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Eva von Redecker2023
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»Bleibefreiheit«

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Geschrieben von Eva von Grafenstein

Bei te.ma veröffentlicht 04.06.2024

te.ma DOI https://doi.org/10.57964/2ytr-by14

Geschrieben von Eva von Grafenstein
Bei te.ma veröffentlicht 04.06.2024
te.ma DOI https://doi.org/10.57964/2ytr-by14

Eva von Redecker entwickelt in ihrem Buch einen neuen Freiheitsbegriff: die sogenannte „Bleibefreiheit“. Damit präsentiert sie einen Gegenentwurf zur liberalen Freiheitsauffassung, nach der das Individuum innerhalb bestimmter Lebensbereiche tun kann, was es möchte, ohne dabei gestört zu werden. Diese liberale Auffassung von Freiheit hält sie angesichts der aktuellen ökologischen Probleme – wie dem Tod zahlreicher Ökosysteme und Arten – für überholt. 

Unter dem Einfluss der Philosophie der Aufklärung entstand im 17. und 18. Jahrhundert das liberale Denken, das die Freiheit des Einzelnen in den Vordergrund stellt und jede Form des sozialen, politischen oder staatlichen Zwanges ablehnt. Eine Errungenschaft des Liberalismus sind die Freiheitsrechte, welche die Handlungs- und Entfaltungsfreiheit des Individuums gewährleisten. Sie umfassen unter anderem das Recht auf Meinungs-, Religions-, Versammlungs- und Eigentumsfreiheit, auf sexuelle Selbstbestimmung und Privatheit. Innerhalb dieser rechtlichen Sphären, so von Redecker, sei das Individuum ungebunden, könne also tun, was es wolle – mit der Einschränkung, dass es nicht die Freiheit anderer beschneiden dürfe.  

Unser Wert der Freiheit ist durch und durch materiell

Dieses Individuum der liberalen Tradition bezeichnet sie anknüpfend an den politischen Philosophen Crawford Macpherson als „Besitzindividuum“.1 An erster Stelle besitze es sich selbst und könne frei über sich und seinen Körper verfügen. An zweiter Stelle sei es Eigentümer von Sachen, über die es schrankenlos herrschen könne. So hatte der frühneuzeitliche Bürger Haus, Hof, „Weib“ und „Gesinde“, um über sie zu bestimmen. Und auch heutzutage seien wir „in welthistorisch beispielloser Weise Despotin über Dinge“. Wir konsumieren unablässig – zum Lebensunterhalt oder Zeitvertreib – und häufen Sachen bis zum Überfluss an. Unser Wert der Freiheit sei durch und durch materiell.2 

Eva von Redecker ruft dazu auf, uns von dieser gängigen Form der Freiheit zu lösen. In Zeiten zunehmender ökologischer Krisen könne Freiheit nicht mehr in der Vermehrung unseres Besitzes bestehen. Ein Leben in Freiheit setze an erster Stelle einen Ort voraus, der weiterhin bewohnbar sei – und nicht von Hitze, Extremwetterereignissen und Überschwemmungen heimgesucht werde. Der ökologische Freiheitsbegriff, den von Redecker entwickelt und als „Bleibefreiheit“ bezeichnet, weist drei Facetten auf. 

Wir sind nicht in der Natur frei, sondern nur mit ihr

Die erste Facette der Bleibefreiheit besteht Eva von Redecker zufolge darin, dass jeder Mensch über eine bestimmte Lebenszeit verfügt. Diese Zeit müsse aber, um Freiheit zu gewähren, „zugleich erfüllte Zeit sein“. Eine erfüllte Zeit definiert sie wie folgt: „Innerlich kennen wir das gut, es ist der Unterschied zwischen Langeweile und Erleben; zwischen bleierner Zeit und mit Machbarem und Wünschenswertem gefüllter Zeit.“3 

