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SPECIAL INPUT: Sabrina Heuwinkel

Wir brauchen Wissenschaftskommunikation zum Gestalten nachhaltiger Zukünfte. Wie konstruktiver Journalismus dabei helfen kann

Wissenschaftskommunikation war nie wichtiger als jetzt. Für die Gestaltung nachhaltiger Zukünfte ist sie unabdingbar. Sabrina Heuwinkel vom Bonner German Institute of Development and Sustainability (IDOS) erklärt, wie konstruktiver Journalismus dabei helfen kann.

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Nie war es so einfach, schnell an unendlich viele Informationen zu gelangen wie heute. Zur selben Zeit lässt die Geschwindigkeit und Informationsdichte viele Menschen ratlos und überfordert zurück. Der Klimawandel, der sich immer deutlicher zeigt; die Biodiversitätskrise; Kriege im Sudan, in Palästina, der Ukraine und in weiteren Regionen sowie globale Pandemien. Wir sprechen von multiplen Krisen, Polykrisen, empfinden unsere Situation als „Krisenmodus“. Viele Menschen sind damit überfordert und fühlen sich den täglich neuen Hiobsbotschaften hilflos ausgeliefert.1 Ist unsere Welt lauter geworden? Vielen erscheint sie unübersichtlicher. Manche wenden sich ganz von Nachrichten ab (Stichwort „News-Avoidance“).2 Antworten werden bei sogenannten alternativen Medien oder Informationsquellen gesucht. Desinformationen spalten Gesellschaften und gefährden unsere Demokratien. Durch die Berichterstattung über die großen Krisen werden uns in den Medien täglich wiederholt ausweglose Situationen aufgezeigt und so lernen wir, selbst hilflos zu sein.3 An die Stelle von Aktion und Handeln tritt Passivität und Stillstand. Ein Teufelskreis, den wir durchbrechen müssen, um nachhaltige Zukünfte zu gestalten. Denn Veränderung ist unabdingbar. Die Menschheit belastet immer mehr die Umwelt und zerstört damit ihre Lebensgrundlage: Sieben von acht Grenzen der Erdbelastung sind schon überschritten. Es geht darum, Entwicklungspfade auszuloten, damit wir und die Folgegenerationen ein gesundes Leben auf einer gesunden Erde führen können.4 Um als Gesellschaft gemeinsam Transformationsprozesse voranzutreiben, brauchen wir eine engagierte Kommunikation, die konstruktiv ist, um in der Lage zu sein, Menschen Mut für Veränderung zu schenken.

Wissenschaftskommunikation kommt heute eine zentrale Aufgabe zu

Das Prinzip „bad news are good news“ durchzieht unsere Medienlandschaft und unsere Social-Media-Plattformen. Es nutzt aus, dass unser Gehirn deutlich stärker auf negative als auf positive Umstände reagiert: Schlechten Nachrichten schenken wir mehr Aufmerksamkeit, wir verarbeiten negative Reize schneller und können uns besser an sie erinnern. In unserer heutigen Aufmerksamkeitsökonomie sorgt dieser sogenannte Negativitätsbias dafür, dass vor allem die schlechten Nachrichten per Push-Benachrichtigung auf unserem Handy aufblinken und Eingang in die Zeitungsüberschriften finden.5 So könnten wir den Eindruck gewinnen, dass nur noch Schlechtes auf der Welt passiert.6 In der Corona-Pandemie haben wir erlebt, dass falsche Informationen in Sekunden um die ganze Welt gehen und Leben kosten können.7 Vor diesem Hintergrund müssen wir viel mehr darüber sprechen, wie Forschungsergebnisse und konstruktive Debatten in öffentlichen Diskursen mehr Sichtbarkeit erfahren. Wissenschaftskommunikation spielt die entscheidende Rolle in der Vermittlung von validen Informationen, und Wissenstransfer ist ein zentraler Baustein für das Gestalten nachhaltiger Zukünfte. Denn auch wenn die Transformation zur Nachhaltigkeit wie eine riesige Aufgabe erscheint, wird sie aus den kleinen Schritten vieler entstehen, sagt die Transformationsforscherin Maja Göpel – aus den Schritten von Menschen, die nicht mehr fragen, ob ihr Handeln überhaupt realistisch ist, sondern einfach loslaufen.  Wissenschaftskommunikation kann diesen Startimpuls geben. Die Frage ist also: Wie können wir effizienter kommunizieren, um den Ergebnissen aus Wissenschaft und Forschung besseres Gehör verschaffen? Dafür brauchen wir neue konstruktive Erzählmuster.

