmen des Naturschutzes letztlich menschlichen Interessen zu dienen haben. Pointierter gefragt: Ist es nicht einfach der Wille, unsere menschliche Freiheit zu erhalten, der uns zum Schutz ihrer natürlichen Voraussetzungen drängt?

Zwar stammt das Konzept Planetary Health aus den Umwelt- und Gesundheitswissenschaften; aber mit zunehmender Popularität mehren sich auch Stimmen, die sich kritisch mit seinen philosophischen Grundlagen auseinandersetzen. So auch der Beitrag von Stephen M. Gardiner und Paul Tubig, in dem sie die ethischen Implikationen der Planetary-Health-Strategie beleuchten. Dazu unterscheiden sie zunächst eine deskriptive, beschreibende Ebene von einer normativen, wertenden. Die deskriptiven Belege für die potenziell katastrophalen Auswirkungen des Klimawandels auf die menschliche Gesundheit sind erdrückend: Die Abnahme der Biodiversität führt dazu, dass Menschen zunehmenden Risiken durch von Tieren auf Menschen übertragene Infektionskrankheiten ausgesetzt sind. So können Überschwemmungen, Sturmereignisse und Dürren die Verbreitung von Durchfallerkrankungen befördern, die bereits heute die zweithäufigste Todesursache für Kleinkinder darstellt. Neben Hitzeereignissen, die vor allem ältere Menschen gefährden, stellt Luftverschmutzung das weltweit bedeutendste umweltbedingte Gesundheitsrisiko dar und ist Ursache und Folge des Klimawandels zugleich. Und auch abgesehen von unmittelbaren Risiken für die menschliche Gesundheit sorgen klimatische Veränderungen zunehmend auch indirekt für Gefahren, etwa durch Ernteausfälle und mit ihnen verbundene Hungersnöte, aber auch durch Beeinträchtigung kritischer Gesundheitsinfrastruktur, wenn Waldbrände wie zuletzt in Kalifornien die Stromversorgung von Krankenhäusern einschränken.

Gesundheit oder Freiheit?


Diese düstere Diagnose für sich genommen reicht jedoch nicht, um sich auf geeignete Gegenmaßnahmen, auf eine Therapie zu einigen. Denn dafür bedarf es einer Verständigung über die normative Ebene: Welche Ziele sollten Maßnahmen haben, welche Werte sollten sie in den Mittelpunkt stellen? Dass solche Fragen weder trivial sind, noch als geklärt gelten können, zeigen Gardiner und Tubig in einer philosophischen Analyse der einschlägigen Definition des Planetary-Health-Konzepts. Deren Probleme machen sie vor allem am Anspruch fest, Planetary Health sei „die Erreichung des höchstmöglichen Niveaus an Gesundheit, Wohlergehen und Gerechtigkeit“.2 Weil die planetare Dimension so offensiv in den Vordergrund gerückt wird, kann eine entscheidende Einsicht schnell in Vergessenheit geraten: Es geht um menschliche Gesundheit, menschliches Wohlergehen und menschliche Ansprüche an Gerechtigkeit, womit die Idee von Planetary Health eindeutig anthropozentrisch angelegt ist. 

Gardiner und Tubig weisen aber noch auf eine weitere Besonderheit hin: Selbst wenn die Orientierung an diesen drei Leitwerten für überzeugend gehalten wird, muss die Forderung nach ihrer absoluten Priorität vor allen anderen denkbaren Werten als hochproblematisch gelten. Das „höchstmögliche Niveau“ beispielsweise an Gesundheit als Ziel auszugeben, bedeutete konkret, dass alle anderen möglichen Ziele – seien sie nun anthropozentrisch oder nicht – so lange zurückgestellt werden müssten, bis diese Maximalforderung erreicht ist. Wir könnten uns beispielsweise erst um Freiheit bemühen, wenn das höchste Maß an Gesundheit gewährleistet ist. Das ist nicht nur philosophisch schwer begründbar, sondern auch lebensfremd. Zwar könnte man argumentieren, dass Freiheit ohne Gesundheit schwer denkbar sei und Krankheit durchaus eine Form der Unfreiheit darstelle. Daraus folgt aber noch lange nicht, dass wir uns in einem Zustand vollständiger Gesundheit auch notwendig als frei bezeichnen können, wie sich am Beispiel physisch und mental gesunder Gefängnisinsassen zeigen ließe.

