In der Ukraine protestierten von November 2013 bis Februar 2014 Tausende von Bürgern gegen die pro-russische Regierung von Wiktor Janukowytsch. Bei diesen Protesten kamen mehr als hundert Zivilisten um, die als nebesna sotnya, die Himmlische Hundertschaft, in das kollektive Gedächtnis eingingen. Die Zusammensetzung der Protestierenden – und auch der Getöteten – war ethnisch und kulturell divers. Diese Vielfalt der Zivilgesellschaft sei im Prozess der Memorialisierung des Euromaidan zu einer Herausforderung geworden, so Serhy Yekelchyk.
Auf ihrer Suche nach einer nationalen Form der Erinnerung habe die Ukraine größtenteils einen Weg der Abgrenzung vom russisch-sowjetischen Erbe eingeschlagen. Das beinhaltete unter anderem die Verschiebung der Feierlichkeiten zum Tag des Sieges vom 9. Mai (russisches Datum) auf den 8. Mai, der im Rest Europas gefeiert wird, und einen neuen Kanon der Nationalhelden. Im April 2015 wurde per Gesetz festgelegt, dass es gewisse Nationalhelden – „Kämpfer für die Unabhängigkeit der Ukraine“ – gibt, an denen Kritik illegal ist. All diese Nationalhelden waren anti-sowjetische Nationalisten, unter anderem auch Anhänger der
Er stellt fest, dass die Post-Maidan-Ukraine sich in ihrer Erinnerungskultur und Geschichtspolitik immer mehr auf die Geschichte der russischen Aggression gegenüber der Ukraine fokussierte. Ein Beispiel dafür ist der Kult um die
Die Form und Sprache der Erinnerung nach der Maidan-Revolution sei auch zunehmend eine christlich-religiöse: Die Himmlische Hundertschaft hat eine eigene Heldenmedaille bekommen, die jeden Verstorbenen als Helden der Ukraine ausgezeichnet hat. Für die nicht-ukrainischen Opfer gab es eine separate Medaille – die der „Helden der Himmlischen Hundertschaft“, da nur ukrainische Staatsbürger als Helden der Ukraine ausgezeichnet werden können. Auf der Medaille der Helden der Himmlischen Hundertschaft sind die Gefallenen als weiße Figuren mit Engelsflügeln dargestellt. Yekelchyk bewertet dies als eine offene Aneignung religiöser Symbolik, die als Repräsentation für die Gefallenen des Euromaidans genutzt wird. So kam eine neue Identifikationsfigur für das ukrainische Nationalbewusstsein auf: der zivile Märtyrer, der die Zivilgesellschaft repräsentiert. Die Erinnerung an die Opfer des Maidan sei stark sakralisiert und das Sterben der Protestierenden werde laut Yekelchyk überwiegend als Aufopferung des eigenen Lebens für die Ukraine gedeutet. Neben dieser staatlichen Erinnerung an den Euromaidan gibt es auch zahlreiche zivilgesellschaftliche Praktiken der Memorialisierung: Man baute eigene, improvisierte Denkmäler auf oder gestaltete in Zelten kleine Museen der Geschichte der Maidan-Ereignisse.
Yekelchyk kommt in seiner Untersuchung zu dem Schluss, dass die Memorialisierung des Maidans zwar dazu führen konnte, dass die Ukraine ihre Tradition des ethnic martyrdom überwinden konnte. Das Verständnis des Helden- und Märtyrertums war nicht mehr beschränkt auf ethnische Ukrainer: Jeder, der sich für die Freiheit der Ukraine einsetzte, konnte nun zum Held oder Märtyrer werden. Dies konnte aber nur geschehen, da man die Herkunft, Sprache und politische Einstellung der Verstorbenen der Himmlischen Hundertschaft nicht thematisierte.