„Problem talk creates problems, solutions talk creates solutions“8

Die Neurowissenschaftlerin Maren Urner hat versucht, diese Frage für den Journalismus zu ergründen. Sie ist Mitbegründerin des 2016 gegründeten Online-Magazins Perspective Daily und eine wichtige Stimme des konstruktiven Journalismus im deutschsprachigen Raum. In ihrem Buch Schluss mit dem täglichen Weltuntergang. Wie wir uns gegen die digitale Vermüllung unserer Gehirne wehren können geht sie der Frage nach, wie unser Gehirn auf die alltägliche Informationsflut und den Negativitätsbias reagiert. Sie spricht von digitaler Abhängigkeit und Überforderung und zeigt Wege auf, dem kritisch und konstruktiv zu begegnen. Und – sie stellt die Idee des konstruktiven Journalismus als einen möglichen Ausweg aus dem Dilemma vor. Der konstruktive Journalismus möchte Rezipient*innen entlasten und unterstützen und so zur Lösung gesellschaftlicher Probleme und Herausforderungen beitragen. Im Mittelpunkt steht die Idee, bei jedem Thema immer auch die Frage „Wie geht es weiter?“ zu stellen. Das Bonn Institute beschreibt konstruktiven Journalismus mit Hilfe dreier Elemente: einem ausgeprägten Lösungsfokus; einem Perspektivenreichtum, der Diversität und strukturelle Aspekte miteinbezieht, sowie einem konstruktiven Dialog, in dem Journalist*innen auch als Moderator*innen für Austausch und Verständigung eintreten. Erkenntnisse der Mediationsforschung und der angewandten Sozial- und Kommunikationspsychologie werden mit eingebracht, um der Frage näher zu kommen, wie Kommunikation heute erfolgreich gelingen kann.

Von der Idee zur Umsetzung

Schon bei der Erstellung von Kommunikationskonzepten können konstruktive Ansätze mit einbezogen werden. Deswegen sollte Wissenschaftskommunikation schon früh ins Projekt integriert werden, und zwar bereits beim Einwerben und Konzeptionieren von Forschungsvorhaben und nicht erst bei der Veröffentlichung der Forschungsergebnisse. Die Einnahme einer konstruktiven Perspektive ist wichtig, denn „alles, was Du in die Welt setzt, beeinflusst andere Menschen“, schreibt Maren Urner. Wir spüren das: Negative Emotionen wie Wut und Angst gehen mit körperlichen Reaktionen einher. Schlechte Nachrichten versetzen uns in eine Stresssituation. Im „Kampf-oder-Flucht-Modus“ sind wir weder aufmerksam noch handlungsbereit. Im Gegenteil: Viele Menschen wenden sich von Berichten ab, die auf einseitige und negative Weise die Welt erklären. Ein Verhalten, das weder hilft, die großen gesellschaftlichen Herausforderungen zu verstehen noch ihnen zu begegnen.9 Deswegen ist Wissenschaftskommunikation so zentral. Ohne ein gemeinsames gesellschaftliches Betrachten von Forschungsergebnissen und ein Aushandeln von neuen Lösungsansätzen, die dann auch gemeinsam getragen werden, ist Veränderung nicht möglich. Hier braucht es die Vereinfachung als Instrument, um grundsätzlich ein Verständnis zu schaffen, und gleichzeitig muss es Raum für Komplexität geben. Viele wichtige Zusammenhänge lassen sich nicht einfach runterbrechen, und das müssen wir entsprechend abbilden.

Was bedeutet dabei der Kampf um die Ressource Aufmerksamkeit10 durch unzählige Aufmerksamkeitshändler*innen11 für die Bedürfnisse der Konsument*innen? Das muss Wissenschaftskommunikation erkennen und darauf reagieren. Um diesem Ziel gerecht zu werden, können mehr Ressourcen in kreative Ansätze der Gestaltung wie Podcasts, Infografiken, Animationen und Erklärvideos investiert werden. Nur so bekommt evidenzbasierter wissenschaftlicher Content auf den Social-Media-Plattformen eine Chance. KI-basierte Tools können dabei die Entwicklung neuer konstruktiver Ansätze in der Wissenschaftskommunikation voranbringen, als Ideengeberin und unterstützend bei der technischen Umsetzung. Sie können beispielsweise umfangreiche Aufsätze und Journals in kürzester Zeit und kostenarm in kurze Snack-Content-Produkte für Social Media umwandeln und durch entsprechend angepasste Workflows nach einer Überprüfung von Redakteur*innen veröffentlicht werden. Beim Einsatz von KI müssen wir jedoch mit klaren Regeln und Konzepten arbeiten, nicht nur um zwischen den unzähligen neuen Möglichkeiten den Fokus zu behalten, sondern auch mit Blick auf grundsätzliche Fragen der Ethik, rät die Kommunikationswissenschaftlerin Miriam Meckel. Auch sie setzt sich in ihrer Arbeit mit Kommunikation in einer immer komplexeren Welt auseinander. Sie sieht die Notwendigkeit, unsere menschliche Intelligenz mit Hilfe von künstlicher Intelligenz zu erweitern, um in einer immer schnelleren Welt mithalten zu können. Wenn KI-Anwendungen zum Einsatz kommen, empfiehlt sie eine Prüfung in drei Schritten: Ist der Einsatz von KI notwendig? Ist der Einsatz von KI angemessen? Und: Lässt sich die KI kontrollieren und anpassen?12 Kleinteilige zeitaufwendige Routineaufgaben können mit KI-Anwendungen vereinfacht werden. Die Expertise von Kommunikations-Expert*innen, Grafiker*innen und Motion -Designer*innen wird aber auch in Zukunft nicht zu ersetzen sein.