Doch selbst dann, wenn wir von dieser Maximalforderung abrücken würden, bliebe die offene Frage übrig, ob es prinzipiell berechtigt ist, unsere menschlichen Interessen wie selbstverständlich zum einzigen Maßstab für einen effektiven Naturschutz zu machen. Die zentrale Einsicht, dass die menschliche Freiheit nicht nur von den Handlungen anderer Menschen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen abhängig ist, sondern zunehmend auch von den Folgen des menschengemachten Klimawandels, erfordert also auch eine ethische Neubestimmung unseres angespannten Verhältnisses zur Natur. Der Ansatz von Planetary Health kann in diesem Zusammenhang als vielversprechende Diskussionsgrundlage gelten, die aber zugleich einer philosophischen Aufklärung bedarf.

Fußnoten
2

Sarah Whitmee et al.: The Rockefeller Foundation–Lancet Commission on planetary health: Safeguarding human health in the Anthropocene epoch: report of The Rockefeller Foundation–Lancet Commission on planetary health. In: The Lancet. Nr. 386, 2015, S. 1978. (Übersetzung M.W.) 

Ebd.

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Immanuel Kant (1724-1804), deutscher Philosoph der Aufklärung, hat grundlegende und bis heute intensiv rezipierte Werke unter anderem in den Bereichen der Erkenntnistheorie („Kritik der reinen Vernunft“), der Ethik („Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“) und der Religionsphilosophie („Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“) verfasst. Insbesondere seine Ethik, deren Kern die Begriffe des guten Willens, der Menschenwürde und einer als Autonomie verstandenen Freiheit bilden, war wegweisend für das moderne Denken.

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Max Winter diskutiert – unter Bezugnahme auf das Paper von Stephen M. Gardiner und Paul Tubig – die Frage, ob der Naturschutz lediglich unserem eigenen Wohl dient. Doch welchen Unterschied macht es, ob wir die Natur „nur“ zum Erhalt unserer Lebensgrundlagen oder um ihrer selbst willen schützen? Sind die Motive nicht vielleicht ganz egal? Hauptsache, wir betreiben Naturschutz? Oder ist diese Feststellung relevant - und wenn ja, wofür?


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Ob wir die Natur nur schützen, um unsere Lebensgrundlagen zu sichern, oder weil wir sie an sich wertschätzen, ist m.M.n. tatsächlich nicht egal.

Ein Beispiel aus meinem eigenen Leben: Ich habe angefangen, meinen Balkon naturnah zu gestalten. Anfangs dachte ich hauptsächlich an die Vorteile für mich – eigenes Gemüse und Obst, und auch mehr Erholung durch die etwas wildere, natürliche Schönheit. Doch mit der Zeit habe ich gelernt, den Wert der Artenvielfalt und die Rolle, die jeder kleine Lebensraum im größeren Ökosystem spielt, wirklich zu schätzen. Jetzt pflanze ich gezielt heimische Pflanzen, um Insekten und Vögeln einen Lebensraum zu bieten, selbst wenn das bedeutet, dass mein Balkon manchmal etwas wilder aussieht, als es ein gestylteres Exemplar vielleicht tut - und ich stehe dazu.

Diese Haltung hilft mir auch im Alltag, bewusster mit Ressourcen umzugehen und Entscheidungen zu treffen, die der Umwelt zugutekommen, selbst wenn sie für mich persönlich nicht immer den größten Vorteil bieten. Wenn wir Naturschutz nur aus Eigeninteresse betreiben, besteht die Gefahr, dass wir ihn schnell wieder aufgeben, wenn es unbequem wird oder kurzfristige menschliche Interessen dagegen stehen. Aber wenn wir die Natur auch um ihrer selbst willen schützen, sind wir eher bereit, langfristige und nachhaltige Maßnahmen zu ergreifen, selbst wenn sie uns nicht sofort Vorteile bringen.

Für mich bringt es definitiv “feel good” und “purpose” Momente mit sich, mich der Natur willen um ihren Schutz zu bemühen - und nachhaltiger ist es allemal.

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Ich sehe das ähnlich. Kurzfristig betrachtet ist die Motivation, ob wir die Natur aus eigennützigen Gründen schützen oder der Natur zuliebe, vielleicht zunächst egal. Allerdings ist das dann, ähnlich wie bei einer Krankheit, nicht mehr als eine akute Symptombekämpfung. Damit es unserem Planeten noch lange gut geht, braucht es vor allem eine radikale Prävention und Revitalisierung, die unsere „Freiheit“ teilweise einschränkt. Dafür müssen wir Menschen lernen zurückzustecken - vor allem die, die in privilegierten Verhältnissen aufwachsen und noch nicht allzu stark von Klimakatastrophen o.Ä. betroffen und eingeschränkt sind. Das kann nur durch ein breites Umdenken erfolgen - ein Übereinkommen, dass eben nicht wir an erster Stelle stehen und es etwas gibt, das es mehr Wert ist zu schützen als unser eigenes (Über-)Leben.