Zweitens erfülle sich Freiheit in unserer einzigartigen Fähigkeit zum Neuanfang. So seien wir in der Lage, unsere bisherige Lebensweise jederzeit zu überdenken und in eine neue, schöpferische Beziehung zu unserer Umwelt zu treten. Diese schöpferische Beziehung bestehe letztlich in einem bestimmten Blick auf das Leben: „ein Sinn für erlebte Fülle, die Anlass zu Dankbarkeit bietet. Ein Sinn für übergreifende Zusammenhänge, die das eigene Leben überdauern werden.“4 

Als dritte Facette der Bleibefreiheit macht sie wiederum den „Reichtum einer lebendigen, biodiversen Welt“ aus. Sie weist darauf hin, dass jeder Gegenstand auf dieser Welt eine für ihn charakteristische Zeit habe. Als Beispiel führt sie den Erdboden an, der eine nicht erneuerbare Ressource sei. Die Erde sei kein Substrat, das einfach herumliege, sondern das Ergebnis unzähliger Regenerationszyklen. Unter Regeneration versteht sie dabei die Dauer, „in der etwas Lebendiges sich anstrengungslos wiederherstellt.“ Unsere Aufgabe sieht sie darin, den lebendigen Dinge diese Zeit zu geben. 

Alle drei Facetten der Bleibefreiheit hängen miteinander zusammen: Freiheit besteht in erfüllter Lebenszeit, wobei diese nur in einer schöpferischen Beziehung zur Umwelt bestehen kann, einer Umwelt, die reich und lebendig ist. Je katastrophaler der Zustand der Welt, so von Redecker, desto mehr sind wir damit beschäftigt, unser Überleben zu sichern. Je leerer die Welt, desto weniger Einsatzmöglichkeiten bleiben uns darin. 

Letztlich zeigt von Redecker, dass die Quelle unserer Freiheit nicht, wie man meinen könnte,  in uns selbst liegt, sondern außerhalb unserer selbst. Sie hängt von einer intakten Natur ab, in der unsere Lebensgrundlagen und unsere Gesundheit gesichert sind. Wir sind, wie sie schreibt, nicht in der Natur frei, sondern nur mit ihr. Wenn wir uns das bewusst machen, ist ein erfülltes Leben in Freiheit möglich. 

Wie sehr ein nach von Redecker erfülltes Leben auf unserem Planeten bereits gefährdet ist, erkennt man beispielsweise beim Blick auf die planetaren Belastungsgrenzen

Fußnoten
4

Crawford B. Macpherson: Die politische Theorie des Besitzindividualismus. Von Hobbes bis Locke. Suhrkamp, Frankfurt a.M. 1990, ISBN 978-3-518-27641-9, S. 295. 

Pierre Charbonnier: Überfluss und Freiheit. Eine ökologische Geschichte der politischen Ideen. S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2022, ISBN: 978-3-10-397110-1, S. 25.

Eva von Redecker: Bleibefreiheit. Frankfurt a.M. 2023, S. 22.

Ebd., S. 54.

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Crawford Macpherson (1911-1987) war ein kanadischer Politikwissenschaftler an der University of Toronto. Er wurde vor allem für seine marxistisch inspirierte Neuinterpretation des Liberalismus bekannt. Von ihm stammt auch die Theorie des Besitzindividualismus, nach der die Gesellschaft nichts anderes sei als eine Reihe von Marktbeziehungen zwischen freien Individuen.

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Eva von Redecker kritisiert unsere Konsumgesellschaft, in der das Einkaufen und Verbrauchen eine enorm große Rolle spielt. Doch in wessen Verantwortung liegt es, unseren Konsum zu regulieren? In der des Einzelnen oder des Staates?

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Ich tendiere dazu den:die Einzelne:n eher nicht in übermäßige Verantwortung zu nehmen. Zumindest nicht beim Konsum. An der Wahlurne sieht das schon anders aus.

Ein Podcast zum Thema „Kinderkriegen in der Klimakrise“, den ich empfehlen kann, kommt zu einem ähnlichen Urteil: https://open.spotify.com/show/3sYcMBtPrzaaV1a42IKN0a?si=eae5914235db404f.

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