Wissenschaftskommunikation kann Dialogräume für den Austausch von Lösungsansätzen erschließen, konstruktive Debatten initiieren und über das Bereitstellen von evidenzbasierten Forschungsergebnissen mit gesellschaftlichen Gruppen und Stakeholdern ins Gespräch kommen. Und das nicht nur darüber, wie nachhaltige und gerechte Zukünfte aussehen können, sondern auch darüber, was jetzt schon gut funktioniert. Dabei muss die Rolle und das Selbstverständnis von Wissenschaftler*innen dahingehend weitergedacht werden, neben der Wissensproduktion auch stärker die Wissenskommunikation im Blick zu haben. Es ist dringend an der Zeit, darüber nachzudenken, wie wir unsere Kommunikation in Anbetracht der immensen Herausforderungen neu ausrichten können. Eine Wissenschaftskommunikation, die sich am Vorbild des konstruktiven Journalismus auf den Weg macht und in Zeiten der Polykrisen zielgruppenorientiert und konstruktiv auch auf den großen Plattformen kommuniziert, leistet einen notwendigen Beitrag für sozialen Zusammenhalt, die Sicherung unserer Demokratie und das Gestalten nachhaltiger Zukünfte.

Fußnoten
12

Maren Urner: Raus aus der Dauerkrise. Mit dem Denken von morgen die Probleme von heute lösen. Droemer, München 2021.

Johan Lindell, Else Mikkelsen Båge: Disconnecting from digital news: News avoidance and the ignored role of social class. In: Journalism. Band 24, Nr. 9, 2022, S. 1980-1997.

Robert F. DeVellis, Brenda M. DeVellis, Charley McCauley: Vicarious acquisition of learned helplessness. In: Journal of Personality and Social Psychology. Band 36, Nr. 8, 1978, S. 894-899.

Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU): Gesund leben auf einer gesunden Erde. Hauptgutachten. Berlin, 2023.

Robert H. Bohle: Negativism as News Selection Predictor. In: Journalism and Mass Communication Quarterly. Band 63, Nr. 4, 1986, S. 789-796.

Catherine Norris: The negativity bias, revisited: Evidence from neuroscience measures and an individual differences approach. In: Social Neuroscience. Band 16, Nr. 1, 2021, S. 68-82.

“Misinformation is worse than an epidemic: It spreads at the speed of light throughout the globe and can prove deadly when it reinforces misplaced personal bias against all trustworthy evidence.” Marcia McNutt, Präsidentin der National Academy of Sciences der USA.

Zitat von Steve de Shazer, Psychotherapeut und Pionier der lösungsorientierten Beratung.

Maren Urner: Raus aus der Dauerkrise. Mit dem Denken von morgen die Probleme von heute lösen. Droemer, München 2021.

Maren Urner: Schluß mit dem täglichen Weltuntergang. Wie wir uns gegen die digitale Vermüllung unserer Gehirne wehren. Droemer, München 2019.

Tim Wu: The Attention Merchants. The Epic Scramble to Get Inside Our Heads. Knopf Doubleday Publishing Group, New York 2017.

Miriam Meckel, Léa Steinacker: Alles überall auf einmal. Wie künstliche Intelligenz unsere Welt verändert und was wir dabei gewinnen können. Rowohlt Verlag, Hamburg 2024.

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Polykrise bezeichnet eine Situation, in der mehrere Krisen gleichzeitig oder in enger Abfolge auftreten und sich gegenseitig negativ beeinflussen.

Als Alternative Medien werden Medien bezeichnet, die sich in irgendeiner Weise vom etablierten medialen Mainstream unterscheiden. Dies kann sich z.B. auf den Ablauf des redaktionellen Prozesses, die journalistische Darstellung oder den Umgang mit Quellen beziehen.

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