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Der Krieg schafft seine eigenen (Sprach-)Probleme

Re-Paper
Laura Eras2022

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Geschrieben von Sebastian Hoppe

Bei te.ma veröffentlicht 15.12.2022

te.ma DOI 10.57964/abjk-q690

Geschrieben von Sebastian Hoppe
Bei te.ma veröffentlicht 15.12.2022
te.ma DOI 10.57964/abjk-q690

Seit 2014 wird die Situation der russischsprachigen Bevölkerung in der Ukraine von Russland als Vorwand genommen, um Krieg gegen das Land zu führen. Gleichzeitig blieb das tatsächliche Verhältnis von ukrainisch- und russischsprachigen Ukrainer*innen lange unerforscht. Die Studie der Soziologin Laura Eras kommt zum Ergebnis, dass es vor allem der russische Angriff selbst war, der die Einstellung gegenüber der russischsprachigen Minderheit in der Ukraine verschlechterte.

Eras greift in ihrer Untersuchung auf empirische Umfragen zurück, die das Internationale Institut für Soziologie in Kyjiw von 1990 bis 2018 durchgeführt hat. Die Daten zeigen, dass sich die Einstellung ukrainischsprachiger Ukrainer*innen seit 2014 bis zum Ende des Untersuchungszeitraums 2018 messbar – wenn auch nur leicht – zum Negativen veränderte. Als Indikator nutzt Eras den sog. social distance scale, einen Maßstab für die gefühlte Nähe zwischen Gruppen oder Individuen. 

Der Befund der Studie, dem zufolge seit 2014 eine Polarisierung von Identitäten eingesetzt habe, ist interpretationsbedürftig. So habe zwar im selben Jahr das militärische Vorgehen Russlands gegen die Ukraine begonnen. Gleichzeitig sei aber auch Petro Poroschenko (2014-2019) zum ukrainischen Präsidenten gewählt worden, dessen Politik deutliche anti-russische und auch anti-russischsprachige Züge hatte. Die distanziertere Einstellung der ukrainisch- gegenüber der russischsprechenden Bevölkerung könne also sowohl am Einfluss der Identitätspolitik Poroschenkos als auch am Krieg gelegen haben.

Um den Einfluss des 2014 einsetzenden Krieges näher zu untersuchen, bedient sich die Studie einer kreativen Strategie. So werden die Präsidentschaften Poroschenkos und Viktor Juschtschenkos (2005-2010) verglichen, der eine ähnliche Identitätspolitik verfolgte wie Poroschenko. Im Ergebnis zeigt sich, dass die Einstellungen zwischen den untersuchten Gruppen unter Juschtschenko konstant blieben, während sie sich ab 2014 verschlechterten. Daraus schlussfolgert Eras, dass der Krieg selbst zur Verschlechterung zwischen den Bevölkerungsgruppen beigetragen hat, indem Ukrainischsprachige diejenigen, die Russisch sprachen, in zunehmendem Maße mit dem angreifenden Russland assoziierten.

Andere Forschungen heben ebenfalls die Rolle der Sprache bei der Selbstidentifikation vor dem Kontext des Krieges seit 2014 hervor. So habe der Krieg zwar die Identitätsbildung der Bevölkerung im Donbass beeinflusst, allerdings bestehe nach wie vor eine Gleichzeitigkeit von ziviler und nationaler ukrainischer Identität und einer Identität auf Basis der Sprache. Eras’ Studie zufolge sei es plausibel, anzunehmen, dass der Krieg und Poroschenkos Politik zusammenwirkten und die Einstellungen gegenüber der russischsprachigen Minderheit beeinflussten. Erst der Krieg habe einen fruchtbaren Boden für die Politik Poroschenkos geschaffen.

Darüber hinaus trägt die Studie dazu bei, eine der von der russischen Elite immer wieder vorgebrachten Legitimationsfiguren empirisch zu entkräften. Die Sprachenfrage in der Ukraine war bis 2014 kein die unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen spaltendes Thema – bis zu jenem Jahr, in dem Russland militärisch intervenierte. Erst dann wurden die bis dahin vergleichsweise stabilen und friedlich koexistierenden kulturellen Identitäten politisch und militärisch aufgeladen.

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