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Respekt und Diplomatie

Re-Paper
Reinhard Wolf2008

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Geschrieben von Alexandra Sitenko

Bei te.ma veröffentlicht 17.01.2023

te.ma DOI 10.57964/8h3b-by81

Geschrieben von Alexandra Sitenko
Bei te.ma veröffentlicht 17.01.2023
te.ma DOI 10.57964/8h3b-by81

Der Politikwissenschaftler Reinhard Wolf vertritt in seinem Artikel die These, dass es Staaten und weiteren Akteuren in internationalen Beziehungen wie Unternehmen oder internationalen Organisationen nicht nur um Sicherheit oder Macht geht, sondern auch um die soziale Würdigung ihrer Bedeutung: also Respekt. Gegenseitige Respektbezeugungen könnten nicht nur angespannte Situationen entkrampfen, sondern auch Konflikte entschärfen und gegenseitige Empathie fördern.

Immer wieder taucht in der Diskussion um Putins Motive, die Ukraine zu bedrohen und schließlich anzugreifen, der Begriff „Respekt“ auf. Der ehemalige deutsche Vizeadmiral Kay-Achim Schönbach behauptete im Januar 2022, dass Putin in Wirklichkeit Respekt auf Augenhöhe einfordere – eine Aussage, für die er scharf kritisiert wurde. Einen Tag nach Beginn des russischen Krieges in der Ukraine meinte auch der Psychologe und Transaktionsanalytiker Christoph Seidenfus, Putin benötige Verständnis und Respekt, den er eingeklagt habe. Der Westen habe nicht verstanden, dass es hilfreich sei, ihm das zu geben, selbst wenn er es nicht verdiene. Der Politikwissenschaftler Alexander Motyl wiederum äußerte sich diesbezüglich sehr skeptisch. Seiner Meinung nach täte Putin gut daran, sich zu fragen, ob er und sein Land Respekt verdienten. Denn Respekt wird niemandem einfach so zuteil. 

Mit Respekt als einem wichtigen und unterschätzten Faktor beschäftigt sich in seinem Artikel der Professor für Internationale Beziehungen, Reinhard Wolf. Sein Beitrag ist im sogenannten „emotional turn“ zu verorten.1 Wolf schreibt, dass sich das Bezeugen von Respekt nicht notwendigerweise auf positiv bewertete Eigenschaften oder Leistungen beziehen müsse. Es gehe vielmehr darum, seinem Gegenüber Aufmerksamkeit entgegenzubringen, es wahrzunehmen, selbst wenn man keine ausgesprochen positive Meinung von ihm habe. Während Bewunderung und Verehrung einem nicht automatisch zustünden, habe man auf die Bezeugung von Respekt durchaus einen Anspruch. 

Wenn Akteure  sozialen Respekt einfordern, streben sie, so Wolf, nach der angemessenen Beachtung ihrer physischen Präsenz, ihrer sozialen Bedeutung, ihrer Ideen und Werte, ihrer Interessen sowie ihrer Rechte. Wolf weist allerdings auch auf eine Reihe von analytischen Problemen2 hin, die sich beim Versuch ergeben, das in der Regel individuelle Streben nach Respekt auf kollektive Akteure wie Staaten zu übertragen. 

Laut Wolf lässt sich das Streben nach Respekt gut in Fällen beobachten, in denen politische Entscheidungen der jeweiligen Akteure für sie selbst absehbar mit materiellen Nachteilen verbunden sind. Zum Beispiel, wenn außenpolitische Entscheidungsträger/innen in einem Konflikt die internationale Aufmerksamkeit durch Gewaltakte bewusst auf ihren Staat lenken, obwohl eine unauffällige, zurückhaltende Politik mit geringeren Kosten und Risiken verbunden wäre. Oder, wenn Nationen einen aufwändigen (militärischen) Kampf führen, obwohl die absehbaren Kosten den erwarteten Nutzen deutlich übersteigen. 

Weshalb etwa hat Palästina immer wieder den aussichtslosen Kampf gegen das ökonomisch wie militärisch weit überlegene Israel verschärft, anstatt einen Kompromissfrieden zu suchen, der die Kräfteverhältnisse angemessen berücksichtigt? Oder wieso hat das offensichtlich geschwächte Russland unter Boris Jelzin den Westen im Kosovo-Konflikt demonstrativ herausgefordert? Die Intensität dieser Konflikte bleibt laut Wolf unverständlich, solange man primär auf materielle Anreize wie Macht oder Sicherheit achtet.  

Der Autor kommt zum Schluss, dass die Einbeziehung des Respektstrebens in die wissenschaftliche Analyse neues Licht auf die Hindernisse und Erfolgsbedingungen internationaler Zusammenarbeit werfen. Dies gelte sowohl für Konfliktsituationen als auch für Verhandlungsprozesse. Darüber hinaus könnte eine wechselseitige Respektbezeugung Statuskonflikte entschärfen und gegenseitige Empathie fördern. Schließlich könnte die Einbeziehung des Faktors Respekt erklären helfen, weshalb rationale Kompromisslösungen in der Realität oft scheitern. 

In der außenpolitischen und diplomatischen Praxis wären Entscheidungsträger/innen gut beraten, bei Konflikten die Respekterwartungen der Beteiligten einzubeziehen. Wolf betont, dass die westlichen Akteure aufgrund ihrer dominanten Stellung in der Weltpolitik oft unter einem Mangel an Sensibilität für die Eigenheiten und besonderen Bedürfnisse der anderen, nicht-westlichen Kulturen leiden. In einer globalisierten und vernetzten Welt könnte es sich jedoch als gravierender Fehler erweisen, den Wunsch nach Anerkennung anderer Kulturen und Akteure nicht ernst zu nehmen.

Fußnoten
2

Beispiele für die Relevanz der Forschung zu Emotionen sind: Neta Crawford, The passion of world politics: Propositions on emotion and emotional relationships. In: International Security, 24 (4), 2000, S. 116-156; Roland Bleiker/Emma Hutchison, Fear no more: emotions and world politics. In: Review of International Studies, 34 (S1), 2008, S. 115-135; Khaled Fattah/Karin M. Fierke, A Clash of Emotions: The Politics of Humiliation and Political Violence in the Middle East. In: European Journal of International Relations, 15 (1), 2009, 67-93.

Zum einen spricht vieles dafür, dass Individuen stärker auf die Bestätigung durch ihr Umfeld angewiesen sind, als Gruppen oder kollektive Akteure. Zum anderen sind Handlungen, die auf die Erlangung fremden Respekts abzielen, oft schwer von Aktionen zu unterscheiden, die durch Macht, Sicherheit oder ökonomische Interessen motiviert sind. Die Akteure könnten ihre materiellen Interessen hinter dem Respekt-Argument verbergen, ohne dass ihre tatsächliche Motivation zu Tage tritt.

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