Total 1

Gerade deinen angesprochenen Punkt Privilegiertheit möchte ich nochmal aufgreifen:
Ich denke es ist klar zu erkennen, dass Umwelt- und Naturschutz oft aus einer privilegierten Perspektive erfolgt. Menschen in wohlhabenderen Ländern und sozialen Schichten haben oft mehr Ressourcen und Möglichkeiten, umweltfreundliche Entscheidungen zu treffen, sei es durch den Kauf von Bioprodukten, die Installation von Solarpaneelen oder die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel statt eines Autos. Für viele Menschen weltweit ist dies jedoch nicht möglich. Wirtschaftliche Zwänge und soziokulturelle Bedingungen können es ihnen schwer machen, solche Maßnahmen zu ergreifen.

Zum Beispiel: Jemand, der in einer ländlichen Region eines Entwicklungslandes lebt und auf Landwirtschaft angewiesen ist, hat möglicherweise nicht die Mittel, um nachhaltige Praktiken umzusetzen, selbst wenn er oder sie dies möchte. Auch in Industrieländern stehen Menschen mit niedrigem Einkommen oft vor der Wahl zwischen erschwinglichen, aber umweltschädlichen Produkten und teureren, nachhaltigen Alternativen.

Deshalb ist es wichtig, bei Umwelt- und Naturschutzmaßnahmen auch die sozialen und wirtschaftlichen Realitäten der Menschen zu berücksichtigen und Lösungen zu finden, die für alle zugänglich und umsetzbar sind. Bei der Diskussion ist es notwendig, dass wir alle auch über unseren eigenen Tellerrand blicken und aus unserer Lebensrealität und -bubble rausdenken, was z.B. bei politischen Diskussionen gerade häufig außer Acht gelassen wird.

Total 2

Ich schließe mich @adelina_olbrich tendenziell an und würde ergänzen: Zentral für unseren Umgang mit dem Planeten ist unser eigenes Selbstverständnis. Das Wissen und Bewusstsein, als Spezies ein integraler Teil komplexer Ökosysteme zu sein – und weder abseits noch über der sogenannten Natur zu stehen – kann unser Handeln bestimmen. Die Abhängigkeiten und Wechselwirkungen, welche innerhalb dieser Systeme herrschen (von kleinsten Bakterien bis hin zu hochintelligenten Wesen wie uns), werden noch immer häufig übersehen oder missachtet.

Etwas „für den Planeten zu tun“, bedeutet immer auch, unsere Lebensgrundlagen zu erhalten. Und genau deshalb sollte im Umkehrschluss auch gelten: Der Fortschritt der Menschen sollte auch immer ein Investment in die Erhaltung, Pflege und Erforschung bestehender Ökosysteme mit sich bringen.

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Vielleicht sind kritisches Hinterfragen und die eigene Reflexion – egal um was es geht – immer richtig und wichtig. Wenn es um Naturschutz geht, gibt es ja oft konfligierende Interessen. Insbesondere, wenn Politik ins Spiel kommt. “Naturschutz” ist auch nicht immer automatisch für alle Beteiligten gut, und wir können uns zumindest immer fragen, welche Interessen noch dahinterstehen – neben der eigenen Gesundheit, der eigenen Freiheit. https://taz.de/Vertreibung-von-Maasai-in-Tansania/!5991870/ (Tanzania wäre “weltweit führend in der Umsetzung internationaler Naturschutzziele'“ - aber unter welchen Bedingungen und zu welchem Preis?)

Total 4

Vielleicht noch einen (unter Umständen) hinkenden Vergleich, an den mich die Frage aus meiner eigenen Fachperspektive hat denken lassen:

Wenn wir die Demokratie nur verteidigen würden, weil sie unserem Wohl dient - etwa weil Demokratien wirtschaftlich besser performen und somit einer größeren Zahl von Menschen tendenziell mehr Wohlstand sicher -, dann stünden sie auf recht tönernen Füßen. Denn darauf wetten, dass nicht auch andere Systeme mindestens ebenso leistungsfähig sein könnten, würde ich nicht wollen.

Verteidige ich die Demokratie aber, weil sie für mich einen Wert an sich hat, dann bin ich bestenfalls bereit, im Zweifelsfall auch Einbußen hinzunehmen.

Gerade Letzteres scheint mir auch für den Naturschutz ein wichtiger Aspekt zu sein. Entgegen optimistischen Lesarten ist es m.E. nämlich einigermaßen unwahrscheinlich, dass der ohne individuellen und kollektiven Verzicht dauerhaft zu haben sein wird.

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